Laura-Mary Carter – „Town Called Nothing“

Künstler*in Laura-Mary Carter

Laura-Mary Carter Town Called Nothing Review Kritik
Laura-Mary Carter legt ein Mini-Soloalbum vor.
Album Town Called Nothing
Label Jazz Life
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Laura-Mary Carter ist ein rastloser Geist. Seit 17 Jahren ist sie eine Hälfte der Rockband Blood Red Shoes, was diesem Wesen natürlich entgegen kommt, schließlich ist sie gemeinsam mit Steven Ansell in diesem Duo quasi permanent auf Tour. Als das während der Pandemie nicht mehr möglich war, entschied sie sich bezeichnenderweise zu einem Umzug aus London nach Los Angeles. Und auch auf der anderen Seite des großen Teichs blieb sie enorm umtriebig. Vielleicht liegt ihr das einfach im Blut: Schon ihre aus Irland stammende Familie war sehr viel unterwegs, so sind ihre beiden Geschwister nicht im UK geboren. Es ist dieser Geist, der nun Town Called Nothing als ihre erste Solo-Veröffentlichung prägt.

Die sechs Lieder auf diesem Mini-Album hat sie alle schon vor dem Lockdown geschrieben, die Corona-Pause der Blood Red Shoes gab Laura-Mary Carter allerdings die Möglichkeit, daraus wirklich eine Platte zu machen. Natürlich sind die Songs an verschiedenen Orten entstanden und letztlich auch in verschiedenen Studios in Großbritannien und Los Angeles aufgenommen worden. Ed Harcourt war als Produzent sowie an Bass und Klavier dabei, Jorma Vik (The Bronx, Eagles Of Death Metal) übernahm den Part am Schlagzeug.

Dass Carter hier eine andere Seite von sich zeigen will, die sensibler ist als ihre Rolle bei Blood Red Shoes, macht schon der Auftakt Blue’s Not My Colour deutlich. Das Stück vereint Country-Stimmung mit einem fast niedlichen Chor und sehr eleganten Refrain. Später klingt Ceremony, als sei es direkt aus einem Sumpf in den Südstaaten entsprungen, die Zeile „I’m dying just to give you a kiss“ intoniert Carter, von einem Cello begleitet, in City You Live so unheilvoll, als hätte Kylie Minogue eine weitere Murder Ballad gemacht.

Den Schlüssel für den Charakter dieser Stücke liefert der Titelsong. „Get in my car / let’s drive to nowhere“, lauten die ersten Zeilen in Town Called Nothing. Nach dieser famosen Einladung erklingen ein fast gemütlicher Beat und eine entspannte Gitarre, aber im Refrain lauert aber Gefahr. Wenn man will, kann man hier ein bisschen von dem bodenständigen Wagemut entdecken, der auch in den Liedern von Tom Petty steckte – und Town Called Nothing hat zudem eine ganz besondere Geschichte.

„Ich habe keine Ahnung, woher sie kamen, aber ich schrieb einfach diese simplen Akkorde und der Text sprudelte ebenso heraus… eine Town Called Nothing. Es geht darum, an diesen emotionalen Ort zurückzukehren, auch wenn man weiß, dass er leer ist. Aber man fühlt sich gezwungen, dorthin zurückzukehren“, erzählt Laura-Mary Carter, die kurz nach diesem besonderen Moment der Inspiration erfuhr, dass es in Arizona tatsächlich eine verlassene Stadt gibt, die „Nothing“ heißt. „Ich beschloss sofort, dass ich dorthin musste. Ich packte meine Koffer, mietete ein Auto und fuhr nach Arizona. Bei meiner Ankunft habe ich mich unmittelbar in die Stadt verliebt und bin seitdem immer wieder zurückgekehrt. Auf dem Schild am Ortseingang stand ‚Einwohnerzahl: 2‘, und ich wollte wissen, ob wirklich jemand da ist. Aber da war niemand. Es war immer nur ich allein.“

Aus diesem Erlebnis ist ein weiterer Anlass zum ständigen Reisen für Laura-Mary Carter geworden, die danach nämlich viele verlassene Städte in den ganzen Vereinigten Staaten aufgesucht hat. Bei so vielen Ortswechseln wundert es nicht, dass auf Town Called Nothing schnell ein zweites Leitmotiv erkennbar wird: Beziehungen, die nicht funktioniert haben, und Trennungen, die nicht erwünscht waren, aber meist zu ihren eigenen Bedingungen und in jedem Fall ohne Bedauern ablaufen. „Don’t worry / I’ll be leaving silently“, singt Carter beispielsweise in Better On My Own, das beginnt wie eine Ballade, bis dann nach gut zwei Minuten doch die (Gitarren-)Hölle losbricht. Auch in Signs klingt dieses Thema in Zeilen wie „And I saw her from a distance /as she took my home / well that’s the way it goes I suppose“ durch, auch hier ist die Dramaturgie vergleichbar, nämlich zunächst sphärisch, im Refrain dann tonnenschwer. Das Zusammenspiel dieser beiden Kernelemente (Orts- und Beziehungswechsel) fasst Carter selbst zusammen: „Es geht letztlich um Trostlosigkeit und Verlassenheit. Um die Angst, dem Verfall preisgegeben zu werden, genau wie diese alten Städte.“

Das Städtchen „Nothing“ ist im Video zu Town Called Nothing zu sehen.

Laura-Mary Carter bei Instagram.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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