Liam Gallagher – „As You Were“

Künstler Liam Gallagher

As You Were Liam Gallagher Kritik Rezension
In London und L.A. entstand das erste Soloalbum von Liam Gallagher.
Album As You Were
Label Warner
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Der Albumtitel, das Coverfoto, der Vergleich mit David Bowie und Paul Weller im Presseinfo: Alles an As You Were soll den Eindruck eines Manifests erwecken, eines ultimativen Statements, eines Aufbruchs. Doch das erste Soloalbum von Liam Gallagher repräsentiert – egal, mit wie viel Bonus man ihm begegnet und wie viel Mühe man sich damit auch geben mag – etwas anderes: Stillstand.

Das war im Hause Gallagher freilich nie ein Problem. Innovation stand schon zu Zeiten von Oasis nie sonderlich weit oben auf der Prioritätenliste, auch bei den 2014 schließlich aufgelösten Beady Eye wollte Liam Gallagher in erster Linie den Prototyp einer Rock’N’Roll-Band am Leben erhalten. „Ich wollte nie etwas neu erfinden oder auf eine Space-Jazz-Odyssee abdriften“, gibt der 45-Jährige zu und sagt zur Charakterisierung von As You Were: „Es ist der Lennon-Cold-Turkey-Vibe, die Stones, die Klassiker. Aber eben jetzt und auf meine Weise interpretiert.“

Dieses „auf meine Weise“ ist das erste Problem des Albums. Denn dass Liam Gallagher nie ein begnadeter Komponist war, ist ihm selbst klar. „Ich bin definitiv kein Profi darin“, sagt er über das Songwriting. „Es ist eher so der Frankenstein-Ansatz. Aber ich vermute mal, jeder hat so seinen Weg. Selbst Paul McCartney setzte sich nicht einfach hin und schrieb auf Anhieb Hey Jude.“ Um dieses Manko zu umschiffen, hat er sich Unterstützung geholt, und zwar auf Rat seiner Plattenfirma. Einer der Co-Autoren ist Greg Kurstin, berühmt etwa für seine Arbeit mit Adele, Kelly Clarkson oder Lily Allen. „Greg Kurstin spielte mir ein paar Ideen vor, wir unterhielten uns, tauschten einige Ideen aus, ordneten sie, und bevor wir es uns versahen, hatten wir weitere Songs im Kasten. Ich bin so überrascht wie alle anderen, dass es funktionierte. Aber die Songs, die wir machten, sind top“, umschreibt Liam Gallagher die Zusammenarbeit. Selbst wenn das stimmen würde, bliebe ein Widerspruch: Authentizität und Unverwechselbarkeit lassen sich kaum mit Co-Autorschaft unter einen Hut bringen. Aber Authentizität und Unverwechselbarkeit sind Werte, die bisher extrem wichtig waren im Schaffen von Liam Gallagher.

Das zweite Problem ist, dass die Songs nicht gut sind, egal ob in Eigenregie entstanden (8 von 15 Liedern auf der Deluxe Edition hat Liam Gallagher ganz alleine geschrieben) oder unter Zuhilfenahme von Fließband-Komponisten. As You Were fehlen: Tempo, Biss, Finesse und Melodien. Nicht zuletzt: etwas zu erzählen und etwas zu beweisen.

Dazu passt die Entstehungsgeschichte der Platte. Nach dem Ende von Beady Eye spielte Liam Gallagher mit dem Gedanken, „einfach nur eine normale absolute Legende“ zu sein, wie er heute scherzhaft sagt, ganz ohne Band und die Berufsbezeichnung „Frontmann“, etwa als Privatier auf Mallorca. Was ihn dann doch antrieb, wieder Musik zu machen, war offensichtlich nicht das Bedürfnis, sich künstlerisch auszudrücken, sondern pure Langeweile. Er nahm ein paar Demos mit dem Multi-Instrumentalisten Dan McDougall in London auf, das Album entstand dann mit Greg Kurstin in Los Angeles und mit Dan Grech-Marguerat (The Vaccines, Lana Del Rey, Hurts, The Kooks), der den größten Teil der Songs produziert hat, in London. McDougall blieb dabei als Schlagzeuger erhalten und wird auch Teil der Liveband von Liam Gallagher sein, ebenso wie Bassist Drew McDonnell (ehemals Babyshambles).

Den Auftakt der Platte macht die Vorab-Single Wall Of Glass, eines der Ergebnisse aus der Zusammenarbeit mit Greg Kurstin. Der Song fährt zwar ein beträchtliches Arsenal an Power-Werkzeugen auf (etwa einen Chor, einen mächtigen Beat und eine Kampfansage im Text, dazu auch eine Mundharmonika), hat aber bezeichnenderweise am meisten Biss, bevor (!) der Gesang einsetzt. Das folgende Bold war der erste Song, den Liam Gallagher für sein Soloalbum schrieb. „I didn’t do what I was told“, heißt es darin, aber der Sound vermittelt in erster Linie Gemütlichkeit. Wenn er danach in Greedy Soul behauptet, er habe den „Midas touch“, kann das wohl kaum aufs Songwriting bezogen sein.

