Lina, Batschkapp, Frankfurt

Lina Frankfurt Live Batschkapp Konzert
De richtigen Botschaften hat Lina mit nach Frankfurt gebracht. Foto: Add On Music/Anne Wilk

Klein gegen groß heißt die Sendung im Ersten, in der Kinder gegen Erwachsene antreten. Die Erkenntnis dabei lautet nicht nur, dass Kinder die besseren Erwachsenen sind. Sie beweisen in dieser Fernsehshow auch erstaunliche Fähigkeiten. Sie können in derselben Zeit mehr Nägel einschlagen, haben mehr Wissen über die Fußball-Bundesliga gespeichert oder können klassische Orchesterstücke schneller erkennen als ausgewiesene (und volljährige) Experten auf dem jeweiligen Gebiet. Einen Beweis für solche Talente liefert auch die Show von Lina in der Batschkapp in Frankfurt. Was man hier erlebt: Kids können lauter schreien, besser mitsingen und härter feiern als ein erwachsenes Publikum.

Wenige Tage vor Lina hatten hier etablierte Rockgrößen wie Kettcar oder Phillip Boa gespielt, in den nächsten Wochen werden Subway To Sally oder Die Kassierer für reichlich Radau in der Batschkapp sorgen. Natürlich haben diese Acts andere Qualitäten und ein anderes Publikum, aber man darf bezweifeln, ob sie mit ihren Konzerten ein ähnliches Ausmaß an Begeisterung, Euphorie und Identifikation hinbekommen werden, wie es Lina hier in dieser ausverkauften Show gelingt. Die Sängerin, bekannt geworden als Darstellerin der Bibi in den Bibi & Tina-Filmen und mittlerweile mit einer drei Alben umfassenden Musikkarriere beschert ihren Fans (meist Mädchen, meist im Prä-Teenager-Alter) in Frankfurt hier nichts anderes als einen unvergesslichen Abend.

Das Ausmaß an Zuneigung, das ihr entgegen schlägt, ist vor allem dann kaum zu fassen, wenn man regelmäßig zu erwachsenen Konzerten geht und dort auch schon einmal mitbekommt, wie desinteressiert ein Publikum oder ein Live-Act in dieser Situation sein können, weil sie natürlich für beide Seiten viel Routine, Erwartbares und Rituale mit sich bringt. Es ist eine Dienstleistungsbeziehung, die niemals gelingen kann, wenn nicht beide Seiten bereit dazu sind, abzuliefern und sich auszuliefern. Nichts davon findet man hier: Die Fans haben größte Lust, sich voll und ganz in dieses Konzert hineinzuwerfen. Lina (bürgerlich: Lina-Larissa Strahl und mit 21 Jahren etwa doppelt so alt wie der Durchschnitt der Fans vor der Bühne) wirkt in den besten Momenten keineswegs so, als hätte sie all das erst gestern, vorgestern und insgesamt schon unzählige Male in den letzten Jahren erlebt, sondern als sei sie aufrichtig gerührt von der Zuneigung, die ihr da entgegen schlägt.

Lina Frankfurt Konzert
Die Verbindung zwischen Bühne und Fans ist das tragende Element des Konzerts von Lina.

Für die 90 Minuten des Konzerts gibt es für die Kleinen im Publikum keine größere Sehnsucht, als von Lina erkannt zu werden. Wenn die Sängerin in eine Ecke des Publikums winkt, mit dem Finger auf einen bestimmten Fan deutet oder erzählt, wie sehr es sie freut, dass sie einige Gesichter immer wieder bei ihren Konzerten sieht, dann löst das begeistertes Quieksen aus oder euphorisches Winken. Die Fans schreien ihren Namen, suchen Blickkontakt, halten eisern über die gesamte Dauer der Show selbstgebaute Schilder in die Höhe – alles, um irgendwie eine persönliche Bindung zu ihrer Heldin aufbauen zu können. Bei Rosa bekommt Lina aus der ersten Reihe zwei Rosen geschenkt, als sie alleine am E-Piano Freaking Out spielt, den ersten Song, der von ihr jemals professionell aufgenommen wurde, werden Plakate mit „Danke“ hoch gehalten, weil die Besucher wissen, dass das Lied auf den Tag genau vor sechs Jahren veröffentlicht wurde. Später werden bei Fan von dir auf der Videowand im Bühnenhintergrund reichlich Fotos von Fans eingeblendet, die mit einem „Fan von dir“-Schild in den Sozialen Netzwerken posiert haben. Natürlich ist oft genug auch ein Fotograf auf der Bühne, um das Konzert für die verschiedenen Kanäle zu dokumentieren, über die auch nach diesem Abend die Verbindung aufrecht gehalten werden kann.

