So ist das eben mit Satelliten: Sie werden steil nach oben katapultiert, mit Feuerschweif und großem Getöse, so dass man nur staunen kann. Sie drehen dann souverän ihre Runden und leisten nützliche Dienste. Aber dann haben sie irgendwann ausgedient. Sie werden zu Weltraummüll – nicht nur überflüssig, sondern sogar gefährlich. Die Erde umrunden derzeit ungefähr 800 aktive Satelliten – die Zahl der ausgedienten Flugkörper wird auf mehr als 5000 geschätzt. Sie fliegen weiter durchs All, und wenn sie nicht gerade mit einem teuren, neuen Hightech-Bauteil kollidieren, dann interessiert sich kein Mensch mehr für sie.
Dass Lena ausgerechnet mit Satellite im vergangenen Jahr zunächst Stefan Raabs Casting-Wettbewerb Unser Star für Oslo und dann auch den Eurovision Song Contest gewann, muss deshalb noch lange kein schlechtes Omen sein. Doch gut drei Wochen, bevor sie in Düsseldorf ihren Titel beim ESC verteidigen will, muss man sich fragen: Wird Lena demnächst verglühen oder wird sie ein Fixstern bleiben? Was ist übrig vom Hype?
Die Antwort ist auch an diesem Abend in Leipzig schwer zu finden. Lässt man die Musik außen vor und verlässt sich nur auf die optischen Eindrücke, dann ergibt das ein sehr eindeutiges Sowohl-als-auch. Die Arena ist sehr ordentlich gefüllt, aber – wie fast alle Konzerte der aktuellen Tour – nicht ausverkauft. Das Publikum entspricht dem, was man wohl die Mitte der Gesellschaft nennt: Studentenpärchen. Eltern, die sich trotz Nachwuchs noch lange nicht von der Idee verabschieden wollen, cool zu sein – auch wenn sich das bloß in einem Tattoo äußert. Angestellte, die direkt aus dem Büro kommen. Und ganz viele kleine Mädchen im Grundschulalter, die in einem putzigen Fantasie-Englisch mitsingen und auf den Tribünen der Arena zum Teil Choreographien aufführen, die Lenas Tanzversuche auf der Bühne locker in den Schatten stellen.
Die sechsköpfige Familie aus Leipzig, die am Ende des Konzerts eine glatte 12 für die Show von Lena vergibt, ist durchaus exemplarisch. Trotz der Begeisterung glauben auch die drei kleinen Töchter nicht daran, dass Lena in Düsseldorf ihren Grand-Prix-Triumph wiederholen kann. Und ihr Wettbewerbs-Song Taken By A Stranger hat im Kinderzimmer wohl schon für den einen oder anderen Glaubenskrieg gesorgt: «Nur lautes Schlagzeug», sagt die eine. «Ist doch ganz gut», meint die andere.
Die 8- oder 9-Jährigen, die auch dafür sorgen, dass Fanta an diesem Abend ausnahmsweise das beliebteste Getränk an der Theke ist (ich habe nachgefragt), werden vielleicht morgen schon Miley Cyrus zu ihrer neuen Favoritin erklären oder übermorgen auf Stefanie Heinzmann umschwenken. Doch was Lena wirklich Hoffnung auf nachhaltigen Erfolg machen darf, sind die Erwachsenen. Die sind hier keineswegs bloß als Aufpasser dabei, sondern feiern mit und beweisen: Mit ihrem Sound trifft Lena den kleinsten gemeinsamen Nenner.
Dazu tragen nicht nur die Lieder bei, die in den meisten Fällen aufs Radio zugeschnitten sind und damit Hausfrauen ebenso erreichen wie Finanzbeamte. Ganz offensichtlich hat Lena mit ihrem Sieg in Oslo auch einen Nerv getroffen, einen Moment geschaffen, an den man sich auch in Jahren noch gerne erinnern wird. Dieser „Wir sind wieder wer“-Effekt ist durchaus vergleichbar mit der Sympathiewelle, die 2006 beim Sommermärchen über das Land schwappte. Lena ist die Ein-Mann-Nationalmannschaft – und das allein könnte als Fundament schon reichen, um irgendwann in einer Liga mit Grönemeyer oder den Ärzten zu spielen.
