Künstler | Kings Of Leon | |
Album | Youth & Young Manhood | |
Label | RCA | |
Erscheinungsjahr | 2003 | |
Bewertung |
Die besten Debütalben der Musikgeschichte, und Youth & Young Manhood ist so eines, entwickeln ihren Reiz und ihre Wirkung meist nicht nur wegen der Musik, sondern weil sie ein Narrativ, ein Image, ein Gesamtpaket mitliefern. Bei Kings Of Leon gilt das umso mehr. Als sie die Bildfläche betraten, hatten zwar schon The Strokes die Rockmusik zurück gebracht, The Libertines standen in der Blüte ihrer Kraft (die man damals noch für den Anfang ihrer Karriere hielt) und beispielsweise Ryan Adams hatte auch bereits eine Brücke zwischen den coolen Jungs mit Lederjacken und der Americana-Fraktion geschlagen. Der Sound der Familie Followill war dennoch auf geradezu schockierende Weise neu und ursprünglich.
Und dann hatte sie auch noch die passende Geschichte dazu zu erzählen. Drei Brüder und ein Cousin, unfassbar behaarte Hinterwäldler aus Tennessee, vermeintlich unverdorben von Glamour-Welt und Internet, stattdessen aufgewachsen als Söhne eines Predigers und musikalisch sozialisiert im Kirchenorchester. „Wir sind eine Country-Punk-Garage-Familienband“, hat Caleb Followill einmal gesagt, der Rolling Stone bezeichnete die Kings Of Leon später als „ewige, unzerstrittene Wohn- und Wertegemeinschaft“. Es wirkte, als seien die Jukka Brothers, die damals von MTV als Karikatur erfunden wurden, plötzlich cool und gutaussehend geworden und hätten auch noch einen ganzen Sack voller Hits geschrieben.
Die Vorstellung, man habe hier ein paar junge Männer um die 20, denen die teuflische Kraft des Rock‘N‘Roll geholfen hat, aus einem prüden, frommen, stockkonservativen Umfeld auszubrechen und die Welt zu erobern (und damit eines der wichtigsten Versprechen zu bestätigten, das noch heute Jungs und Mädchen zur E-Gitarre greifen lässt), ist vielleicht eher eine romantische Überhöhung war als Realität. Dass die Band selbst gar nichts mit den Traditionslinien anfangen konnte, in die sie damals gestellt wurde („CCR, Lynyrd Skynyrd und so. Wir hatten noch nie was von diesen Bands gehört, als wir unser erstes Album aufnahmen“, betont Caleb), kann man auch vernachlässigen. Denn Youth & Young Manhood klingt nun einmal so: Es ist „die beste, abgebrühteste, eklektischste, lärmigste, unverschämteste, schlaueste, lässigste, anmaßendste, schlampertste, melodischste und größte Debütplatte seit Surfer Rosa von den Pixies“, wie der Rolling Stone damals schwärmte.
Red Morning Light eröffnet die Platte und zeigt gleich alles, wofür Kings Of Leon hier stehen: Kraft, Dreck, Hormone. Die Stimme von Caleb Followill ist schon in der Strophe ungewöhnlich, im Refrain wird sie vollends verrückt und Aufsehen erregend. Die Kuhglocke sorgt ebenso für Schwung wie die herrlich bratzige Gitarre von Matthew Followill, in einigen Momenten hat der Song aber auch eine Lässigkeit, die manchmal an Unwillen grenzt, sich an dieser Musik überhaupt beteiligen zu wollen. Auch das folgende Happy Alone ist cool as fuck vom ersten Ton an. Das Lied entwickelt eine Beschleunigung, die nicht von der Band selbst zu stammen scheint, sie aber ebenfalls mitreißt. Und der Text passt herrlich zur Vorstellung ungehobelter, vielleicht auch ungewaschener Burschen vom Land. Man versteht längst nicht alle Worte, aber ein paar Fetzen lassen sich doch ausmachen, und die klingen gefährlich und sexy genug: „daughter“, „high heels“ „red lips“ „how crazy young love can be.“
Genius wirkt, als hätte jemand Countryrock genommen, das Tempo verdreifacht, Punk nicht als dessen Gegner, sondern Geistesverwandten erkannt und schließlich noch eine riesige Dosis Testosteron drüber geschüttet. Zugleich macht Youth & Young Manhood deutlich, wie verkürzt und irreführend die Einordnung der Kings Of Leon in dieses Genre ist. Was in der Strophe von Wasted Time passiert, könnte man „Rap“ nennen. Die Gitarrenakkorde sind schräg, die zweite Stimme sorgt ebenfalls eher für Disharmonie. Am endet schreit ein Rowdy im Hintergrund, all das ist mächtig bedrohlich und null geeignet für Charts, Radio oder auch die Jukebox in irgendeiner Spelunke in Nashville. Die Gitarre am Beginn von Californa Waiting lässt an Blondie denken, der Song insgesamt strotzt vor Vorfreude, Neugier und Abenteuerlust – und letztlich vor einem spektakulär eigenständigen Sound.
Molly‘s Chambers begeistert mit einem Killer-Riff, das seine Kraft aus der Primitivität schöpft und bietet im Refrain die vielleicht beste Melodie des Albums. So männlich das klingt, so sehr werden die vier Jungs (in diesem Lied ebenso wie in anderen Momenten des Albums) auch zum Opfer dieser Virilität. „When she gets into your head / you know, she‘s there to stay“, lautet die Warnung, denn die Frauen, die auf Youth & Young Manhood besungen werden, sind ebenfalls Draufgängerinnen, mit allen Wassern gewaschen, Femmes fatales. Joe‘s Head hat einen trockenen Groove, wie man ihn von Tom Petty kennt, auch die jangly klingende Gitarre passt dazu, bevor der Refrain ein trunkener Taumel wird. Das zunächst weitgehend akustische Trani lässt in der Phrasierung des Gesangs einen frühen Bob Dylan erkennen. Der scheint auch im folkig angehauchten und tatsächlich staubigen Dusty seine Spuren hinterlassen zu haben. „Thrills are cheap and love is divine“, heißt hier die zentrale Zeile, und man ahnt, dass es ebenso viel Spaß gemacht hat, zu dieser Erkenntnis zu gelangen, wie es Schmerzen bereitet hat.
Spiral Staircase fasst die famose Kraft dieser Platte vielleicht am besten zusammen: Es ist so wild und urwüchsig, als sei diese Rock‘N‘Roll-Sache gerade erst erfunden worden, und zwar von Kings Of Leon höchstselbst. Man meint die Scheune herauszuhören, in der diese Musik vielleicht entstanden ist, ebenso wie all die Kneipen, Clubs und Festivalbühnen rund um die Welt, von denen die Band damals vielleicht geträumt hat, und in denen sie fortan für Freude sorgen wird.