Schnell wird klar: Für Kinder ist die Batschkapp an diesem Abend die ultimative Komfortzone. Sie dürfen schreien (sie sollen es sogar; den Sound von 1000 Kids, die Leben am Limit kreischen, wird man nicht so schnell wieder vergessen), sie dürfen sich bewegen, wie sie gerade wollen (man sieht im Publikum einige Kinder, denen man ansieht, dass ihr Körper noch nicht richtig weiß, wie er der gerade empfundenen Begeisterung am besten Ausdruck verleihen soll), sie dürfen sich im dunklen Konzertsaal zugleich außergewöhnlich und anonym fühlen. Vor allem erleben sie an diesem Abend das seltene und sicherlich erhebende Gefühl: Hier geht es um uns, nicht um die Erwachsenen.

Lina Konzertkritik
Girl Power: Lina hat vier Tänzerinnen mit in die Batschkapp gebracht.

Diese Idee der Ermächtigung ist ein wichtiges Element, nicht nur in der Konzertsituation, sondern auch in den Liedern von Lina. Dass das Konzert an einem Freitag stattfindet, ist zwar Zufall, passt aber bestens. Vergangenen Freitag kamen in Frankfurt 6000 Menschen zur „Fridays For Future“-Demonstration, darunter sicherlich auch etliche der Schülerinnen und Schüler, die heute in der Batschkapp sind. Denn Selbstbewusstsein, Engagement und Solidarität sind die vielleicht wichtigsten Botschaften in der Musik von Lina. Natürlich hat sie eine Zielgruppe, die keine elaborierte Sozialkritik oder politische Pamphlete verträgt, aber Stücke wie Rebellen (Titelsong des aktuellen Albums) oder Leicht vom Vorgänger Ego sind die beste Kombination aus Pädagogik und Pop, die man sich vorstellen kann. Der beträchtliche Spaßfaktor, den es hier gibt, ist nicht hohl oder oberflächlich, sondern in gewisser Weise eine Weiterentwicklung von Girl Power: Sei du selbst, glaube an deinen Wert, sei kritisch, lass dich nicht unterkriegen – wie kraftvoll diese Appelle sind, zeigt der Abend in Frankfurt eindrucksvoll.

„Ich will sinnvolle Texte schreiben, die etwas bedeuten“, sagt Lina in einer der Ansagen während des Konzerts. Das gelingt ihr eindeutig, und das ist sicher auch einer der Gründe, warum man in den hinteren Reihen der Batschkapp auch etliche Mamas eifrig mitsingen sehen kann, während die Papas versuchen, den zappelnden Nachwuchs möglichst stabil auf den eigenen Schultern zu balancieren (Tipp für ein Geschäftsmodell: ein mobiles Studio für Schultermassagen nach Lina-Konzerten). Ein weiterer Grund ist, dass Lieder wie Tanzen ist Gold oder Ohne dieses Gefühl schlicht sehr gute Popsongs sind. Ganz am Ende, als Lina zu den letzten Takten von Wir waren hier die Bühne verlassen hat und Richtung Garderobe verschwindet, kommt von der Videowand noch einmal ihr aktuelles Manifest: „Lebe wild, bleib jung und sei gefälligst rebellisch!“ Es fällt nicht schwer, dieses Konzert zu verlassen mit dem Gedanken, dass es für die Zukunft des Landes (und der Welt) keine schlechte Idee wäre, wenn ihre Fans (und gerne auch die Eltern) diesem Aufruf auch dann noch folgen werden, wenn sie der Musik von Lina längst schon entwachsen sind.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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