Passend dazu merkt man dann auch ein wenig, dass Lena nicht die Ochsentour durch kleine Clubs hinter sich hat, sondern aus einer Castingshow kommt. Immer wieder spielt sie in Leipzig mit der Kamera vor der Bühne – und die Bilder von Lena, die dann auf der Videoleinwand zu sehen sind, entsprechen fast genau denen, die alle Fans hier von Unser Star für Oslo kennen.
Dass viele der Besucher offensichtlich vergleichsweise wenig Konzerterfahrung haben, drückt allerdings vor allem zu Beginn des Konzerts in Leipzig ein bisschen auf die Stimmung. Doch Lena, die ein gutes Dutzend Musiker (plus Tänzerinnen) zur Verstärkung dabei hat, lässt sich davon nicht die Laune verderben. Bedenkt man, dass sie vor zwei Jahren noch eine ganz normale Abiturientin war, dann füllt sie diese Bühne, auf der sonst Kylie Minogue oder die Sportfreunde Stiller stehen, mit beachtlicher Präsenz.
Gelegentlich driftet die Musik zwar in allzu viel Gefälligkeit ab – dann meint man, die TV Total-Hausband Heavytones kündige gerade einen beliebigen Studiogast an. Es gibt einige Momente während dieser Show, in denen man sich wünscht, Lena könnte sich endlich einmal jenseits dieses Korsetts entfalten, das ihr Stefan Raab verpasst hat. Doch die Hannoveranerin macht solche Defizite mit enormem Charme wett. Wer beschlossen hat, sich aus irgendwelchen Gründen erst jetzt in sie zu verlieben, der findet auch an diesem Abend genug Gründe dafür.
Dazu hat Lena eine beeindruckende Lichtshow im Gepäck. Die Frau am Spotlight, die in der Leipziger Arena mit ihrem Scheinwerfer Lena auf Schritt und Tritt folgen muss, fühlt sich von der quirligen 19-Jährigen zwar nicht überfordert («Das ist wie immer»), zeigt sich aber durchaus beeindruckt vom Bühnenbild: «Das macht schon was her.»
Dass so viel Mühe in der Lightshow steckt, hat auch schon mit den Vorbereitungen für den Auftritt in Düsseldorf zu tun, denn dort setzt Lena besonders auf die Fähigkeiten ihrer Lichtmeister. «Die haben viel in der Hand, was Stimmung und Ambiente angeht, Party oder Nicht-Party, eigentlich top oder flop», sagte sie unlängst im Interview.
Auf Blendwerk wird sich Lena langfristig freilich nicht verlassen können. Aber gerade in den ruhigeren Momenten des Abends (bestes Beispiel: I Like You singt sie auf Knien, und es wird einer der eindringlichsten Momente des Konzerts) macht sie deutlich, dass sie dies gar nicht braucht. Auch nach dem Overkill von Unser Song für Deutschland hat sie noch genug Charme, Individualität und Selbstvertrauen, um daraus eine Karriere machen zu können. Wenn sie sich bei Bee alberne Bömmelchen aufsetzt, am Anfang von I Like To Bang My Head kurz Snoop Doggs Drop It Like It’s Hot samt Beatbox-Einlage zitiert oder den Über-Hit Satellite mit einer fast beiläufigen A-Capella-Einlage beginnt, dann zeigt das, wie viel sie sich zutraut, und wie viel Potenzial in ihr steckt.
