Kyla La Grange – „Cut Your Teeth“

Künstler*in Kyla La Grange

Kyla La Grange Cut Your Teeth Review Kritik
Die Kindheit von Kyla La Grange war eine wichtige Inspirationsquelle für „Cut Your Teeth“.
Album Cut Your Teeth
Label Sony
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Zwei Dinge sind besonders erstaunlich, wenn man auf Cut Your Teeth blickt, das zweite Album von Kyla La Grange. Erstens: Der erstaunliche Wandel im Sound, der hier seit ihrem Debüt Ashes (2012) stattgefunden hat. Statt Rock mit erkennbaren Singer-Songwriter-Wurzeln gibt es viele elektronische Einflüsse, zurückzuführen vor allem auf Produzent James „Jakwob“ Jacob (zu seinen Referenzen gehören etwa Remixe für Lily Allen, Usher oder Lana Del Rey), mit dem die meisten der Tracks entstanden sind, sowie weitere Mitstreiter wie Jas Shaw (Simian Mobile Disco) und Igor Haefeli (Daughter). Zweitens: dass diese Platte nicht mehr Impact hatte und bis heute der letzte Longplayer der Künstlerin aus Watford geblieben ist.

Denn der Sound von Cut Your Teeth passte bei Veröffentlichung der Platte 2014 eigentlich perfekt in den Zeitgeist und kann auch heute noch locker mit artverwandten Künstler*innen wie Foxes, Marina & The Diamonds, Ellie Goulding oder den oben genannten mithalten. Und eine interessante Geschichte hatte Kyla La Grange damals auch zum Entstehen dieser Lieder zu erzählen.

Seinen Anfang nahm das Werk, als sie einen Teil des Winters bei ihren Großeltern und einer Tante in Südafrika verbrachte. Sie schrieb dort die ersten neuen Songs, aber nicht auf der Gitarre wie bisher. „Meine Mutter entdeckte ein altes Keyboard, das ich hatte, als ich 12 war, mit all diesen idiotischen, aber wirklich guten Sounds — Xylophon, Kalimba und Samples aus den 80ern. Es war wirklich ein Spaß“, erinnert sie sich. „Es erinnerte mich an die Zeit, als ich jünger war und meine Freunde immer in meinen Keller gezwungen habe, um dort in einer Ecke Songs mit mir zu schreiben.“

Die Idee von „Keyboard und Computer statt Gitarre und Garage“ wurde verstärkt, als die Zusammenarbeit mit James Jacob begann, der sie zunächst als Sängerin für einen seiner eigenen Tracks angefragt hatte. „Es lief wirklich gut und ich mochte seine Produktionen sehr. Deshalb fragte ich ihn, ob er einen meiner neuen Songs, nämlich Cut Your Teeth, mit mir produzieren wollte. Also machten wir diesen Song und ich spielte ihn meinem Manager und dem Team vom Label vor, und sie fanden ihn alle großartig“, erzählt sie. So wurde „Jakwob“ dann gleich für das ganze Album verpflichtet. Kein Wunder: Der Track hat viel Sensibilität und einen faszinierend düsteren Charakter, zugleich viel Kraft.

Inhaltlich geht es in Cut Your Teeth um ein Kind, mit dem geschimpft wird, und auch für den Rest des Albums hat Kyla La Grange bei ihrem Aufenthalt in Südafrika nicht nur die Instrumente („Ich wollte ein bisschen von diesem ,Ich-bin-im-Keller-mit-Garageband-und-einem-abgerockten-Keyboard‘-Gefühl aufrecht erhalten.“), sondern auch die Themen aus ihrer Vergangenheit wieder entdeckt. „Es brachte eine Menge von Songs dieser Zeit wieder hervor, und all die Geschichten, die andere Kinder mir erzählten, als ich aufwuchs, und all die Leute, die ich damals getroffen habe.“

So erzählt I‘ll Call For You von der Angst vor dem Tod, die man schon in sehr jungen Jahren empfinden kann, zu einem stoischen Beat, der vielleicht ein Herzschlag sein soll. White Doves beruht auf einem Kindheitserlebnis, als sich die kleine Kyla Grange in ein Zimmer einschlich, um dort Süßigkeiten zu klauen – obwohl in dem Raum angeblich ein toter Mann liegen sollte. Das setzt sie nun mit ein paar exotischen Elementen im Beat um, die zu einem angedeuteten Voodoo-Gefühl beitragen. In Fly blickt sie auf Mobbing unter Jugendlichen, zu erstaunlich ruhigen Klängen, bei denen aber eine Spur von großem Drama unter der Oberfläche lauert.

