Künstler*in | Lina Maly | |
Album | Nie zur selben Zeit | |
Label | Drei Tulpen Records | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
„Die romantische Liebe ist mein größter Feind“, sagt Lina Maly über ihren künstlerischen Ansatz. Das ist so ungewöhnlich, dass es im Genre der Singer-Songwriter*innen fast schon für ein Alleinstellungsmerkmal reicht. Die Sängerin aus Elmshorn hat auf ihrem dritten Album Nie zur selben Zeit aber noch mehr Eigenständigkeit zu bieten. Nie zur selben Zeit erscheint nach der Trennung von Warner wie die beiden vorangegangenen EPs auf ihrem eigenen Label „Drei Tulpen Records“.
Dabei gibt es natürlich auch Konstanten. Schon dem Namen der selbst gegründeten Plattenfirma, dem Albumcover und dem Titel von früheren Singles wie Wachsen, Mond oder Unterwegs kann man entnehmen, wie gerne sie draußen im Freien ist und wie wichtig der Aufenthalt dort als Inspirationsquelle für sie ist. Das wird auch diesmal wieder sehr deutlich. „Andere suchen Erholung in Gesellschaft vieler Menschen. Ich finde meine Bezugspunkte in der Natur. Wenn ich mich in den Wald setze, komme ich zur Ruhe“, sagt Lina Maly. Auch den Track Nah sein werden ihre Fans schon kennen, und auch das darin steckende Versprechen löst dieses Werk jederzeit ein. Sie klingt in diesen zehn Songs nie, als würde sie in einem Tonstudio oder auf einer Bühne stehen, sondern immer, als sei sie höchstens eine Armlänge von ihren Hörer*innen entfernt, sodass die im Zweifel auch noch ein Flüstern verstehen können.
Die Liebe blüht steht am Anfang von Nie zur selben Zeit und zeigt gleich weitere Charakteristika von Lina Maly: Das Klavier steht bei ihr oft im Zentrum, aber es ist nie wirklich dominant. Die Arrangements sind aus vielfältigen Klangfarben zusammengesetzt, wirken aber nie opulent. Alles in diesem Sound bleibt empfindsam, intim und vorsichtig, und das passt wunderbar zum Thema des Album-Auftakts: Es ist eine behutsame Aufforderung, den Moment einer Zufallsbegegnung zu ergreifen, aus dem vielleicht etwas Großes werden kann: „Die Liebe blüht / wie aus Versehen.“
In keinem Fall steckt in dieser Hoffnung aber die Rolle von „Du musst nur Ja sagen, dann bin ich dir Hals über Kopf verfallen.“ Vielmehr zeigt das Album immer wieder, dass Lina Maly die Liebe als etwas erkannt hat, das einer Entscheidung bedarf, und zwar von beiden Seiten. Dass diese Entscheidung auch reversibel ist, versteht sich bei einem Zitat wie dem am Anfang dieser Rezension von selbst. Das ist wenig melodramatisch, aber sehr erwachsen und vor allem souverän.
