Lanterns On The Lake – „Spook The Herd“

Künstler Lanterns On The Lake

Lanterns On The Lake Spook The Herd Review Kritik
Lanterns On The Lake scheinen auf „Spook The Herd“ zu sich zu finden.
Album Spook The Herd
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Manchmal passiert das Besondere ganz unverhofft. Lanterns On The Lake haben sich sehr lange sehr intensiv darüber Gedanken gemacht, wie sie genau klingen wollen, wo ihr Zuhause auf der Landkarte zwischen Dream-Pop und Post-Rock ist und was dabei ihr Alleinstellungsmerkmal sein könnte. Das Quintett um Sängerin und Songwriterin Hazel Wilde hat dabei versucht, vieles mit sich selbst auszumachen. „Wir sind in unserer Arbeitsweise eine ziemlich in sich gekehrte Band. Es fällt uns nicht gerade leicht, anderen Leuten zu vertrauen und sie einzubinden,“ sagt sie. Für Spook The Herd, das vierte Album, haben sie es aber gewagt. Erstmals haben Lanters On The Lake eine Platte in einem externen Studio aufgenommen, und zwar innerhalb von drei Wochen in den Distant City Studios in Yorkshire. Und siehe da: Es hat wunderbar funktioniert. „Es war wie eine Befreiung. Die Frage, welche Art von Band wir sein wollten, verschwand einfach. Stattdessen fühlte es sich an, als könnten wir einfach tun, was wir wollen“, sagt Gitarrist Paul Gregory, der Spook The Herd auch produziert hat.

In der Tat ist dieser Eindruck von Intuition sehr prägend für die Platte, er wird indes kombiniert mit einem sehr scharfen Blick auf Abgründe, die sich in der eigenen Person ebenso erkennen lassen wir in aktuellen gesellschaftlichen Problemfeldern (der Albumtitel verweist auf die Mechanismen von Ideologien und Populismus). When It All Comes True eröffnet das Album elegant und melancholisch, das ungewöhnliche und sehr prominente Schlagzeug von Ol Ketteringham sticht heraus, erst ganz am Ende wird wieder die Klaviermelodie erkennbar, auf der das alles beruht. Auch im folgenden Baddies sollen die Trommeln nicht in erster Linie für ein rhythmisches Fundament sorgen, sondern für Aufsehen und Atmosphäre, der Bass von Bob Allan setzt dazu interessante Kontrapunkte, die Gitarre changiert zwischen verträumt und schroff, die Stimmungen schwanken so schnell, wie man das bei der knappen Erkenntnis “You’re up, you’re down” erwarten darf, und das Ergebnis ist höchst spannend.

In Every Atom will Hazel Wilde sogar die Gesetze der Natur außer Kraft setzen, um eine geliebte Person wiederzusehen. „Es ist ein Lied über die Trauer und darüber, dass das Unterbewusstsein sehr lange braucht, bis es akzeptiert hat, dass jemand tot und für immer verschwunden ist – auch wenn deine rationale Seite das längst verstanden hat. Ich habe für den Song mein Unterbewusstsein zum Erzähler gemacht, der in einer Traum-artigen, fiktionalen Welt jemanden sucht. Um auch nur eine kleine Spur dieser Person zu finden, durchsucht er Raum und Zeit und teilt schließlich jedes Atom“, erklärt sie. Man hört diese Entschlossenheit in diesem wundervollen Stück ebenso heraus wie die Sehnsucht.

Swimming Lessons lässt viel Raum, in dem sich unter anderem die sehr schöne Viola von Angela Chan breit machen kann. Blue Screen Beams verströmt eine Unruhe, die nicht die Kraft dieses Songs mindert. In This Is Not A Drill sorgt eine einzelne Klaviernote für Struktur, was auch bitter nötig ist, denn Gesang und Schlagzeug scheinen wieder nahe vor dem Kollaps oder einer Eruption zu sein. Before They Excavate klingt wirklich wie der Soundtrack zum Moment kurz vor dem Ende der Menschheit. Fast könnte man meinen, die verzweifelte Leidenschaft von Amy Winehouse werde hier mit den eleganten Mitteln von Adele gepaart, aber letztlich passt keiner dieser Vergleiche, weil Lanterns On The Lake dafür viel zu eigenständig sind.

Secrets & Medicine erweist sich als eine (fast) lupenreine Klavierballade. Alles darin ist reduziert, nur nicht der Kummer, der aus der Zeile “I guess you know the ending by now” spricht. Den Abschluss von Spook The Herd macht das ebenfalls spartanische A Fitting End. Es stellt die Fähigkeiten von Hazel Wilde als Sängerin (und Texterin) in den Mittelpunkt – und dann, als sich alles zu erstaunlicher Größe aufgeschwungen hat, die Fähigkeit dieser Band zu Drama und tollen Arrangements. “What a die-for moment this turned out to be”, heißt eine Zeile darin. Manchmal passiert das Besondere eben ganz unverhofft.

Ganz intuitiv wirkt auch diese Live-Version von When It All Comes True.

Website von Lanterns On The Lake.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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