Künstler | Malena Zavala | |
Album | La Yarará | |
Label | Yucatan Records | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
I’m Leaving Home heißt das dritte Lied auf dieser Platte, es klingt bewusst träge und ein bisschen wie eine bisher unbekannte Schnittmenge aus Heather Nova und Nelly Furtado, zugleich ist es die erste Single dieses Albums. Im Fall von Malena Zavala muss man vor dem Ausziehen aus der gewohnten Umgebung aber zunächst die Frage stellen: Zuhause – wo soll das für sie überhaupt sein? Sie wurde in Argentinien als Kind italienischer Eltern geboren und ist in England aufgewachsen. „Als ich in Hertfordshire zur Schule ging, fühlte ich mich nirgends zugehörig, weil meine Eltern Ausländer waren“, sagt sie. Es waren unter anderem die Möglichkeiten der Kunst, die sie schon in dieser Lebensphase für sich entdeckte, die ihr über dieses Gefühl hinweg halfen: „Meine Familie war sehr Kunst-affin, so bin ich aufgewachsen. Sie hat mich immer ermutigt, mich mit Kunst zu beschäftigen, in Galerien und Museen zu gehen oder Konzerte zu besuchen. An meiner Schule ging es hingegen immer nur um Mathe und Naturwissenschaften. Meine Lehrer waren nicht begeistert, als ich Musik, Kunst und Design als Fächer für meinen Abschluss gewählt habe. Es gab nicht viele andere, die sich dafür interessiert haben.“
Sie hat diese Begeisterung nie verloren und nutzt sie jetzt auf La Yarará für eine Beschäftigung mit den eigenen Wurzeln. Ihre ersten musikalischen Schritte hatte sie noch in einer Band mit ihrem Bruder namens Oh So Quiet gemacht. Als der zu seiner Liebsten nach Los Angeles zog, machte sie solo weiter, was 2018 im Debütalbum Aliso mündete. “Damals habe ich zum ersten Mal Musik geschrieben, die ich wirklich gefühlt habe und bei der ich wirklich etwas mitzuteilen hatte. (…) Seitdem bin ich zu der Person gewachsen, die ich heute bin“, sagt Malena Zavala. Mit den zehn Songs auf dem Nachfolger hat sie ihre Identität sowohl erkundet als auch gefunden, meint sie: „Es geht darum, dass ich nicht weiß, wo ich hingehöre. So habe ich mich mein ganzes Leben gefühlt.“
Im geheimnisvollen Paraná singt sie „I speak the language of paradise“, in Wirklichkeit schwankt der Gesang auf La Yarará zwischen Englisch und Spanisch (ihre Mutter hatte sie einst zum Musikmachen ermutigt, weil sie als bilingual aufgewachsenes Mädchen ein feines Gespür auch für Sprachmelodien habe). Das spiegelt sich in den Einflüssen für ihr zweites Album. Als Eckpunkte ihrer musikalischen Sozialisation benennt Malena Zavala beispielsweise Arctic Monkeys, Bombay Bicycle Club, Arcade Fire, Devendra Banhart, Feist und Cat Power, die hier zu findenden Genres gleichen einer musikalischen Rundreise durch Lateinamerika, von Cumbia und Reggaeton über Afro-Funk und Bolero bis hin zu Son und Folk aus den Anden. “Die Arbeit an diesem Album hat mir klar gemacht, dass Südamerika ein kultureller und politischer Schmelztiegel ist, und dass da auch viel Mist passiert“, erzählt sie.
What If I eröffnet die Platte extrem verlangsamt, die Stimme wird nur von ein bisschen Flirren umgarnt, bevor nach knapp zwei Minuten der Beat einsetzt und sofort für komplexen Schwung und große Tanzbarkeit sorgt, irgendwo zwischen Jenny Hval, Yalta Club und Friends. En La Noche vereint einen interessanten und vielfältigen Beat, zu dem auch ein Schlagzeugsolo beiträgt, mit einer sonnigen Gitarrenmelodie. Compay verbreitet viel Latin-Eleganz, auch Memories Gone, eine weiterentwickelte Idee aus der Zeit von Aliso, ist getragener als der Durchschnitt dieser Platte und rückt in die Nähe von Lana Del Rey.
Benannt ist die Platte nach einer Giftschlange, die in Argentinien beheimatet ist. „La Yarará wird auch als Schimpfwort für freche Frauen benutzt. Meine Eltern haben mich oft so genannt, ein bisschen ist der Titel also auch als Witz gemeint“, sagt Malena Zavala. Der Titelsong ist zu Beginn nervös, fast alarmistisch, dann sehr organisch und ursprünglich, wozu die Handclaps ebenso beitragen wie der mehrstimmige Gesang sowie das gemeinschaftliche Gelächter am Ende. Das Ergebnis klingt wie ein buntes Treiben auf einem Dorfplatz oder in einer Hafenkneipe. Das förmlich schwebende Naturaleza hat eine ähnlich warme Atmosphäre, in diesem Fall mit dem Gesang und Percussions als wichtigsten Bausteinen.
Aufgenommen wurde La Yarará innerhalb von drei Wochen in den Urchin Studios in London. „Es ist ein sehr schönes Studio mit viel Holz, was für den Sound des Albums sehr wichtig war. Ich wollte, dass es sich nach Buena Vista Social Club anfühlt. Ich wollte den Raum als Instrument nutzen, die Wände und den Holzboden einbinden.“ Identity ist noch so ein Song wie I’m Leaving Home, den man als sehr zentral betrachten kann, nicht nur wegen der Zeile “no place holds my heart”. In diesen fünf Wörtern „steckt das ganze Album“, sagt die Künstlerin. „Es geht darum, wie es sich anfühlt, weder nach England noch nach Argentinien zu gehören. Ich war mein ganzes Leben immer unterwegs. Mein Ansatz ist: Wo immer du hinkommst, was immer du erlebst in den Kulturen, in die du eingebunden bist – das macht aus, wer du bist. In meiner Vorstellung ist es nicht so wichtig, wo du geboren bist, sondern wo du überall gewesen bist“, erläutert sie. Identity klingt wie eine Latin-Version von Lykke Li, der Gesang ist elegant und verführerisch, der Sound modern und individuell. Ein sehr typischer Moment für La Yarará ist auch Ritmo da vida: Der Song beginnt mit einer akustischen, somnambulen Gitarre, zu der sich dann ein überraschend energischer Beat gesellt. Aus dieser Kombination erwachsen schnell viel Frische und Kraft, manchmal kurz vor dem Chaos. Aber so ist das Leben ja auch.