Madsen – „Na gut dann nicht“

Künstler Madsen

Madsen Na gut dann nicht Review Kritik
In nur zwei Wochen haben Madsen „Na gut dann nicht“ rausgehauen.
Album Na gut dann nicht
Label KEEK
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Sebastian Madsen, der Frontmann von Madsen, hat neben der Tätigkeit in seiner eigenen Band zuletzt Songs für andere Künstler geschrieben. Dazu zählen Johannes Oerding, Max Mutzke und Lina Maly. Wer diese Tatsache kennt und Madsen bisher vor allem als Charts-Rock für Gutmenschen wahrgenommen hat, wird es nicht fassen können, dass die Band aus dem Wendland Na gut dann nicht tatsächlich als lupenreines Punk-Album ankündigt.

Madsen und Punk? So unvereinbar diese Kombination für den flüchtigen Betrachter erscheinen mag, so schlüssig wirkt sie angesichts dieser Platte schnell. Es gibt hier Lieder, die mit „1, 2, 3, 4“ eingezählt werden, es gibt Rülpsen und Hansa-Pils, auch Verweise auf Iro und Pogo fehlen nicht. Gleich vier Stücke sind bei Spotify mit der „explizit“-Warnung versehen. Nicht zuletzt hatte die Band auf ihrem Debüt, etwa mit Songs wie Die Perfektion, Panik oder Diese Kinder schon gezeigt, dass sie auch ruppig sein kann, auch live ist die Härte von Madsen stets unverkennbar geblieben. „Anfang der Neunziger gab es bei uns eine große Punk-Szene, und die erste Band, die Johannes und ich gegründet haben, war natürlich eine Punk-Band. Unsere Vorbilder waren SLIME, Daily Terror, Toxoplasma oder Schleimkeim“ so Sebastian. „Auf dem ersten Madsen-Album hört man den Einfluss schon noch sehr deutlich, im Laufe der Jahre ist er dann etwas in den Hintergrund geraten. Aber Punk ist unsere Jugendliebe“, sagt er.

Das vielleicht beste Argument für ihre Credibility haben Madsen mit einem Prank geliefert: Zwei der hier enthaltenen Songs haben sie zuvor inkognito als Junge Scheiße Punx veröffentlicht und damit gutes Feedback generiert, inklusive Berichterstattung in Visions und Lob von Leuten, die sich Madsen sonst allenfalls unter Vollnarkose genähert hätten. Bei diesem Gag unterstützten die Nachwuchsband Die Streber aus Naumburg, die ihre Gesichter für die Videos hergaben (der erste Song, der unter dieser Tarnung erschien, ist Alte Weiße Männer, mit einem geilen Dosenbier-Refrain, vor Wut heiserem Gesang und schonungslosem Text) und Montreal, die den Gesang zu Der größte anzunehmende Unfall beisteuerten, das nun Supergau heißt. Auch dieser Song ist heavy und anti, provokant und rasant – Punk as fuck.

Der Text stammt bei beiden Songs von Lisa Who: „Punk ist zwar nicht unbedingt ihre Musik“, sagt Sebastian Madsen über die Keyboarderin der Band, die es in ihren eigenen Songs sonst eher ätherisch mag, „aber sie ist eine wahnsinnig gute Punk-Texterin. Lisa ist der bewussteste Mensch in der Band, was Nachhaltigkeit angeht. Das Ding ist ja: die Klimadiskussion ist ein viel größeres Problem als Corona, global gesehen. Das ist das, was die Erde zu Grunde richten wird. Das kann man ruhig mal so sagen.“ Auch sonst waren die anderen Bandmitglieder diesmal stärker eingebunden als zuletzt. „Unsere Tage sahen so aus: Zusammen im Garten sitzen, texten, aufnehmen, Bier trinken und am Ende das Tagwerk hören“, erzählt Sebastian. „Sonst schreibe ich immer alleine, aber ich muss sagen: Wir haben als Kollektiv nie so gut funktioniert wie bei diesem Album. Deswegen stecken in den Songs auch so viel Humor und ganz andere Facetten.“

In Quarantäne für immer beispielsweise singt jedes Bandmitglied eine Strophe, was einen sehr charmanten Effekt hat. Die Covid-19-Pandemie und die Belastungsprobe, die sie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt darstellt, spielt auf Na gut dann nicht eine Hauptrolle, etwa in Auf deinem Balkon, das zwischendurch etwas Rockabilly einbaut, oder Behalte deine Meinung, in dem das drohende Ende von Manieren, Respekt, Diskurs und Informiertheit thematisiert wird. Dass Madsen auch politisch und sogar Aktivisten sind, wird niemanden überraschen, der diese Band schon länger begleitet, hier wird es aber auch in den Texten so offenkundig wie nie. „Was alles in der Welt los ist und falsch läuft, nimmt man ja gerade in dieser Zeit noch viel bewusster wahr“ sagt der Sänger. „Bei mir hat sich da eine Menge angestaut, was raus musste. Musikalisch blicken wir auf dem Album zwar ziemlich zurück, uns war aber wichtig, mit den Texten voll und ganz in die heutige Zeit zu passen.“ Punk als Medium nutzt er nun auch wegen der „respektvollen Respektlosigkeit“, die er daran schätzt: „Mit den Mitteln des Punks kann man Dinge lustig ausdrücken, man kann pöbeln, ohne es böse zu meinen, man kann sich klar ausdrücken und auch sehr politisch sein.“

