Künstler | Kele | |
Album | 2042 | |
Label | KOLA | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Schon während seiner Zeit bei Bloc Party hat sich Sänger Kele Okereke als Innovator und Aktivist erwiesen. Für sein Solowerk gilt das mehr denn je, sein gestern erschienenes viertes Solowerk 2042, veröffentlicht auf seinem eigenen Label, macht das noch etwas deutlicher als die drei Vorgänger. Für die musikalische Erneuerung stehen beispielsweise Ceiling Games, das als Easy-Listeninig-Track mit Latin-Rhythmus überrascht, oder Secret West 29th, das elegant und spannend wie ein Bond-Theme wird.
Den Aktivismus beweist er beispielsweise mit der Single Jungle Bunny, die neben Afrobeat auf eine sehr ungewöhnliche Instrumentierung setzt, in der selbst die Gitarre eher als Rhythmusinstrument dient. „Man findet in der Geschichte eine ganze Reihe von schwarzen Entertainern, die, sobald sie einen gewissen Grad an Berühmtheit erlangt hatten, offensichtlich den Eindruck hatten, die Rassenthematik hinter sich lassen und über diesem Diskurs stehen zu können – aber das ist ein Irrglaube“, sagt Kele zu diesem Song. „Als farbiger Mensch, der in der westlichen Gesellschaft lebt, ist es vollkommen egal, wie viel Reichtum du anhäufst: Das Rassenthema verfolgt dich überallhin. Mit Jungle Bunny wollte ich genau dieses Thema beleuchten: Welche Aufgabe, welche Verantwortung hat man als schwarzer Entertainer in einer Zeit, in der öffentlicher Rassismus und spalterische Tendenzen dermaßen um sich greifen?“
Das Hinterfragen dieser Rolle zieht sich durch 2042 als Leitmotiv. A Day Of National Shame, eines von mehreren Skits auf diesem Album, gibt eine Parlamentsrede des Labour-Abgeordneten David Lammy wieder, der Rassismus in Großbritannien anprangert. Let England Burn ist ebenfalls explizit politisch und sehr bedrohlich im Sound. Kele besingt ein brennendes Land, seine Stimme bleibt dabei aber besonnen. Das ist durchaus typisch für das Album des 38-Jährigen: Er ist nicht Opfer oder Täter, sondern reflektierter Beobachter.
Daneben überzeugt 2042, im deutlichen Kontrast zum weitgehend akustische Fatherland (2017) mit großer stilistischer Vielfalt. Catching Feelings wird tanzbar, leicht und funky, das reduzierte Natural Hair flirtet mit ein bisschen Reggae-Feeling, My Business hat einen mächtigen Beat und einen hohen Spaßfaktor. Die ersten Sekunden von Between Me And My Maker könnten von The Sweet sein, allerdings würden die wohl nicht über das Leben nach dem Tod singen, in Summe entsteht dadurch etwas wie spiritueller Glamrock. Cyril’s Blood setzt auf wilde und freigeistige Drums als Basis, sie unterstützen die Aussage „The troublemaker is in my blood.“
Die größte Stärke von Kele bleibt indes seine Sensibilität, die – auch das ist eine Parallele zu seinem Werk noch bei Bloc Party, etwa zu Intimacy-Zeiten – bei ihm keineswegs bloß in introspektiven Momenten zum Ausdruck kommt, sondern auch in kraftvollen Passagen. „I don’t believe in heaven / but I believe in you“, singt er etwa in St Kaepernick Wept. Die (zugegebenermaßen nicht nur im Titel etwas krude) Single Guava Rubicon ist nach einem Soft Drink benannt, wird von Kele aber vor allem den schwarzen Frauen in London gewidmet: „Schwarze Frauen sind die Bevölkerungsgruppe, die in der heutigen Gesellschaft am meisten verleumdet wird. Ich wollte etwas erschaffen, das ihre Intelligenz feiert, ihre Sexyness und ihren Zauber.“
In diese Richtung weist auch die Klavierballade Ocean View, die zugleich Lovesong und Danksagung wird. Der Album-Abschluss Back Burner zeigt noch einmal, was Kele als Songwriter alles zu bieten hat: Es ist innig und dabei völlig uneitel, ein tolles, erwachsenes Liebeslied.
Auch das Video zu Guava Rubicon wird zur Liebeserklärung an schwarze Frauen.