Kid Dad – „Bloom“

Künstler*in Kid Dad

Kid Dad Bloom Review Kritik
Kid Dad begegnen mit „Bloom“ ihrem Corona-Blues.
EP Bloom
Label Long Branch Records
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Uff. Das hatte man nun wirklich nicht kommen sehen. Kid Dad aus Paderborn hatten auf ihrem Debütalbum In A Box energischen, cleveren Rock gespielt, mit viel Feuer und gerne auch hoher Lautstärke. Seitdem hätten sie reichlich Grund gehabt, in puncto Aggressivität noch eine Schippe drauf zu legen. Schließlich wurde die im Sommer 2020 veröffentlichte Platte zwar allerorten gelobt, aber statt die damit verbundenen Lorbeeren einheimsen zu können, zum Beispiel in Form umjubelter Konzerte, oder anderweitig die Karrierephase zu genießen, die für viele Künstler*innen zu den besonders spannenden gehört, waren sie zur Untätigkeit gezwungen. Scheiß Corona.

Marius Vieth, Joshua Meinert, Max Zdunek und Michael Reihle hatten in dieser Zeit bestimmt gelegentlich mal Lust, alles kurz und klein zu hauen, den Kopf in den Sand zu stecken oder zumindest ein bisschen Frustabbau in Form von gemeinsamer Lärmtherapie zu betreiben. Sie haben sich allerdings anders entschieden, wie die morgen erscheinende EP Bloom beweist. Seit In A Box haben sie nicht weniger als 41 Songs geschrieben, und die 5 Beispiele, die sie hier präsentieren, kommen eine Neuerfindung dieser Band gleich. Es gibt Wärme statt Wut – oder, wie Kid Dad es selber nennen: „Bloom ist der Schritt zum Unverschleierten und weg vom Verkopften. Unser Epochenwechsel – von Surrealismus hin zur Pop-Art.“

Das wird vom ersten Ton dieser EP an klar. Er habe einen Nagel in der Stirn, bekennt Sänger Marius Vieth scherzhaft in der ersten Zeile des Auftakts Apartment, vielleicht hat diese Verletzung ja die radikale Veränderung bewirkt. In jedem Fall klingt das Quartett hier erstaunlich soft, manchmal in der Nähe von Blackmail, manchmal vergleichbar mit Marcy Playground, durch die zurückgefahrenen Gitarren gelegentlich sogar mit Erinnerungen an die Pet Shop Boys. Insbesondere am Ende hat der Song aber trotzdem viel Energie, und eine schöne Geschichte gibt es zu Apartment auch. „Im Sommer 2019 wohnte ich in derselben Straße wie meine Freundin. Jedes Mal, wenn ich aus dem Haus ging, konnte ich die gelben Vorhänge in ihrem Fenster wehen sehen. Das war meine Konstante. Aber am Ende des Sommers zog sie ans andere Ende der Welt, und der Nachmieter hat die Vorhänge mit hässlichen, blauen ausgetauscht. Die Dinger haben mich täglich daran erinnert, dass sie nicht mehr da war. Das hat mich tierisch aufgewühlt“, erzählt Marius Vieth.

Dieses Thema – Einsamkeit, ebenso ein Stachel im Fleisch, der immer wieder an die Abwesenheit von etwas Wichtigem erinnert, das vielleicht zum Glück führen könnte – findet sich auf Bloom immer wieder. In Wire & Guns verwandelt sich die Verzweiflung in Katharsis, und zwar zu einem so intelligenten, leidenschaftlichen und vielseitigen Sound, dass man den Vergleich zu Leoniden ziehen darf. Auch in Boat ist der Erzähler allein, allerdings hat er hier – Schopenhauer wäre stolz – nicht nur diese Tatsache, sondern auch alles andere und gar sich selbst vergessen. „I’m not fearful / I am nothing / anything but me / but I’m free“, heißt das dann. Boat ist zwar das rockigste Stück der Platte, hat aber wenig zu tun mit dem, was man klassischerweise mit diesem Adjektiv verbinden (oder nach dem Debütalbum dieser Band erwarten) würde. Hello? beschließt die EP ebenfalls mit einer Reflexion über Einsamkeit – hier gepaart mit der Erkenntnis, dass man diese auch ertragen kann, und verpackt in eine wunderschöne Atmosphäre.

Mit As Soon As America werden Kid Dad dann sogar noch politisch. „Es ist häufig von Gegenwind begleitet, wenn Künstler*Innen Länder, Staaten, System oder politische Konstrukte kritisieren – vor allem, wenn es nicht das eigene ist. Das wissen wir sehr gut und deshalb war es für uns stets ein schmaler Grat zwischen einem unreflektierten Fingerzeig auf andere und dem Verlangen danach, der eigenen Wut über Ungerechtigkeit, Leid und Unmenschlichkeit Luft zu machen“, erklärt die Band zu den Hintergründen. Natürlich hat jeder denkende Mensch angesichts von sozialer Ungleichheit, Waffenwahn, Bigotterie und Rassismus längst erkannt, dass ein blindes Bejubeln von allem, auf dem „Made in USA“ steht, unangebracht ist. „Wir lieben Kultur, wir lieben Freiheit, wir lieben die Menschen und viele Dinge an Amerika, aber wir wollen auch, dass die Schattenseiten ebenso im Bewusstsein stattfinden wie die neueste Blockbuster-Serie“, sagen Kid Dad. Wenn man geliebt wird, dann sollte es nicht für ein falsches (oder unvollständiges) Image sein, stellt der Song klar, zu einer berührenden Melancholie, die nicht aus Larmoyanz erwächst, sondern aus Analyse.

Das ist so mutig wie der neue Sound von Kid Dad, und dieses Risiko wird hier voll und ganz belohnt. „Bloom enthält die besten Songs, die wir je geschrieben haben“, sagt Marius Vieth nicht ohne Grund. „Wir sind unheimlich stolz auf unser Team und uns und dankbar für alles, was wir ermöglicht bekommen zu tun. Wir wünschen uns, dass diese EP der Schlüssel zu mehr ist. Mehr Menschen, mehr Interaktion, mehr Liebe.“

Eine wunderbare Wehmut prägt auch das Video zu Hello?

Website von Kid Dad.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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