Künstler*in | Madsen | |
Album | Die Weihnachtsplatte | |
Label | Goodbye Logik | |
Erscheinungsjahr | 2024 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Fleet Union / Sven Sindt |
Wer sich fragt, warum (ausgerechnet) Madsen heute (ausgerechnet) ein Album mit selbst geschriebenen Weihnachtsliedern vorlegen, der sollte bei seiner Suche nach einer Antwort vielleicht ganz weit in die Vergangenheit eintauchen. Genauer gesagt: ins Jahr 2005. Damals veröffentlichte die Band aus dem Wendland nicht nur ihr Debütalbum. Im selben Jahr ging auch die Webseite www.therealhits.de online. Und die hinter diesem Online-Auftritt stehende Idee ist letztlich auch der Schlüssel für Die Weihnachtsplatte.
Die Webpräsenz einer vermeintlichen Plattenfirma, betrieben von zwei einigermaßen dubiosen Typen namens Tom und Chris, war die angebliche musikalische Heimat von Acts wie Zorro, Middle Earth oder Mein Gott Walter. Hinter all diesen Acts steckten aber (ebenso wie hinter Tom und Chris) in Wirklichkeit einige Mitglieder von Madsen, die hier unter Pseudonym diverse Ausflüge in Genres wie Dance, Metal, Rap und Schlager unternahmen. Schon im Jahr, in dem ihre eigene Karriere gerade erst begann, hatte die Band aus dem Wendland also a) große Lust, sich stilistisch auch in anderen Bereichen auszutoben, und dabei b) die Fähigkeit, das eigene künstlerische Schaffen auch mit einer erfreulichen Dosis Selbstironie zu betrachten.
Auf der Website von The Real Hits gab es zwar seit 2015 keine Aktivität mehr und mittlerweile ist die Domain komplett abgeschaltet. Die Neugier und den Humor, der daraus sprachen, haben sich Madsen allerdings erhalten. So, wie sie damals dachten „Lass uns mal probieren, ob wir auch Dancefloor-Hits oder Tru-Metal-Tracks schreiben können“, dachten sie diesmal offensichtlich: „Lass uns mal schauen, ob wir nicht auch eine Weihnachtsplatte hinbekommen.“ Ein ganz ähnlicher Ansatz steckte übrigens auch schon hinter dem 2020er Punk-Album Na gut, dann nicht: Zuerst war es ein Experiment, ob dieser Sound in den eigenen Händen funktioniert, dann entstanden nach und nach so viele Lieder, dass bald ein ganzes Album gefüllt war.
Treffenderweise eröffnet nun (nach einem Intro mit lieblichem Ahaha-Kinderchor, schicken Streichern und toller Klaviermelodie) das schon 2023 als erste Christmas-Kostprobe veröffentlichte Es geht wieder los die Platte. Oberflächlichkeiten wie Fensterdekoration, Glühweinschwips und Kaufrausch klingen darin genauso an wie Popkultur-Referenzen (Kevin allein zu Haus, Last Christmas) und der tiefe Wunsch nach Hoffnung, Friede und harmonischem Miteinander. Eine Zeile wie „An alle, die mich hören: Bitte seid lieb“ kann man aber selbst Madsen nur im Advent durchgehen lassen.
Schnell macht Die Weihnachtsplatte allerdings klar, wie gut die üblichen Botschaften rund um das Fest der Liebe zum Madsen-Werte-Kanon mit der Betonung von Hoffnung, Zuhause, Familie, Geborgenheit und Freundschaft passen, und wie gekonnt die Band hier meist sehr rockige Umsetzungen für ihre eigenen Weihnachtsbetrachtungen findet. Nur dreimal geht es im Sound etwas besinnlicher zu. Weihnachtslichter überrascht mit einem Mix aus akustischer Gitarre, elektronischen Beats und Streichern, ebenso wie mit Storyteller-Elementen. Das recht poppige Schneeflocke, gesungen von Gitarrist Johannes Madsen, erzählt von Flirtversuchen mit dem Ziel, an Heiligabend nicht allein zu sein, wobei der Advent nach und nach zum Countdown wird. Der sanfte Schlusspunkt Einsame Herzen setzt unter anderem auf die zusätzliche Stimme von Lisa Who, ganz viel Einfühlungsvermögen und auf die Erinnerung daran, dass Weihnachten ein Fest des Mitgefühls sein sollte.
„Wir mögen Weihnachten. Sich auf das Jahr besinnen, Dinge verschenken, mit der Familie abhängen, gemeinsam kochen, das Haus schmücken, Weihnachtsplatten hören – wir lieben das“, sagt die Band. Das hindert sie aber erfreulicherweise nicht daran, mit musikalischen Konventionen zu brechen. In den ersten Sekunden von Merry Christmas To Me verwandelt sich die Melodie von Jingle Bells in einen Kracher à la Lust For Life oder Are You Gonna Be My Girl?, später darf sogar geflucht werden: „Auch wenn ihr mich in den Wahn treibt / Ich bin froh, dass ihr da seid / alles andere ist egal / frohes Fest, verdammt noch mal.“ Die (ebenso einfache wie originelle) Idee von Weihnachtslied zum Tanzen lässt sich schon dem Songtitel entnehmen und wird perfekt umgesetzt. Weihnachtsparty Legende erzählt die Geschichte einer eskalierenden Betriebsfeier als Boogie-Punk. Madsen lassen darin ein kleines bisschen die Prolls in ihnen zum Vorschein kommen (wie das auf einer Weihnachtsfeier ja auch gerne mit den Kolleg*innen passiert) und sind damit klanglich nicht ganz weit weg von Torfrock (was in diesem Fall nicht als Diss gemeint ist).
Die größte Sound-Referenz für Die Weihnachtsplatte sind aber erstaunlicherweise Weezer. Das Album enthält mindestens drei Momente, die Rivers Cuomo (und allen Fans, die beispielsweise den Pinkerton-Zeiten nachtrauern) die Tränen in die Augen treiben dürften. Weiße Weihnacht gehört dazu mit seiner Schilderung vom (auch zur Weihnachtszeit) absolut unbesinnlichen und erstaunlich grauen Berlin, genauso wie das wundervolle Ich Tanze im Schnee (wo Sentimentalität erlaubt ist, darf man sich auch Individualität erlauben) und Niemand liebt dich, das als Lied über enttäuschte und doch nicht erloschene Liebe textlich auch gut zu den Ärzten passen würde.
Was Madsen hier letztlich gelingt, ist nicht nur ein sehr kurzweiliges Album als Beweis der enormen Kreativität und Vielseitigkeit dieses Quartetts. Die Weihnachtsplatte verweist ziemlich clever auch immer wieder auf die verschiedenen Perspektiven rund um die Feiertage. Dazu gehört die Magie des Fests für Kinder ebenso wie die Desillusionierung, die man als Erwachsener erleben kann, wenn man sich die Überhöhung und all die gesellschaftlichen Konventionen klar macht, die mit Familien-, Konsum- und Geschenkezwang einhergehen und oft genug nicht zu Miteinander und Seligkeit, sondern zu Stress und Verlogenheit führen.