Film / TV

Kuhscheiße und Lebensretter

Katastrophen und Amüsantes, und für alles eine Karteikarte: Hape Kerkeling bei Menschen 2011. Foto: ZDF/Tobias Hase

Menschen 2011? Wer fällt Ihnen da zuerst ein? Gaddafi, Bin Laden, Guttenberg? Kachelmann, Vettel, Lady Gaga? Beim ZDF hat man eine andere Vorstellung davon, wer in diesem Jahr wichtig war. Nadine Schellenberger, Regina Mayer oder Sigrid Eichner zum Beispiel. Die eine hat in ihrem Restaurant das schwedische Königspaar nicht bewirtet, die andere reitet auf ihrer Kuh, weil sie sich kein Pferd leisten kann, und die dritte ist zwar schon 71 Jahre alt, aber noch immer passionierte Marathonläuferin.

Die Auswahl zeigt schon: Menschen 2011 ist ein Jahresrückblick der seichtesten Art. Wenn das Ganze nicht von Gebührengeldern finanziert wäre, würde man wohl einfach «Boulevard» dazu sagen. Es dauert eine Stunde, bis zum ersten Mal das Wort «Fukushima» fällt, die Schuldenkrise, der Arabische Frühling, der Ehec-Virus oder die Occupy-Bewegung finden in dreieinhalb Stunden Sendezeit gar keinen Platz.

Das alles wäre gar nicht schlimm. Schließlich werden die Welt, die Nachrichten und unser Leben glücklicherweise nicht nur von den wirklich bedeutenden Figuren geprägt. Die kleinen Geschichten, die ganz normalen Leute, die sagen manchmal viel mehr aus über unsere Zeit als die großen Schlagzeilen. Aber selbst für eine Jahresbilanz, die bunt, unterhaltsam und emotional sein will, ist Menschen 2011 schwach. Moderator Hape Kerkeling müht sich zwar redlich, den Spagat zwischen Katastrophen, Amüsantem und, naja, Glamour (Andrea Kiewel, Blacky Fuchsberger, Boris Becker) zu schaffen. Er begrüßt die internationalen Gäste gerne in deren Muttersprache, bedankt sich doppelt und dreifach bei jedem fürs Kommen und schafft es auch, zumindest ein bisschen Spontaneität in die Mammutsendung zu bringen. Aber die Show bleibt unsagbar bieder und wirkt, auch wenn zwischen Aufzeichnung und Ausstrahlung zwei Tage lagen, wie mit heißer Nadel gestrickt.

Dazu tragen nicht nur ärgerliche Tonprobleme bei (einem Eisverkäufer, der Ärger mit dem Finanzamt hatte und so in die Schlagzeilen geriet, fällt zu Beginn das Mikrofon ab; der Text des Lieds, das die Ulk-Volksmusiker Anneliese und Wolfgang extra für Menschen 2011 komponiert haben, ist kaum zu verstehen). Auch die Schnitte sind oft wirr, die Kameraführung ist unsauber und die Auswahl der Gäste und Nachrichten wirkt, als habe ein Praktikant ziemlich hastig in ein paar wahllos herausgepickten Ausgaben der Bild-Zeitung gewühlt.

Recht schnell hat man so den Eindruck: Diese dreieinhalb Stunden (immerhin 0,04 Prozent des Jahres) hätte man wirklich sinnvoller verbringen können. In schöner Regelmäßigkeit dürfen die Gäste im Studio noch einmal das erzählen, was der Zuschauer schon aus dem Einspieler kennt, in dem ihre Geschichte zuvor vorgestellt wurde. Es gibt misslungene Gag-Versuche (Hape Kerkeling schlüpft noch einmal in seine legendäre Rolle als Königin Beatrix, um herauszufinden, ob man im Gasthaus der Schellenbergers als Hochadliger grundsätzlich keinen Platz bekommt), belanglose Interviews (Wolfgang Bosbach) und modische Fehlgriffe (das Kleid von Tennisspielerin Andrea Petkovic).

Ein paar bewegende Momente hat die Show dann aber auch zu bieten. Bei Regina Mayer fließen Freudentränen, als sie erst auf ihrer Kuh ins Studio reitet, und dann vom ZDF ein echtes Pferd geschenkt bekommt (während die Kuh, womöglich aus eifersüchtigem Protest, ins Studio kackt). Die Studentin Johanna Spielberg, die mit ihrer Familie als Japan-Touristin den Tsunami im März erlebt hat, trifft ihren japanischen Lebensretter wieder. Der sagt dann zwar nur zwei Sätze, doch schöner hätte man selbst bei Bitte melde Dich authentische Freude und Dankbarkeit nicht in Szene setzen können. Mit Michael Benfante (der sich an seine Rettungstat im World Trade Center am 11. September 2001 erinnert) und Marcel Gleffe (dem deutschen Tourist, der beim Massaker auf Utoya mehrere Jugendliche auf seinem Boot in Sicherheit brachte) werden noch zwei weitere Lebensretter gewürdigt. Beeindruckend ist auch der Auftritt der Eltern des entführten und ermordeten Mirco. Wie gefasst sie von ihrem Schicksal erzählen, das nötigt Respekt ab.

Ein kleines bisschen Spannung gibt es sogar auch noch, wenn auch bloß zwischen den Zeilen. Denn über der ganzen Sendung schwebt der Schatten von Wetten Dass. Nicht nur, dass ursprünglich Thomas Gottschalk die Menschen 2011 moderieren sollte. Es gibt auch einen Auftritt von Samuel Koch, der seit seinem fatalen Auftritt bei Wetten Dass querschnittsgelähmt ist. Harald Schmidt spielt in einem vollkommen informationsfreien Interview auf Johannes B. Kerner als Kandidat für die Gottschalk-Nachfolge an, und Anneliese und Wolfgang bringen sich gleich selbst für diesen Job ins Gespräch. Zudem ist auch das Format von Menschen 2011, ebenso wie Wetten Dass, einst von Frank Elstner erfunden worden. Heute Abend musste man den Eindruck gewinnen: Wenn beide aus der deutschen Fernsehlandschaft verschwinden, wäre es wirklich nicht schade drum.

Bestes Zitat: «Der Sommer war so verregnet, dass man überall einen Rettungsschirm brauchte.» (Hape Kerkeling bringt dann doch noch irgendwie das Thema Schuldenkrise unter)

Quelle:
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«Menschen 2011» – Kuhscheiße und Lebensretter

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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