Mammút – „Kinder Versions“

Künstler Mammút

Kinder Versions Mammút Kritik Rezension
„Kinder Versions“ ist das erste englische Album von Mammút.
Album Kinder Versions
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Von den knapp 350.000 Einwohnern auf Island sind gefühlt zwei Drittel in Bands aktiv, und geschätzte 99 Prozent davon können einen ganz bestimmten Vergleich bestimmt nicht mehr hören. Kein Wunder: Als deutscher Act im Ausland möchte man auch nicht standing gefragt werden, ob man wie Rammstein klingt. Und doch kann man gleich im ersten Song von Kinder Versions die Uhr danach stellen, wie lange es dauert, bis irgendjemand das böse Wort sagen wird: Björk.

Das Lied setzt zunächst genau auf deren typisch spukigen-Elektrosound, lässt dann allerdings einen überraschend beherrschten Refrain folgen, danach bietet We Tried Love noch eine spannende Wendung hin zu Rock-Ästhetik und ganz am Ende einen Chor, den man auch nicht hat kommen sehen. Sängerin Kata Mogensen singt über Liebe, Trauer und Bedauern – und über die Erkenntnis, dass all diese Gefühle nun einmal existieren, notfalls auch gegen unseren eigenen Willen. Auch ihre Stimme hat einige Ähnlichkeit mit der von Björk Guðmundsdóttir, doch sie dürfte mit dieser Parallele kaum ein Problem haben: Ihr Vater Birgir Mogensen spielte einst gemeinsam mit Björk in einer Band namens Kukl.

Zudem gibt es noch eine weitere wichtige Gemeinsamkeit mit der isländischen Vorzeigekünstlerin: Auch Mammút hätten nichts gegen internationalen Erfolg einzuwenden. Kata Mogensen, Alexandra Baldursdóttir (Gitarre), Arnar Pétursson (Gitarre), Ása Dýradóttir (Bass) und Andri Bjartur Jakobsson (Schlagzeug) spielen zusammen, seit sie 14 sind (“We’re so close as a band, we have no limits for each other, no boundaries, we just follow our gut instincts”, umschreibt die Sängerin das Miteinander innerhalb das Quartetts) und haben es in ihrer Heimat zu größtmöglichem Erfolg gebracht. Ihr drittes Album Komdu Til Mín Svarta Systir gewann 2014 drei Iceland Music Awards, darunter den als bestes Album. Auch der Preis für die beste Single ging an Mammút, insgesamt waren sie achtmal nominiert.

“Wir hatten uns nie bewusst dazu entschieden, nur auf Isländisch zu singen. Das fühlte sich einfach nur natürlich an für die Sachen, die ich schrieb”, erklärt Kata Morgensen. „Aber es gibt in Island so wenige Möglichkeiten, aufzutreten. Wir wollen weiter vorankommen. Jetzt auf Englisch zu singen, öffnet uns dazu die Tür. Die Leute können jetzt nicht nur die Gefühle verstehen, die ich beim Singen mit ganzem Herzen ausdrücke, sondern auch die Texte.”

Das ist durchaus ein Mehrwert. Ähnlich wie im schon erwähnten We Tried Love geht es oft um das Akzeptieren des Unvermeidlichen, etwa in The Moon Will Never Turn On Me mit straightem Beat, ungewöhnlichen Streichern und den Zeilen “I’m afraid to die / but it’s okay”. Auch in Pray For Air spüren Mammút zu einem Sound, der zwischendurch richtig heavy wird, Widersprüchen nach, unter anderem der Hoffnung, irgendwo im Wasser werde sich beim Untergehen schon etwas Luft finden.

“Es gibt so etwas wie einen roten Faden auf dieser Platte, allerdings kann ich ihn selbst noch nicht richtig benennen. Der Albumtitel gehört zu einer größeren Geschichte, einer netteren Version von etwas anderem, einer Situation. Ich fände es schön, wenn die Hörer rund um diese Idee ihre eigenen Interpretationen entwickeln“, sagt die Sängerin. Der weitgehend akustische Titelsong Kinder Versions bietet für die Erfüllung dieses Wunsches mit einem mysteriösen und beunruhigenden Rückwärts-Beat beste Voraussetzungen, ebenso wie Breathe Into Me, das nicht nur wegen der Kannibalismus-Metaphern federnd und geheimnisvoll wird, oder der Album-Schlusspunkt Sorrow, der sich von reduziert zu dramatisch zu spektakulär entwickelt.

Neben den Texten ragt die Stimme heraus. Bye Bye ist im Prinzip acappella, nur ein paar Effektgeräte und am Ende etwas Klavier begleiten den Gesang von Kata Morgensen. Auch in Walls wird schnell klar, dass die Stimme alles überstrahlt – egal, wie viel in diesem Track rundherum passiert. Beeindruckend ist auch die Vielfalt der Einflüsse, die sich auf Kinder Versions erkennen lassen, etwa in What’s Your Secret?, das sehr wirkungsvoll das Kopfkino in Gang setzt.

Welche Erwartungen Mammút an ihr erstes Album auf Englisch knüpfen? Kata Morgensen bleibt ebenso vorsichtig wie abenteuerlustig: „Wir hatten es nie sonderlich eilig, wir haben alle ganz normal studiert, während wir in der Band waren und nie irgendwelche Karriereziele formuliert. Aber die Band ist das, was wir am meisten lieben. Jetzt haben sich neue Möglichkeiten ergeben und ein paar Dinge sind ins Rollen gekommen. Warten wir mal ab, wohin uns das führt.“

Das Livevideo von KEXP zeigt: Das mit „von ganzem Herzen“ ist sehr wörtlich gemeint.

Mammút bei Bandcamp.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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