Kurt Prödel – „Frohe Weihnachten an alle, die das alles noch ertragen“

Künstler*in Kurt Prödel

Kurt Prödel Frohe Weihnachten an alle, die das alles noch ertragen Review Kritik
Zwei Kerzen und drei Songs hat Kurt Prödel auf seiner zweiten Solo-EP im Gepäck.
EP Frohe Weihnachten an alle, die das alles noch ertragen
Label Musikbetrieb ROCK
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Es ist spannend, wenn man sich in diesen Tagen noch einmal die Weihnachtsansprache von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aus dem Jahr 2020 anhört. „Wann kann ich meine Träume wieder leben?“, lautet sein erster Satz darin. Später stöhnt er „Was für ein Jahr!“ und erkennt an: „Fröhlich sind diese Weihnachten wahrlich nicht überall.“ Aus seinen Worten spricht aber auch die Hoffnung, das alles bald hinter sich lassen zu können. „Wir haben allen Grund zur Zuversicht“, sagt er, „Wir sehen das Licht am Ende des Tunnels heller werden“, lautet die Prognose und einmal wähnt er sich gar auf den „letzten Metern“ vor dem Ende der Pandemie. „Wir dürfen uns darauf freuen, dass wir das nächste Weihnachten wieder so feiern, wie wir es lieben“, schließt er dann.

Bekanntlich hat das nicht funktioniert. Corona nervt weiter, hat ein ganzes weiteres Jahr unserer Leben geprägt, ein Ende ist nicht abzusehen. Falls Steinmeier angesichts dieser Entwicklung gerade nach einem passenden Manuskript für seine Weihnachtsansprache anno 2021 sucht, könnte er deshalb vielleicht einmal bei Kurt Prödel vorbeischauen. Frohe Weihnachten an alle, die das alles noch ertragen, heißt dessen heute (nur digital) erscheinende EP, und das ist als Überschrift für die Feiertage ebenso geeignet wie der Satz aus dem Pressetext zu dieser Veröffentlichung zutreffend ist: „Das Lebensgefühl aus gestresster Langeweile und apokalyptischer Leichtfüßigkeit, das mit einer Pandemie einhergeht, begleitet uns momentan nonstop.“

Prödel selbst ist dabei beruflich noch deutlich besser durch die Pandemie gekommen als viele Kolleg*innen. Mit seinen Beiträgen für Studio Schmitt auf ZDFneo, dem Man lernt nie aus-Podcast auf Spotify, Hörbuch-Produktionen (Internet Detox, Auf den Grill sind alle Tiere gleich, Der Heiland), Videodrehs unter anderem für Money Boy und Haiyti, seine Mini-Webserie und nicht zuletzt den Job als Schlagzeuger bei The Screenshots, die seit 2018 gleich drei Alben vorgelegt haben, dürften seine Auftragsbücher ziemlich voll sein.

Frohe Weihnachten an alle, die das alles noch ertragen nimmt allerdings auch keineswegs nur den eigenen Umgang mit Corona in den Blick, sondern im Falle des Titelsongs nichts weniger als die Lage der Welt. Der (Schwipp?-)Bogen wird von Krieg zur Umweltzerstörung gespannt, zwischendurch darf über das Geschlecht des Wortes „Virus“ und die Folgen des Wechsels im Kanzleramt gerätselt werden. Das ist mit Schrammelgitarre und verschüchtertem Gesang entsprechend arrangiert, dazu kommen Klavier und eine zweite Stimme von Laura Totenhagen. Der Effekt ist natürlich: Man möchte sich verkriechen und einbuddeln, erst recht in einer Zeit, in der normalerweise Miteinander und Harmonie im Vordergrund stehen sollten. Das Maximum, das man – unser Staatsoberhaupt sollte sich da ein Beispiel nehmen – seinen Mitmenschen in so einer Situation noch in Aussicht stellen kann: „Vielleicht ein paar schöne Tage.“

Im folgenden Lieber Gott schüttet Kurt Prödel sein (Lebkuchen?-)Herz aus und lässt die Hosen vor der höchsten Instanz runter. Er beichtet, bittet um Verständnis (sogar in verschiedenen Sprachen) und gesteht: „Ich weiß überhaupt nicht, wer du bist / aber ich weiß doch auch nicht, wer ich bin.“ Seine Sünde scheint gar nicht der Unglaube zu sein, sondern die Tatsache, dass er ein verpeilter Mensch ist wie wir alle. Ohne seinen Klamauk-Filter wäre das natürlich naiv und eitel, so ist es bittersüß in seiner Balance aus Ironie und echter Selbstanklage. Böller (zentrale Zeile: „Sie wollen nicht, dass wir böllern, weil sie es nicht verstehen.“) beschließt die EP dann mit der Idee, das gemeinsame Entzünden von Sprengstoff sei das Romantischste, was man sich nur vorstellen kann.

Ebenso wie auf seinem Solo-Debüt Wie kann man mit sich selbst so zufrieden sein leben diese drei Songs von ihrer Spontaneität genauso wie von der vollkommen Abwesenheit der Angst, irgendetwas könne womöglich peinlich sein. Die Songs von Kurt Prödel sind weniger ausgearbeitet als beispielsweise die von Friedemann Weise, nicht so genialisch wie die von Helge Schneider und nicht so explizit böse wie die von Rainald Grebe. Aber gerade aus ihrer Unmittelbarkeit gewinnen sie ihre Wirkung.

Wenigstens im Video zu Frohe Weihnachten fällt in diesem Jahr etwas Schnee.

Kurt Prödel bei Instagram.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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