„Wir könnten alles oder gar nichts sein / du musst nur sagen, was du willst“, singt sie in Wie weit. Die Frage, die im Songtitel steckt, wird zwar auch hier dreimal wiederholt wie bei Mias Hungrigem Herz, steht aber nicht so sehr für die kokette Herausforderung zum Flirt-Duell, sondern fordert vielmehr erneut ein Bekenntnis des Gegenübers ein, das auch den eigenen Rest eines Zweifels beseitigen soll. „Wir sind nicht mehr, wie wir waren / und da kommen wir auch nicht mehr hin“, lauten die wichtigsten Zeilen in Wolken. Auch hier tut das Ende der Beziehung natürlich weh, ist aber kein Weltuntergang. Lina Maly hat offensichtlich einfach keine Lust, sich das Herz brechen zu lassen – und vor allem hat sie erkannt, dass ihr eigener Wert nicht davon abhängt, wie glücklich ihre Beziehung ist oder wie sehr jemand sie darin begehrt und braucht. „Es kann mir nichts passieren, wenn du mein Herz verlierst“, sagt sie. „Es gehört immer noch mir und jedes Gehenlassen bedeutet auch: Ich kann es einer anderen Person schenken.“
Im schwungvollen Titelsong Nie zur selben Zeit werden die Naturbezüge besonders deutlich, sie klingt hier, als flaniere sie zwischen diesen Tönen umher. Auch Wenn du mich küsst steckt voller Verweise auf Wind, Schatten und Meer, das sinnliche Illusion bleibt im Ungefähren. Bei Jeder weint fügt sich der Rap von Disarstar erstaunlich gut ein und zeigt im Umkehrschluss, wie stimmig und geschlossen die Ästhetik in den anderen Songs ist. Mit viel Groove (und im Refrain sogar so etwas wie Punch) überrascht Ich fall, das bei anderen Künstler*innen womöglich zu schwülstigem Selbstmitleid führen würde, hier aber von einer sehr pragmatischen Erkenntnis getragen wird: „Einige Menschen brauchen weniger von einem, als man dachte und wünschte. Man kann dann alles probieren, aber was nicht zusammengehört, wird auch nicht zusammenfinden“, weiß Lina Maly.
Aufhorchen lässt auch Schmerz vereint. „Ich habe versucht in Worte zu fassen, wie es sich anfühlt, Betroffene von sexueller Gewalt zu sein. Für diejenigen, die es nicht wissen, aber vor allem für diejenigen, die den Schmerz teilen. Ich will mit dem Song Verbundenheit ausdrücken, die den permanenten Schmerz zwar nicht ausgleicht, aber erträglicher macht“, sagt sie dazu. Die Stärke des Lieds ist, dass es nicht zu explizit auf dieses Thema eingeht, dadurch aber umso eindringlicher wird. „Ich hab‘ Liebe, die holt mich daraus / ich hab‘ Kraft, die baut sich noch auf / ich hab‘ Mut, du auch“, lautet die Botschaft an ihre Leidensgenossinnen. Den Abschluss des Albums macht Wo sind die Jahre hin, das der rührendste Moment auf Nie zur selben Zeit wird, weil hier aus der Perspektive des Kinds und dennoch weise und weitblickend erzählt wird.
In einigen Fällen klingen die Lieder dieser Platte so ähnlich wie die, die Nora Tschirner so elegant und schwelgerisch für Prag gesungen hat. Der Gesang erinnert manchmal an Judith Holfernes, der Sound lässt sich gelegentlich in der Nähe von Boy verorten. Praktisch immer hört man hier eine schöne Stimme, die kluge Zeilen singt – und manchmal reicht das für eine gute Platte ja schon aus. Solche Allgemeinplätze und solche Vergleich verwässern allerdings die Individualität, die in diesen zehn Liedern steckt.
Das Video zu Wie weit spielt natürlich im Freien.
Im Februar gibt Lina Maly live zu sehen.
01.02. Kiel, Hansa48
02.02. Rostock, MAU Club
03.02. Leipzig, Täubchenthal
04.02. Hamburg, Knust
07.02. Erfurt, Engelsburg
08.02. Dresden, Scheune
09.02. A – Wien, Chelsea
10.02. A – Linz, Posthof
11.02. Friedrichshafen, Caserne
13.02. München, Ampere
14.02. Nürnberg, Club Stereo
15.02. Reutlingen, Franz.K
16.02. Ulm, Roxy
18.02. Frankfurt, Brotfabrik
20.02. Köln, Gebäude 9
21.02. Dortmund, Junkyard
22.02. Marburg, KFZ
24.02. Hannover, Musikzentrum
25.02. Bremen, Lagerhaus
27.02. Münster, Skaters Palace
28.02. Berlin, Heimathafen Neukölln
31.03. Mannheim, Alte Feuerwache
Website von Lina Maly.