Dafür finden sich etliche Beispiele. Die Botschaft in Protest ist cool, aber anstrengend lautet: Rückzug ist keine Option, Bequemlichkeit ist gefährlich, wenn die Feinde zu allem entschlossen sind. Auch Scheiße zu Gold will ganz offensichtlich die schweigende Mitte aufrütteln, also die Leute, die vielleicht manchmal frustriert und enttäuscht sind, aber ihr Leben noch nicht dem Frust in den Rachen geworfen haben. Wenn du am Boden liegst erinnert daran, wie selbstverständlich Menschlichkeit, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft sein sollten. Trash TV nimmt den Terror der Selbstinszenierung ins Visier („Manchmal fühl ich mich so schrecklich allein / Ich will doch nur der Mittelpunkt der Erde sein“) und Menschen, die glauben, sie würden erst durch Reichweite, Likes und Aufmerksamkeit wertvoll werden.

Auch der Titelsong (das Komma wegzulassen, ist Absicht und ebenfalls Punk) will aufrütteln. Die Verweigerung in Na gut dann nicht richtet sich dabei gegen „Rassismus, Patriarchatsfossile, Nazis, Machos, Verschwörungsbullshit, antidemokratische Scharfmacher, Religionsterror, Männerbündeleien, Waffenidioten, Monopole, Unterdrückung aller Art, Panikmache, Wissenschaftsleugner, Unvernunft“, wie die Band im begleitenden Statement aufzählt. Als Auftakt der Platte macht der Song mit einem primitiven Riff, einem grölenden Chor im Refrain, einem knüppelnden Schlagzeug und rotziger Attitüde unmissverständlich klar, wie ernst es Madsen mit der Punk-Ästhetik meinen, natürlich können sie auch hier hymnisch sein und ihr Talent für Melodie nicht verbergen.

Punk ist nicht zuletzt die Entstehungsweise des Albums, das in nur zwei Wochen im heimischen Studio geschrieben und aufgenommen wurde, letztlich als Reaktion auf den Corona-bedingten Stillstand. Eigentlich hatte Sebastian Madsen ein neues Album für die Band bereits komplett geschrieben, im Sommer sollte es aufgenommen werden, danach eine Tour folgen. Dieses Standard-Vorgehen wurde aber (vorerst) in die Tonne gekloppt, weil sich eine Eigendynamik entwickelte. „Mitte März sind Lisa und ich ins Wendland gefahren, haben den Proberaum gründlich aufgeräumt und für andere Künstler Musik geschrieben. Aber dann hatte ich plötzlich diesen Bock auf Punk“, erinnert sich der Sänger.

Herzstillstand liefert die musikalische Erklärung dafür, warum Madsen plötzlich wieder Lust auf Punk haben und zeigt zudem einen Humor, der sich (meist in Form von Insider-Gags) immer wieder auf Na gut dann nicht findet. Wir nennen dich Mücke erweist sich als Ode an ihren Tour-Gitarristen Martin Krüssel (ehemaliger Sänger von EL*KE). Der Song beginnt mit akustischer Gitarre und Lagerfeuer-Atmosphäre, wird dann aber zur Hymne mit großem Chor, Hardrock-Gitarrensolo und ultimativer Lobhudelei. Am Ende der Platte darf mit Benjamin von Stuckrad-Barre ein weiterer Buddy der Band ein wenig mit einem Wörterbuch eskalieren.

Insgesamt funktioniert das so gut, dass fast alle dieser Songs auf jedem Ärzte-Album ein Highlight wären. Die Spontaneität der Entstehung (als „Ferien von Regeln“ betrachtet die Band diese Platte) sorgt für eine sehr angenehme Frische, von der man sich nur wünschen kann, dass Madsen sie auch für das nächste reguläre Album beibehalten. Und fast noch größer ist die Hoffnung, diese Songs irgendwann einmal live erleben zu können. Gerne auch mit Pogo, Aktivisten und Dosenbier.

Schon wieder ein Prank: Im Video zu Herzstillstand sind Madsen als fiktive Schlagerband „Deine Jungs“ zu sehen.

Website von Madsen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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