Wer sich nun Sorgen macht, ob da vielleicht das eine oder andere Trauma aufzuarbeiten sein könnte, kann beruhigt sein. „Persönlich bin ich glücklich“, betont Kyla La Grange. „Es sind zwar einige weniger fröhliche Songs auf dem Album, aber sie sind größtenteils aus beobachtender Perspektive geschrieben. Ich werde immer über dunklere Themen schreiben, weil es ziemlich langweilig ist, über schöne Dinge zu schreiben.“ Zum Glück trägt zum einen bei, dass sie seit Ashes gereift ist. „Die emotionale Intensität des ersten Albums, das ich so stark gefühlt habe, ist nicht da. Das war die Verzweiflung eines Teenagers. Dieses Mal denke ich eher: Oh mein Gott, mir geht es tatsächlich gut.“ Zum anderen war auch der Entstehungsprozess für Cut Your Teeth viel angenehmer. „Mein erstes Album aufzunehmen, dauerte Jahre und war ein wirklicher Kampf. Ich war so besessen von Beziehungen auf diesem Album, dass alles nur um Herzschmerz ging. Wenn du unglücklich bist, kannst du über nichts anderes schreiben. Bei Ashes habe ich mir viel von der Seele geschrieben, und das unter Tränen. Ich steckte so drin in der ganzen Sache. Dieses Mal war alles so viel kreativer und schöner. Ich war nicht deprimiert. Das befreit dich und du kannst über andere Dinge schreiben. Dieses Album zu machen, war viel einfacher.“

In der Tat kann man hier trotz des erstaunlichen Wandels im Vergleich zum Debüt und trotz des erkennbaren Bestrebens, neues Territorium zu erkunden, den Eindruck haben, eine Künstlerin habe sich selbst gefunden. Das gilt etwa in Maia, das basierend auf der Melodie einer akustischen Gitarre eine gespenstische Atmosphäre angesichts der drohenden Apokalypse entwickelt, auch durch den heiser-gehauchten Gesang, zugleich aber viel Drive hat. Steeldrums wie in The Knife (über Menschen, „die sich über eine Beziehung definieren und nichts mehr haben, wenn diese zu Ende ist“) passen ebenso gut zu Kyla La Grange wie das Spiel mit mehrstimmigem, von Effekten verfremdetem Gesang wie in Get It oder besonders melodieverliebte Songs wie I Don’t Hate You, das so plakativ wird wie der Titel, aber nicht plump.

Wenn es besonders intensiv wird, klingt sie manchmal wie Lana Del Rey, so etwa in Cannibals, womit sie Pärchen meint, „die so ineinander verschlungen sind, dass es so scheint, als würden sie sich gegenseitig aufessen“. Das beste Lied ist Never That Young (feat. Jinnwoo), dessen toller Atmosphäre man auch die Eighties-Vorliebe von Kyla La Grange anhört.

„Ich bin einfach nur glücklich, dass ich das Album gemacht habe“, schwärmte sie 2014 über das Ergebnis. „Ich kann nicht glauben, dass ich in meinen Zwanzigern bin und wirklich Musik mache — das ist so cool. Ich war nie eine Künstlerin, deren Ruf auf Hits oder Hype aufbaute. Ich hatte nie große Erwartungen. Ich liebe es einfach, Songs zu schreiben und Musik zu machen. Und wenn dieses Album ankommt, großartig — denn das bedeutet, dass ich noch eins machen kann.“ Angesichts der verhaltenen Rezeption von Cut Your Teeth klingt das heute natürlich ein wenig tragisch. Aber Kyla La Grange ist jung und in jedem Fall talentiert genug, damit vielleicht die Sache mit „Aller guten Dinge sind drei“ bei ihr noch funktionieren könnte.

Die Lust auf Grusel prägt auch das Video zu Cut Your Teeth.

Website von Kyla La Grange.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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