Künstler*in | Madsen | |
Album | Hollywood | |
Label | Goodbye Logik | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Fleet Union / Dennis Dirksen |
„Wir scheißen auf Indie“, sprachen mir Madsen ins Mikrofon, als ich sie 2010 zum ersten Mal zum Interview traf. Der Satz überraschte mich damals, vielleicht war er sogar ein kleiner Schock. Ich hatte die Band aus dem Wendland immer so wahrgenommen, als sei sie in einer Alternative-Kultur sozialisiert worden, als hätten sie beispielsweise ohne Tocotronic niemals die Idee gehabt, deutschsprachige Rockmusik zu machen, und als würden sie beispielsweise ohne Rival Schools komplett andere Songs schreiben. Mittlerweile ist die Aussage aber nicht nur überzeugend, sondern (auch für mich) plausibel. Das latent elitäre und womöglich ausschließende Element, das Indie innewohnen kann, spielte in ihrer Musik nie eine Rolle. Madsen stehen für maximale Inklusion.
Sie haben eine Entwicklung genommen, die man auch bei anderen Bands mit Wurzeln im Underground erkennen kann: Was sie anno 2023 machen, auf ihrem mittlerweile neunten Album, ist einfach moderne, eingängige, inspirierte Rockmusik. Vieles von dem, was man auf Hollywood findet, könnte man sich mit englischen Texten auch von den Foo Fighters oder Biffy Clyro vorstellen.
Die Band vollbringt auf dem in Hamburg mit Produzent Simon Frontzek aufgenommenen Album das Kunststück, sofort wiedererkennbar zu sein und ihren Markenkern weiter zu pflegen, ohne auf der Stelle zu treten oder zu langweilen. Immer, wenn man glaubt, Madsen rutschten in zu viel Zuversicht und Harmonie ab, gibt es ein paar Überraschungen wie die Springsteen-Elemente (der kämpferische Gestus und das Born To Run-Glockenspiel) in Der Baum, die Stoner-Rock-Anspielungen in Unter dem Radar oder die psychedelische Passage in Wir haben immer noch die Sonne, in dem Optimismus quasi zum Naturgesetz wird. Zum neuen Schwung hat dabei nicht nur das spontane Punk-Album Na gut dann nicht (2020) beigetragen, sondern auch die Tatsache, dass Hollywood erstmals auf ihrem eigenen Label erscheint.
Die Single Ein bisschen Lärm eröffnet das Album, die Wortspiele im Text lassen an Kraftklub denken, der (allerdings von Lisa Who geschriebene) Refrain ist hingegen unverkennbar Madsen: strahlend, optimistisch, mitreißend und nicht zuletzt die Kraft von Gitarrenmusik preisend. “Wir hatten noch nie einen schöneren Opener für ein Album”, meint Sebastian Madsen, und tatsächlich liefert der Song Klassikern wie Ja oder Nein und Vielleicht einen harten Kampf in dieser Kategorie. Das Beste von mir könnte eine Liebeserklärung des Sängers an die eigene Band sein (erst recht nach seinem im vergangenen Jahr erschienenen Soloalbum Ein bisschen Seele), das wunderbare Rock’n’Roll feiert mit viel Energie und ein paar Weezer-Harmonien die einfachen Musikbegeisterten-Freuden wie Luftgitarre und Discokugeln, Pommes und Bier.
Heirate mich ist der einzige Schwachpunkt der Platte: Das Lied ist zwar ausreichend romantisch, kommt aber eher diszipliniert daher als mit dem Überschwang, der eigentlich in der Idee einer Shotgun Wedding stecken sollte, wie sie hier besungen wird. Ein Highlight auf Hollywood und in ihrer gesamten Karriere ist hingegen der Titelsong. Madsen zeigen sich hier im ernsthaften Storyteller-Modus in der Nähe beispielweise von Thees Uhlmann oder Kettcar und erzählen die Geschichte von zwei auf unterschiedliche Weise benachteiligten Kindern, die über einen gemeinsamen Traum vom Glück zueinander finden. Das Ergebnis wird rührend und tatsächlich zum Heulen schön, durch die filigranen Streicher, den erhebenden Chor und den wundervollen Refrain, vor allem aber durch die Botschaft von tiefer Menschlichkeit.
Willi ist wieder so eine Madsen-Geschichte aus dem echten Leben, wieder erzählen sie vom Heranwachsen in der Provinz, das eine Loyalität schafft, die nicht so leicht kaputtzukriegen ist („Freundschaft kann man nicht verlernen“), weder von ein paar Jahrzehnten noch von hunderten Kilometern Entfernung. Brücken ruft dazu auf, sich nicht Angst machen zu lassen vor den/dem Unbekannten und der Zukunft, sondern Verbindungen zu schaffen, auch zu Fremden, gerne schon im Hier und Jetzt und mit nachhaltiger Tragkraft. Der gleiche Weg nach Haus holt dieses Thema (Verbundenheit, Zusammenhalt, Beistand) wieder zu den Freunden aus der Kindheit, natürlich passt der Song damit auch für die Beziehung zwischen Band und Fans. Man kann das kalkuliert finden, man kann aber auch darüber staunen, wie weit weg es von der sonst im Rock noch immer üblichen Ego-Show ist.
Diese Nahbarkeit unterstreichen Madsen in den nächsten Wochen auch mit einer speziellen Tour: An vier Terminen treten sie nicht etwa in großen Arenen oder auf Festival-Bühnen auf, die sie mühelos füllen könnten, sondern in Biergärten (darunter am 29. August in Leipzig am Felsenkeller), zum gemeinsamen Grillen mit den Fans. Auch das ist ein Beweis dafür, dass diese Band ein ganz eigenes Ethos hat, das viel universeller ist als das übliche Indie-Selbstverständnis: Sie wollen sich nicht abheben vom Rest durch Anderssein. Sie sind zwar anders und wissen auch darum. Aber das führt nicht zu Arroganz oder Isolation, sondern zum Wunsch, diesen Rest, also den Mainstream, mit ihrer Musik zu erreichen – und ihn vielleicht davon zu überzeugen, dass dieses Anderssein eine ziemlich reizvolle Sache sein könnte.