Künstler*in | Kynda Gray | |
Album | Der Teufel auf meiner Schulter sagt es wird alles okay | |
Label | Division | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
In der Rockmusik ist das ja auch passiert. Rock’N’Roll war ursprünglich der Klang von Männern, die der Welt mitteilen wollten: Ich bin der Größte / habe den Größten, ich kriege / hatte sie alle, lege dich bloß nicht mit mir an! Dann fingen irgendwann Leute an, über ihre wahren Gefühle, Schwächen und Neurosen zu singen. Emo-Rock.
Im Rap, der per se ebenfalls erst einmal für Unantastbarkeit und Prahlerei steht, ist diese Entwicklung schon längst angekommen, von Eminem bis Sido. Statt der Persona, also einem MC, der sich als maximal geil, reich und hart inszeniert, lernen wir so die Person kennen, also einen echten Menschen, mit Ängsten, Zweifeln und Enttäuschungen. Dieser Emo-Rap ist also keineswegs schlimm und bereichert letztlich ein Genre, das sonst in Eindimensionalität zu versinken drohte.
Männer (und natürlich auch Frauen) dürfen also über ihre Gefühle rappen, über Liebeskummer, Beziehungsstress, Depression und Schlaflosigkeit, wie es Kynda Gray hier auf seinem Debütalbum tut. Das Problem von Der Teufel auf meiner Schulter sagt es wird alles okay ist, wie er das tut – nämlich erstens verschämt und zweitens schlecht.
Das Hauptproblem dieser von Alexis Troy produzierten Platte ist dabei der penetrante Einsatz von Auto-Tune. Nicht unbedingt, weil der Schritt zum Overkill beim Einsatz dieses Effekts im Rap generell längst überschritten ist. Sondern vor allem, weil es schlicht absurd und feige wirkt, wenn Kynda Gray inhaltlich behauptet, einen Seelenstriptease hinzulegen, und sich dann nicht einmal traut, das mit seiner eigenen (nicht durch einen Effekt verfremdeten) Stimme zu tun. Akustisch wird er so – auch wegen der Omnipräsenz von Auto-Tune in aktuellen Rap-Produktionen – eben doch zur Persona.
Das fällt umso mehr ins Gewicht, weil man bei den beiden Gastauftritten auf Der Teufel auf meiner Schulter sagt es wird alles okay, in denen man echte Stimmen statt Auto-Tune hört, sofort merkt, wie viel mehr emotionale Tiefe dann entsteht. Das sind erstens der Part von Labelkollege RIN in Ayo Technology, der schon im Vorjahr veröffentlichten Kollabo als Hommage an die gleichnamige 2007er Single von 50 Cent, Justin Timberlake und Timbaland. RIN liefert hier auch keine lyrische Meisterleistung ab, bringt aber sofort Wärme und Unmittelbarkeit in diesen Track. Zweitens Dark Matter, in dem eine in den Credits leider nicht aufgeführte Frauenstimme sich als große Bereicherung erweist.
Erschwerend hinzu kommt der Verdacht, dass Ramon Striess, so sein bürgerlicher Name, den Verfremdungseffekt auf der Gesangsspur auch nutzt, um von textlichen Schwächen abzulenken. Wenn ein Reim unrein ist oder das Metrum nicht ganz passt, dann wird die Stimme eben so extrem moduliert, dass man das nicht so sehr merkt – bis zu dem Punkt, an dem man vor lauter Auto-Tune den Text nicht mehr verstehen kann. Dieser Trick funktioniert aber nicht, weil hier lyrisch einfach zu viel nicht passt. „Tryptophan“ reimt sich eben nicht auf „Wie schnell ich fahr“ (Immer wenn du weinst), und „all over your body“ reimt sich weder auf „Tageslicht“ noch auf „Fassade“ (Sucht). Dieses Beispiel zeigt auch: Die textlichen Schwächen sind umso gravierender, weil sich Kynda Gray auch die Freiheit nimmt, Deutsch und Englisch zu mischen, er also letztlich viel mehr Möglichkeiten hätte, passende Reime im Wortschatz beider Sprachen zu finden.
Neben der sprachlichen Präzision fehlt es diesem Album auch an Konzentration und Qualitätskontrolle. Statt ein Dutzend perfekt ausgearbeiteter Tracks zu liefern, packt der Mann, der als bester Newcomer Act für die 1LIVE Krone nominiert war, gleich 17 Stücke auf diese Platte, die im Durchschnitt dann bloß 2:42 Minuten lang sind. Offenkundig herrscht hier das Arbeitsprinzip „Ich habe eine Idee, ich mache daraus spontan einen Track, dann passt das schon“ statt „Ich habe eine Idee, ich arbeite sie aus, ich verbinde sie vielleicht mit anderen Ideen, die ich auch noch habe, und dann prüfe ich noch einmal, ob das funktioniert oder vielleicht noch einmal überarbeitet werden muss.“
Dazu passt auch, dass die Stücke textlich stets ausplätschern. Es gibt bei Kynda Gray keine Lösungen, keine Antworten, auch keine Katharsis. Ein Problem, eine Krise oder eine Enttäuschung werden beschrieben – und fertig. Dass er damit wenig erwachsen wirkt und man ihm raten möchte, die Suche nach einfachen Lösungen (Religion, Drogen) lieber heute als morgen aufzugeben, teilt er mit vielen anderen Emo-Rappern, das macht dieses Defizit aber dennoch nicht kleiner.
So bleiben letztlich nur ein paar gute Einfälle und Melodien sowie die sehr gute Produktion von Alexis Troy, bei der vor allem die Momente herausragen, in denen er es schafft, Elemente von RnB (wie im sehr heiteren Numb, das zu Cro passen würde) oder Rock einzubinden wie in Room 706, das an Linkin Park denken lässt, oder Pray, das an der Ästhetik von Aerosmiths Dream On orientiert zu sein scheint.
Das ist die (für Kynda Gray) schlimmste Erkenntnis an diesem Album: Würde man zu dieser Musik irgendwelche Texte von irgendwelchen anderen Rappern packen, wäre sie auf keinen Fall schlechter. Kynda Gray, der hier ein Statement setzen und sich selbst definieren will, bleibt letztlich austauschbar.
Nein, auf gar keine Fall. Eins der besten Pop-Alben die ich je gehört habe. Die 2. Hälfte ist einfach mega.
Hör nochmal, dreh die Anlage laut. Lass einfach wirken.
Ich glaube der Künstler war hier mutig: Er hat es einfach genauso gemacht: Lass loofen.
Er hat auf genauso solche Rezensionen geschissen, als Emo Rapper tituliert zu werden.
Vielleicht gefällt mir aber auch einfach dieser Musikstil. Und wenn schon, er ist ein Meister darin.
Da klingen 1-2 Titel als ob sie vom frischen depeche mode Album stammen.
Scheiß doch ma auf autotune. Es ist ein Mittel, mehr nicht.
Grüße,
Daniel