So ist das eben bei Kettcar. Nachmittags schreibe ich einer Freundin bei Facebook, dass ich am Abend zum Konzert gehe. Die Antwort: Da würde sie auch gerne hin, aber diesmal spielen sie nicht in ihrer Stadt. In der Straßenbahn auf dem Weg zum Haus Auensee telefoniere ich mit einem Freund in Hamburg und erzähle von meiner Abendplanung. Die Antwort: Er geht dort auch zum Kettcar-Konzert, in vier Tagen. Als meine Begleitung für die Show in Leipzig spontan absagen muss, schreibe ich eine SMS an einen Freund, der gerne für Konzertvergnügen zu haben ist, ob er einspringen möchte. Die Antwort: Er geht sowieso hin und hat schon Karten. Und der Freund, der dann tatsächlich als Begleitung einspringt, ist nicht nur interessierter Zuschauer, sondern stellt schon beim zweiten Song des Abends begeistert fest: „Balkon gegenüber, mein Lieblingslied!“
Es dürfte nicht viele Bands geben, bei denen das so funktioniert, die einerseits so einhellig gemocht werden und andererseits Menschen zusammenführen, die nicht nur einen ähnlichen Musikgeschmack haben, sondern ähnliche Ansichten – also beste Voraussetzungen mitbringen, um Freunde zu werden. Wie wunderbar sich dieser Effekt auswirken kann, zeigt das Konzert in Leipzig: Die Show beginnt mit Trostbrücke Süd und endet mit Landungsbrücken raus, dazwischen entfaltet sich ein Fest der wundervollen Musik, gefeiert von wundervollen Menschen.
Sommer 89 dürfte in Leipzig, einer Stadt mit nicht geringem Anteil am Ende der DDR, bei etlichen Besuchern für Gänsehaut gesorgt haben, Money Left To Burn ist ein Highlight, Auf den billigen Plätzen hat noch mehr Schwung als in der Albumversion. „Leipzig, alte Lady“ begrüßt Sänger Marcus Wiebusch an einer Stelle des Konzerts die Stadt, und in der Tat lebt die Stimmung an diesem Abend auch vom Gefühl einer Wiederkehr, eines gut eingespielten Rituals.
In diesem großen Einverstandensein liegt freilich auch eine Gefahr. Es könnte dazu verführen, zu gemütlich zu werden, sich zufrieden zu geben und nicht zuletzt so etwas wie eine Filterblase entstehen lassen, in der es außer den eigenen Überzeugungen und dem Glauben, dass sie von allen geteilt werden, nichts mehr gibt. Wie weit Kettcar von dieser Gefahr entfernt sind, beweist die Show im Haus Auensee ebenfalls. Die fünf Herren auf der Bühne sind sichtbar bodenständig und in der Lage, über sich selbst zu lachen (Sänger Marcus Wiebusch erzählt etwa die Anekdote von einem Fan aus Leipzig, der bei der Bezahlung im Online-Fanshop aus Versehen zwei Nullen zu viel an den fälligen Betrag gehängt hatte, was dazu führte, „dass wir ganz kurz reich waren“, später widmet er Graceland augenzwinkernd „den Leuten unter 30, die heute gekommen sind“). Nicht zuletzt zeigt sich: Kettcar fordern sich auch weiterhin selbst heraus.
Beginnend mit Rettung spielen sie vier Liebeslieder am Stück, ohne dass die Spannung darunter leiden würde, Der Tag wird kommen ist nicht weit entfernt von HipHop, Balu spielen sie nur zu zweit, um in bester Monty-Ptyhon-Manier danach „zu etwas vollkommen anderem“ zu kommen, nämlich Benzin und Kartoffelchips. Nicht zuletzt halten sie sich mit Missionierung zurück, sondern spielen einfach Musik: Dass AfD und Angst und Herzlosigkeit doof sind, ist hier sowieso klar. „Jedes Wir sind viele Ichs“, heißt es schließlich auf dem neuen Album. Schön, wenn man mal wieder einen Abend mit so vielen guten Ichs verbringen und Teil eines so schönen Wir sein kann.