Leoniden – „Leoniden“

Künstler Leoniden

Leoniden Kritik Rezension Album
Auf eigenem Label und mit eigenem Vertrieb bringen Leoniden ihr Debüt heraus.
Album Leoniden
Label Two Peace Signs
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Die Geschichte von Leoniden wäre auch wundervoll, wäre ihr Debütalbum nicht so umwerfend. Zwei Brüder und zwei Freunde musizieren seit Schultagen zusammen, weil es einfach das ist, was sie am liebsten tun. Sie beschließen nach dem Schulabschluss, die Sache mit der Band richtig ernst zu betreiben, können eine Sänger aus dem sehr rock’n’rolligen Hamburg zu sich ins weniger rock’n’rollige Kiel locken und tüfteln dann ewig lange herum, bis sie bis ins letzte Detail mit ihren Songs zufrieden sind. Sie benennen ihr Debütalbum nach der Band, bringen es auf ihrem eigens gegründeten Label heraus und verkaufen es in einem selbst programmierten Shop über die eigene Website. Und sie starten durch damit: ausverkaufte Konzerte, Fernsehauftritte, Kritikerlob, Festivals.

Das ist der Stoff, von dem kleine Jungs und Mädchen träumen, wenn sie zum ersten Mal eine E-Gitarre oder Schlagzeugstöcke in der Hand halten, und dass er auch hierzulande wahr werden kann, ist anno 2017 geradezu rührend. „You know you got a future“, heißt die erste Zeile dieses Albums – und dass sie sich für Leoniden so eindeutig als Prophezeiung erwiesen hat, wird noch erfreulicher angesichts der großartigen Songs der Band aus Kiel. Nevermind ist das Lied zu dieser Zeile, die von Jakob Amr mit einer fast erstaunlichen Gewissheit gesungen wird, bevor das Stück dann innerhalb von etwas mehr als drei Minuten gleich mehrfach seine Gestalt verändert.

So spannend, sogar mitreißend sind danach alle Lieder dieser Platte. 1990 vereint einen originellen Groove in der Strophe mit viel Kraft im Refrain und wird mit jedem Takt turbulenter. Die Energie von Storm kommt aus erhöhtem Tempo und einem grandiosen Zusammenspiel aus Solostimme und Chor. Iron Tusk schafft es, Frickeln, Power und Wehmut unter einen Hut zu bringen, der Refrain von North ist nichts weniger als hymnisch, Remote wartet mit einem verfremdeten Acappella-Teil auf, einem extra zuckrigen Gesang zu Beginn und einem extra feurigen Ende.

Dass all dies gelingt, liegt zum einen an den sehr unterschiedlichen Einflüssen der Mitzwanziger, die von Hardcore und Prog bis zu Pop und RnB reichen. Es liegt aber auch an der Arbeitsweise von Leoniden, die von Perfektionismus ebenso geprägt ist wie vom Glauben an die gemeinsame Kraft. Gitarrist Lennart Eicke hat im Interview mit den Kieler Nachrichten diese beiden Aspekte zusammengeführt: „Das Lied ist halt für uns fertig, wenn wirklich jeder das Gefühl hat, das ist sein neues Lieblingslied, ohne dabei demokratisch überstimmt worden zu sein. Wir suchen immer einen Konsens.“ Und es liegt an dem Bekenntnis, nicht einem schnellen Erfolg oder einer bequemen Lösung zuliebe von der eigenen Überzeugung und dem eigenen Anspruch abzuweichen. „Real ist das neue real“, haben Leoniden einmal als Leitsatz dafür definiert.

Am deutlichsten hört man The Tired dieses Ethos an, einem Lied einerseits über die (vermeintliche) Lustlosigkeit der Millennials, andererseits über die Entschlossenheit, sich aufzuraffen – und über die Kraft des Zusammenhalts. Die durchaus diversen Vorbilder des Quintetts, zu dem weiterhin JP Neumann (Bass), Djamin Izadi (Keyboards) und Felix Eicke (Schlagzeug) gehören, sind auf dem Debüt ebenfalls offenkundig. Das leichtfüßige Sisters integriert mühelos einen House-Part, die Hektik von City lässt an The Rapture denken: Leoniden zeigen sich darin genervt von der Welt, aber auch schon mit der Erfahrung, dass es Rückzugsorte gibt und sogar solche, in denen man sich aus den eigenen Schuhen tanzen kann.

Eleven Hands könnte man sich gut von Bloc Party vorstellen, denn der Track ist etwas kapriziös, äußerst komplex und vor allem hoch emotional. Auch Doves tut man mit dem Etikett „Art Rock“ nicht Unrecht, es gibt hier etwas mehr Theatralik, Rätselhaftigkeit, Komplexität und Kalkül als auf dem Rest des Albums, trotzdem wird der Song nicht blutleer, denn hinter der zentralen Zeile „Hope is a concrete-dove / but hope is a dove“ scheint eine sehr schmerzliche, sehr persönliche Erfahrung zu stecken.

Und dann ist da ja noch Two Peace Signs. Auch dieses Lied zeigt den musikalischen Horizont von Leoniden und einen Hedonismus, der nicht stumpf ist, sondern reflektiert. Das Stück war auch der Titelsong der 2016 erschienenen zweiten EP der Band. Zugleich ist Two Peace Signs die Geste, die auf dem Albumcover zu sehen ist und ihrem eigenen Label den Namen gegeben hat. Einige Bandmitglieder tragen das Motiv mit den vier Fingern auch als Tattoo – angesichts dieses Debüts und des immensen Talents, das hier sichtbar wird, dürfte es noch sehr lange dauern, bis sie das vielleicht mal als Jugendsünde bereuen werden.

Rund um den Proberaum von Leoniden scheint eine Menge geboten, zeigt das Video zu 1990.

Website von Leoniden.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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