Lakes – „Start Again“

Künstler Lakes

Lakes Start Again Review Kritik
„Start Again“ darf man bei Lakes durchaus als Motto begreifen.
Album Start Again
Label Big Scary Monsters
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Ausnahmsweise soll an dieser Stelle einmal Donald Trump zitiert werden. Er twitterte am 28. März 2020 in Bezug auf die Corona-Pandemie: „Wir werden diesen Krieg gewinnen. Wenn wir den Sieg erringen, werden wir stärker und geeinter sein als zuvor.“ Bekanntlich war das für die gut 600.000 Amerikaner, die Covid-19 mittlerweile zum Opfer fielen, wieder einmal gelogen. Nachweislich ging die Geschichte auch für den (damals noch) US-Präsidenten nicht gut aus. Der Tweet zeigt dennoch einen Gedanken, der damals noch weit verbreitet war: Man könnte diese Krise nutzen, um daran zu wachsen. Wenn man es nur richtig anstellt.

Lakes haben genau das mit ihrem heute erscheinenden Start Again gemacht. Nach den EPs The Tahoe (2018) und The Geneva (2019) sowie dem ersten Longplayer The Constance LP (2019) hatten Matt Shaw (Schlagzeug, Gitarre), Roberto Cappellina (Gesang), Blue Jenkins (Gesang, Glockenspiel, Keyboards), Rob Vacher (Gitarre), Gareth Arthur (Gitarre) und Charlie Smith (Bass) natürlich auch zunächst einige Herausforderungen zu meistern. „Es war schwierig, all die verschiedenen Lockdowns und Einschränkungen einzuhalten, deshalb haben wir in Schüben aufgenommen, hier und da. Das Schlagzeug habe ich im letzten Sommer im Tanzstudio eines Freundes in Watford aufgenommen, das gerade nicht genutzt wurde. Alle anderen Instrumente wurden bei mir zu Hause eingespielt, den Gesang haben Roberto und Blue selbst bei sich zu Hause aufgenommen“, erzählt Bandgründer Matt Shaw über den Entstehungsprozess.

Dass Start Again überhaupt zustande kam und nach Meinung der Band sogar „die perfekte Art und Weise, eine Lockdown-Platte zu machen“ repräsentiert, hat viel mit Produzent Neil Strauch zu tun, dem all die einzelnen Tracks dann per Google Drive aus England nach Chicago geschickt wurden. „Er hat aus allem einen Sinn gemacht und dafür gesorgt, dass es gut klingt! Er war schon sehr früh in die Arrangements und Songstrukturen involviert, und in den vergangenen Monaten gab es ein ständiges Hin und Her mit ihm, weil er Ideen für Verbesserungen und Änderungen hatte. Es war ein sehr unterhaltsamer Prozess und es war toll, mit jemandem zu arbeiten, der einige unserer Lieblingsalben mitgestaltet hat – Owen, Owls, Joan Of Arc, Anathallo, Slow Mass und so weiter“, sagt Shaw.

Dass man es hier mit erschwerten Entstehungsbedingungen zu tun hat, hört man dem zweiten Album des Sextetts tatsächlich in keinem Moment an. Blind eröffnet die Platte, man könnte meinen, es handele sich dabei um ein gemeinschaftliches Aufwärmen, ein Ritual, um zueinander zu finden, bevor es richtig los geht. Das folgende No Excuses ist dann die eigentliche Initialzündung: heiter, zackig, mit schönem zweistimmigen Gesang und so cleverer Gitarrenarbeit, dass man wehmütig an Good Shoes denken muss. Der Song ist zugleich einer von mehreren, die so direkt und kurzweilig werden, dass man beinahe Komplexität und Ideenreichtum überhören kann.

