Künstler | Leoniden | |
Album | Again | |
Label | Two Peace Signs | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
„Kids Will Unite“ heißt die bald anstehende Tour von Leoniden. Für diese fünf sehr speziellen Kids aus Kiel ist die darin postulierte Vereinigungsbewegung längst abgeschlossen. Ihr zweites Album Again zeigt noch stärker als ihr Debüt, was für eine verschworene Gemeinschaft sie sind und wie konzentriert ihr Leben auf die Musik ist, die sie gemeinsam machen, seit sie fast noch Kinder waren. Der Erfolg des im vergangenen Jahr erschienenen Leoniden, für das sie den New Music Award 2017 gewannen und das ihnen beispielsweise eine komplette Tournee mit Franz Ferdinand einbrachte, hat keine Zentrifugalkräfte freigesetzt, sondern die Erkenntnis geprägt: Wir sind fünf junge Menschen, die etwas ganz Besonderes erschaffen, wenn wir gemeinsam musizieren – für uns selbst und für andere.
Schon früh gab es deshalb erste Ideen für die zweite Platte, letztlich entstand Again über anderthalb Jahre mit den Produzenten Helge Hasselberg und Kristian Kühl in Hamburg. „Das Album handelt von uns“, sagt Gitarrist Lennart Eicke. „Wir sind wahnsinnig gut miteinander befreundet und erleben ein krasses Abenteuer, das uns flasht, aber manchmal auch überfordert.“ Statt sich zwecks Auskosten des Ruhms oder besserer Vernetzung in eine Metropole zu begeben, sind sie in Kiel geblieben, „weil wir uns hier besser auf die Musik konzentrieren können“, sagen sie. Der Zusammenhalt, eine über weite Strecken gemeinsame Biographie („Wir haben keine DSDS-Pathosgeschichte, sondern Musik hat schon sehr früh auf ziemlich natürliche Weise einen Platz in unserem Leben eingenommen“, betont Lennart Eicke) und vor allem eine unbändige Lust auf dieses Leben als Band sind hier in der Tat auf denkbar positive Weise spürbar, nicht nur in der Attitüde, sondern auch in der Arbeitsweise. „Wir schreiben alle Songs zu fünft, indem jeder einfach alles auf den Tisch knallt, was ihm einfällt“, sagt Sänger Jakob Amr. „Dann wird ewig an diesen Ideen gearbeitet und über jede Kleinigkeit gestritten.“
Diese Vielfalt der Einflüsse ist, wie schon bei der ersten Platte, erneut eine sehr entscheidende Stärke von Leoniden. Schon die ersten Sekunden des Albums machen das deutlich: River eröffnet das Werk, und die ersten Geräusche, die dabei erklingen, sind ein nicht ganz richtig angeschlossenes Verstärkerkabel, der Gesang von Amr und dann sehr bald ein Mädchenchor. Wenn dieser für die Pop-Affinität bei Leoniden steht und das Verstärkergeräusch für die Rock-Komponente, dann ist die Stimme dazwischen perfekt positioniert. Denn Jakob Amr wechselt hier problemlos zwischen zuckersüß und wütend – auch später ist es immer wieder sein Gesang, der die Lieder zusammenhält und dafür sorgt, dass inmitten des Ideenreichtums dieser Band doch eine klare Identität erhalten bleibt.
Die erste Single Kids feiert den Triumph trotz vieler Widrigkeiten und ist wie viele Lieder auf Again nicht opulent, aber komplex, zugleich leicht und entschlossen. „I never sleep / ‘cause sleep is the brother of death“, heißt einer der Schlachtrufe. Why bestätigt, dass Leoniden keine Angst vor großem Sound haben, People handelt vom Verlorensein, nicht so sehr wegen innerer Konflikte, sondern weil die Welt und die Menschen da draußen so fremd erscheinen. Dazu zitiert der Song ganz kurz Sympathy For The Devil und scheint sich sonst sehr intensiv als Kandidat für die Hitliste von Two Door Cinema Club zu bewerben. Not Enough wird funky und gefährlich und zeigt, wie viel Freude die Band am Überfluss der eigenen Einfälle hat, nicht nur mit der Zeile: „We don’t know what’s enough.“
Again fließt über vor Kreativität und Fantasie und zeigt zugleich den Unterschied zwischen diesen Begriffen: Kreativität steht für die Fähigkeit, eigene Ideen zu entwickeln, Fantasie dafür, sich über bestehende Grenzen hinwegzusetzen. Wie perfekt diese beiden Effekte hier zusammenwirken, kann man etwa in Alone erkennen. Wer bei diesem Songtitel glaubt, es handle sich um eine „Och, ich bin ja so einsam!“-Selbstmitleidsballade, liegt falsch. „Feeling the best when I’m alone“, singt Amr stattdessen. Daraus spricht nicht nur die Erfahrung, dass es Leute gibt, deren Gesellschaft eher unangenehm ist, sondern auch die Wahrnehmung der durchaus erwachsenen Eigenschaft, sich selbst genügen zu können. Man erkennt im Sound auch die Anekdote wieder, als Lennart Eicke und sein Bruder Felix, der Schlagzeuger der Band, als Kinder bei einem Michael-Jackson-Konzert über den Zaun kletterten, angeblich sogar gemeinsam mit ihren Eltern, ohne Eintrittskarte.
Neben solchen Einflüssen aus RnB, Motown und Pop finden sich auf dem zweiten Album der Nordlichter auch sehr harte Passagen, viele Chöre und Streicher sowie reichlich Indie-DNA. Wie meisterhaft die Eicke-Brüder, Amr sowie JP Neumann (Bass) und Djamin Izadi (Keyboards) diesen Mix beherrschen, zeigt etwa das extrem elegante Slow, dessen Erzähler weiß, dass er sich manchmal wie ein bockiges, verwöhntes Kind benimmt, aber auch, dass es Menschen in seinem Umfeld gibt, die darauf nicht hereinfallen. One Hundred Twenty-Three macht sogar die Musik und das Musikmachen selbst zum Thema. „Wir sind keine Virtuosen, keiner von uns war auf der Musikschule“, stellt Amr allerdings klar. „Unsere Vielseitigkeit liegt vor allem in unserer Ungeduld begründet: Wir langweilen uns sofort, wenn auch nur zwei Songs gleich klingen. Dadurch suchen wir automatisch immer nach neuen und anderen Farben und Ausdrucksmitteln.“
Auch hier erscheint wieder das Bild von Gewusel, das zur Stärke wird, von vielen Stimmen, die einen mitreißenden Chor bilden, von Leoniden als einem vielköpfigen Monster, dessen verschiedene Facetten deutlich sichtbar sind, dessen unbändige Kraft aber gerade durch das Zusammenführen all dieser Elemente entsteht. Das Foto auf dem Albumcover ist deshalb ein tolles Symbol für die Einmaligkeit dieser Band: Jeder der fünf Jungs bringt eine andere Farbe ein, und doch gibt es keinerlei Platz zwischen ihnen.