„I’ve all I need and more“, heißt die erste Zeile des letzten Lieds auf dem Album, entsprechend zahm und nett klingt er darin. Doesn’t Have To Be That Way ist ein Beispiel für die zahlreichen Zitate und Anspielungen auf Sixties und Seventies, der Track scheint Glamrock und Psychedelia vereinen zu wollen, klingt dabei aber vollkommen hohl. Get By wird noch plumper, Universal Gleam scheint sich schon nach den ersten Takten zu einer Hymne aufbauen zu wollen, es fehlt trotz Streichern, Bläsern und Chor aber ein ausreichend tragfähiger Refrain, um dieses Ziel zu erreichen.

Liam Gallagher wird dabei auch Opfer des Maßstabs, den er mit Oasis gesetzt hat: Hört man die Lieder von As You Were eingestreut in ein paar andere aktuelle Rocksongs, klingen sie durchaus passabel. Aber „passabel“ ist zu wenig für den größten Frontmann der letzten 25 Jahre. Was man von anderen Künstlern vielleicht als „beachtlich“ anerkennen würde, ist für einen Musiker mit dem Status von Liam Gallagher nichts weniger als enttäuschend.

When I’m In Need ist ein Beispiel dafür, ein Liebeslied von fast kindlichem Gemüt und mit einer Naivität sehr nahe an Kitsch, das mit viel Produktionsbombast von der mangelnden Klasse der Komposition abzulenken versucht und zudem verdeutlicht: Wenn Liam Gallagher früher Gaga-Texte gesungen hat, klang es bedeutend, weil die Musik dazu so großartig war. Jetzt klingt es bloß noch gaga. Auch You Better Run passt in diese Kategorie, das endlich einmal kurzweilig und druckvoll wird (inklusive des Hinweises: „You know me: I’m all or nothing“), aber wegen des viel zu dünnen Refrains letztlich verpufft. For What It’s Worth, geschrieben mit Simon Aldridge (Cherry Ghost), ist zwar das beste Lied der Platte, stützt diese These aber ebenfalls. „Ich wollte eine Abbitte schreiben“, sagt Liam Gallagher. „Nicht an eine Person, sondern an jeden. Weil ich nicht gut darin bin, mich zu entschuldigen.“ Entsprechend singt er aus einer Märtyrer-Perspektive, die ebenso unerwartet wie unangemessen ist („I’d be the first to admit / I made my own mistakes“) und ihn in die Nähe zu Oasis-Trittbrettfahrern wie Embrace oder den Stereophonics bringt, statt ihn so unantastbar erscheinen zu lassen, wie er gerne sein will.

Paper Crown zeigt ihn im bekannten John-Lennon-Modus, der angesichts dieses Soloalbums eine ernüchternde Parallele aufzeigt: Beide hatten nach dem Höhenflug der Anfangsjahre mehr Lust auf Pose als auf musikalische Substanz. All My People / All Mankind, einer von drei Bonustracks auf der Deluxe Edition, zeigt ein grandioses Missverhältnis zwischen programmatischem Anspruch und tatsächlichem Inhalt, der beste Moment darin ist noch die Zeile „Selfies / what a fucking disease“. In Chinatown kokettiert Liam Gallagher gar mit politischen Statements (Brexit, Überwachung, London Riots) und schafft es immerhin, eine schöne (wenn auch vollkommen unbedrohliche) Atmosphäre einzufangen. I Never Wanna Be Like You richtet sich womöglich gegen seinen Bruder Noel, der nicht einmal in der Danksagung im Booklet eine Erwähnung bekommt, bleibt aber ohne Furor. Vielmehr singt Liam Gallagher selbst das „Come on, come on“ als erste Wörter des Textes, als wäre dies ein Schlaflied.

Come Back To Me ist ein seltener Lichtblick: Der Song hat Biss und Fokus und wäre noch besser, wenn er sich ein paar Wiederholungen des Gitarrensolos schenken würde. Vor allem zeigt er, wie gut Liam Gallagher, der neuerdings angeblich Jogging für sich entdeckt hat, wieder bei Stimme ist. „Ich bin ein guter Sänger, Mann! In neun von zehn Fällen sitzt das Ding. Im Studio erst recht. Da hab ich noch nie eine Note verkackt“, behauptet er in bester Prahlhans-Manier. Doch selbst solche Zitate unterstreichen das ultimative Defizit von As You Were: Aus der Pose „Ich bin der Größte“ sprachen bei Liam Gallagher früher Angriffslust und Aggressivität. Jetzt spricht daraus, ebenso wie aus seinen Songs, nur noch Selbstgefälligkeit.

Immerhin kann er noch aussehen wie eine Ikone: Das Video zu Wall Of Glass.

Website von Liam Gallagher.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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