Künstler | Laura Marling | |
Album | Live From York Minister | |
Label | Virgin | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
Als beste Solokünstlerin des Jahres wurde Laura Marling 2011 bei den Brit Awards gekürt. Die Auszeichnung hatte sie vor allem ihrem zuvor erschienenen dritten Album A Creature I Don’t Know zu verdanken. Der Telegraph vergab dafür 5 von 5 Sternen, Mojo und Uncut wählten die Platte jeweils auf Platz 11 ihres Jahresbestenliste, der NME pries das Werk als „einen emotionalen Triumph“.
Ihre Plattenfirma Virgin legte A Creature I Don’t Know deshalb wenig später noch einmal neu auf und packte Live From York Minister als Bonus-CD dazu. Der Mitschnitt eines Konzerts aus dem Oktober 2011, also mitten in der ersten Welle der Lobeshymnen, enthält 16 Songs, darunter fast alle vom damals aktuellen Album und einige Stücke der beiden Vorgänger Alas, I Cannot Swim (2008) und I Speak Because I Can (2010). Diverse Records brachte Live From York Minister 2012 dann auch als eigene Platte heraus, 2017 erschien das Livealbum zum Record Store Day noch einmal auf Vinyl. Durch die Tracklist hat das, zumindest für die erste Karrierephase der Sängerin, durchaus so etwas wie Greatest-Hits-Charakter.
Den Auftakt machen die beiden Songs, die auch A Creature I Don’t Know eröffnen, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. I Was Just A Card leitet das Konzert mit Streichern und Bläsern ein, dann erklingt diese sagenhaft klare Kopfstimme und frohlockt: „I never found a solid man / ‘til I found that man of mine.“ Natürlich bleibt es nicht bei diesem Glücksgefühl, und auch nicht bei den üblichen Unplugged-Sounds und Folk-Koordinaten, die Laura Marling mit ihrem dritten Album ohnehin weitgehend hinter sich gelassen hat. Schon die Strophe von I Was Just A Card ist hörbar jazzig, auch dem folgenden The Muse hört man die Lust darauf förmlich an, aus diesem braven Setting mit akademisch geschulten Musikern, sitzendem Publikum und höflichem Applaus auszubrechen.
Der Schauplatz, eine gotische Kathedrale, scheint für die Sängerin dabei einen zusätzlichen Nervenkitzel zu bereiten, denn Religion spielt in ihren Texten zwar durchaus eine Rolle, von Frömmigkeit kann indes keine Rede sein. „God’s work is bland“, heißen die ersten Zeilen in The Muse. Den Refrain von Ghosts kann man als den Versuch interpretierten, sich der überbordenden Romantik zu erwehren, der sie da von einem liebestollen Verehrer ausgesetzt wird: „Lover, please do not fall to your knees / it’s not like I believe in everlasting love“. Man kann darin aber auch das Prinzip erkennen, sich stets ein Recht auf Zweifel zu bewahren, das auch nicht wirklich in ein Gotteshaus passt. Das gilt auch für Sophia mit seinem beinahe selbstvergessenen Gitarrenpicking und der Erkenntnis: Zur Autonomie gehört auch das Recht, sich seine Geheimnisse zu bewahren. The Beast beginnt extrem reduziert, baut dann mächtig Spannung auf und erreicht am Ende sogar echte Boshaftigkeit: Der, mit dem sie hier ins Bett geht, könnte der Teufel persönlich sein.
Der sehr erwachsene Charakter dieser Lieder war ein wichtiges Argument für den Jubel, den die damals gerade 21-Jährige auslöste. Hört man Live From York Minister heute, wirkt das zugleich zutreffend wie überholt: Die Songs sind oft zeitlos, erfüllt mit viel Persönlichkeit und doch Teil eines ewigen Kanons. Salinas macht klar, warum Laura Marling so häufig mit Joni Mitchell verglichen wurde: Das Lied ist zu Beginn sehr sinnlich, am Ende dann episch. Alpha Shallows verweist auf eine Traditionslinie, die bis Donovan und weit darüber hinaus reicht. What He Wrote behandelt Sünde, Brutalität und Glaube in einer Weise, wie das auch Leonard Cohen häufig getan hat.
In Goodbye England darf ihr Gesang fast alleine das Rampenlicht einnehmen, stellenweise ist das Lied fast acappella. Flicker And Fail hingegen setzt auf vergleichsweise kraftvolles (und sehr kreatives) Gitarrespiel. Blues Run The Game fügt diese beiden Elemente zusammen und zeigt damit vielleicht am deutlichsten die Essenz von Laura Marling: Stimme, Melodie, Atmosphäre – und natürlich Poesie, was Zeilen wie „Living is a gamble, baby / loving’s much the same“ überdeutlich machen. Wie geschickt sie auf Live From York Minister ihre siebenköpfige Band als Bereicherung dieses Fundaments einsetzt, illustriert beispielsweise My Friends: Schuldgefühle werden hier zu Frust, dann zu Leidenschaft, dann zur Erlösung – und das Arrangement findet stets eine wundervolle Entsprechung dafür.
Don’t Ask Me Why erzählt von der beschwerlichen Suche nach Glück und Authentizität, die man einfach nicht aufgeben kann, auch wenn das manchmal verlockend erscheinen mag. Night Terror bekommt Extra-Applaus für das Pfeifen von Laura Marling am Ende, das in diesen leidenden Grundton allerdings auch keine Leichtigkeit hineinzubringen vermag. „It’s hard to accept yourself as someone you don’t desire / as someone you don’t want to be“, singt sie in Rambling Man und beschließt daraufhin offensichtlich, freiwillig zum Opfer werden. Als All My Rage das Konzert sehr energisch zum Ende bringt, kann man sich lebhaft vorstellen, wie viel Ausgelassenheit und Euphorie und Dankbarkeit sich beobachten lassen wird, wenn sie das zum Abschluss eines Sets nicht in einer Kirche, sondern auf einer Festivalbühne spielen wird. Auch dieses Lied zeigt, wie der gesamte Abend: Sie wirft sich nicht so sehr in die Geschichten, die diese Lieder erzählen, sondern in die Gefühle, die in ihnen stecken.