Auch, dass sie – natürlich in Schwarz und über weite Strecken in gelben Nike-Sneakers, bei der Zugabe dann in Blue-Jeans mit weißem Top – die Kostümwechsel weitgehend ihren Tänzerinnen überlässt, spricht dafür. Schließlich bringt sie sogar noch My Same, den Song von Adele, der sie vor einem guten Jahr so richtig ins Rampenlicht brachte – und hat gar kein Problem damit, ein Stück davon weiterhin zu teilen.
Who Wanna Find Love ist ein weiterer Beleg. Dieses neue Lied, ein wenig an Amy Macdonald erinnernd, testet sie in Leipzig am Publikum – und nach mehr als wohlwollendem Applaus in der Arena kommt sie zum Schluss, dass man den Song wohl bald noch öfter hören wird. Nach einem Abend, der reichlich good und gar nicht so clean Fun bot (einmal meine ich, das schlimme Wort „Motherfucker“ gehört zu haben, und auch einige der Tanzeinlagen sind alles andere als jugendfrei), ist der Satz, mit dem Lena zur ersten Zugabe zurück kommt, deshalb durchaus als Kampfansage zu verstehen: «Ihr glaubt doch nicht, dass das schon alles war.»
My Cassette Player verwandelt sich bei Lena in Leipzig prompt in Bee:
httpv://www.youtube.com/watch?v=hftFm2i5S_o
Sehr guter Artikel! Endlich mal was Fundiertes und Differenziertes und nicht die üblichen Extreme. Bin auch gespannt, was denn so mit Lena weiterhin passiert.
Danke für den Text.
Gottseidank verzichtet Lena auch weiterhin auf überbordende Tanzchoreographien und üben muss sie etwas, dass sie seit 17 Jahren macht (tanzen) auch kaum, etwas schon, denn ganz ohne steigt man nicht einfach so in die Choreo der Tänzerinnen ein.
Das Wort „motherfucker“ kommt übrigens nicht vor, nicht mal in dem in einer „clean version“ gesungenen 1. Strophe von „Drop it like it’s hot“. Offenbar eine Freudsche Fehlleistung des Gehörs des Autors.
Das Konzert begann übrigens nicht mit Maybe, es war nichtmal eines der ersten 5 Songs.
Das Konzert fing nicht mit „Maybe“ an und die Band sind nicht die „heavytones“,
In „Drop it like it’s hot“ kommt „Motherfucking“ vor, nicht „Motherfucker“, aber diesen Teil singt sie nicht. Andere Texte in ihrem Repertoire mit „schlimmen Worten“, sind mir nicht bekannt.
„kleinster gemeinsamer Nenner“, „Tanzen nicht geübt“ und das „Korsett“ lasse ich mal als Meinung durchgehen, das scheint in gewissen Kritikerkreisen nötig zu sein, um die „Credibility“ nicht ganz zu verspielen, nehme ich mal an…
Wie dem auch sei, ein Bienchen hast Du Dir auf jeden Fall verdient für den positiven Tenor. 🙂
Lesenswerter Artikel. Da merkt man das der Autor selbst dabei war und sich eine eigene Meinung bildet. Das ist leider heutzutage nicht mehr so normal wie es eigentlich sein sollte. Deshalb muss ich das mal lobend erwähnen.
Ich war letzte Woche selbst dabei und habe in der ersten Reihe gestanden. Es ist wohl wahr, dass Lena nicht richtig tanzen kann aber das heißt noch lange nicht das es schlecht ist. Ich finde ihre natürliche und durchaus potenzielle Art einfach nur fantastisch.
Das Konzert startete weder mit dem Lied „Maybe“ noch benutzte sie das Wort „Motherfucker“. Auch die Aussage welches Puplikum anwesend war entspricht nicht ganz der Wahrheit. Ich (18) war dor mit einer Freundin. Neben uns waren viele um die 20 und hinter uns eine Menge älterer Leute. Es war ein fabelhafter Abend und ich würde es auf jedenfall wiederholen
Lena ist wie sie ist und mich hat sie an dem Abend voll und ganz verzaubert. =):)