„Ich glaube, dass wir viel mehr mit Sounds experimentiert haben als bei der ersten Platte“, sagt Shaw. „Beim letzten Mal hatte ich diese dumme Vorgabe, dass die Gitarren immer clean sein sollten – kein Overdrive, was auch immer. Aber als wir neue Mitglieder hinzugenommen und den Sound weiterentwickelt haben, haben wir all diese neuen Klänge und Texturen aufgenommen, und das ist so viel aufregender!“ Man hört diese Vielfalt etwa in Matches, das beweist: Lakes können filigran und heavy sein, und auch binnen weniger Sekunden von der einen Stimmung in die andere wechseln. Mirrors changiert ebenso gekonnt zwischen dramatisch und beschaulich und klingt wie eine Definition von intelligentem Emo.

Denn bei allem Willen, konstruktiv mit den Folgen der Pandemie umzugehen, bleibt das natürlich Musik, die keineswegs naiv optimistisch ist. „Diese Sammlung von Songs war für alle sechs von uns in gewisser Weise ein Mittel zur Heilung, daher gibt es viele verschiedene, aber rohe Themen auf der Platte. Auch wenn wir derzeit alle voneinander isoliert sind, ist die eine Person, der man nicht entkommen kann, man selbst“, sagt Sänger Roberto Cappellina. „Wir sprechen über alles, von psychischer Gesundheit bis hin zu Sucht, von beendeten Liebesbeziehungen über die Trennung von schlechten Freunden bis hin zur postpartalen Psychose. Wir waren schon an einigen dunklen Orten, aber letztendlich geht es bei Start Again darum, auf der anderen Seite wieder herauszukommen. Auf dieser Platte geht es darum, sich dieser Dunkelheit zu stellen, sie zu akzeptieren und die Vergangenheit loszulassen. Es geht darum, damit Frieden zu schließen und vorwärts zu gehen, und zu sagen, dass es in Ordnung ist, neu anzufangen.“

Der Titelsong als Highlight der Platte zeigt dieses Ethos unter anderem durch den Chorgesang und die simple Orgelmelodie am deutlichsten: Wer hätte gedacht, dass ein Lied so mitreißend, fast verspielt und übermutig klingen kann, das vom Überwinden von Panikattacken handelt? Auch Talk! hat einen ähnlichen Charakter. Das Stück zieht das Tempo noch etwas an und hat so viel Freude an Eingängigkeit (einschließlich Handclaps und einem hineingerufenen „Hey!“), dass man sich ein paar Sekunden davon von Wheatus vorstellen könnte.

In Retrograde sind der Harmoniegesang und das Glockenspiel besonders prominent, zudem hat das Lied eine tolle Dynamik. Peace, in dem Blue Jenkins ihren großen Auftritt hat, lebt von seiner Sensibilität, im Refrain aber auch von einem faszinierenden Groove. Get Better kombiniert Call and response der beiden Stimmen mit einem sehr guten Drive. Im Album-Abschluss Animals sorgt die spannende Gitarre ebenso wie der ungewöhnliche Rhythmus dafür, dass der Gesang nicht vom eigenen Schönklang eingelullt wird – und das Ergebnis ist erneut umwerfend.

Besonders erfreulich an Start Again ist nicht nur, wie kreativ die Band damit die Corona-Einschränkungen bewältigt hat, sondern auch, dass dies augenscheinlich aus dem tiefen Willen gespeist ist, sich nicht unterkriegen zu lassen und all den Zusammenhalt, all die Bestätigung und all die Zuneigung, die Lakes seit den ersten Aufnahmen vor fünf Jahren erfahren haben, auf keinem Fall einem gerade einmal 140 Nanometer großen Virus opfern zu wollen. Das kann man in diesen zwölf Songs ebenso heraushören wie in dieser Aussage von Roberto Cappellina: „Es ist unfassbar, was uns seitdem passiert ist. Das hätten wir nie kommen sehen.“

Band-Cating in Pandemie-Zeiten: das Video zu Start Again.

Website von Lakes.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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