Künstler*in | Mark Lanegan Band | |
Album | Phantom Radio | |
Label | Heavenly | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Es gibt einen Moment auf Phantom Radio, der sehr gut veranschaulicht, wie diese Platte funktioniert. Es ist der vierte Song dieser Platte, und er klingt exakt 21 Sekunden lang sehr einnehmend, mit einem fast tanzbaren Beat und entspannten Keyboardklängen. Doch dann erklingt die Stimme von Mark Lanegan, und es würde selbst dann automatisch abgründig wirken, wenn er nicht als erste Zeilen „The killing season, it’s beginning / I feel your hands around my throat“ singen würde.
Diesen Widerstreit aus angedeutetem Wohlklang und unvermeidlicher Dunkelheit bietet die Mark Lanegan Band hier immer wieder. Wie auf der vorangegangenen EP No Bells On Sunday sind oft programmierte Beats das Fundament, die der Künstler auf seinem Smartphone (!) erschaffen hat, auch Eighties-Synthesizer haben eine sehr prominente Rolle wie in Floor Of The Ocean, wo sie auf eine einsame The-Cure-Gitarre treffen. Das Leiden an verschmähter Liebe in Torn Red Heart könnte tatsächlich eine Achtziger-Ballade in der Nähe von Berlins Take My Breath Away sein. In Seventh Day irritiert der angedeutete Funk ebenso wie der „Lalala“-Part, Waltzing In Blue wird mysteriös und fast etwas exotisch, doch all dies lässt der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung fast 50-Jährige mit perverser Lust auf unbarmherzige und düstere Sounds wie im Album-Abschluss Death Trip To Tulsa treffen.
„Happy“, heißt das erste Wort, das er auf Phantom Radio singt, es wird allerdings gleich in der zweiten Strophe des Openers Harvest Home durch die Ergänzung „Happy that I’m made of stone“ geradegerückt, später auch durch das Eingeständnis „I need someone to help me chase the devil away.“ In Judgement Time verwandelt er sich zu tonnenschweren Tönen aus dem Harmonium zu einem Untergangspropheten, der keinen Zweifel daran lässt, dass wir wenig zu erhoffen haben, wenn das Jüngste Gericht in nicht allzu ferner Zukunft über uns urteilen wird. Schuld, Sünde und Vergebung besingt er in The Wild People – nicht mit so viel Gravitas und Intimität wie das bei Leonard Cohen wäre, aber mit einem ähnlich tröstlichen Effekt.
Das gelingt auch auf Phantom Radio natürlich in einer Linie durch seinen Gesang. Zehn Jahre vor Erscheinen dieser Platte hat ihm der NME bereits „the finest rock voice of his generation“ attestiert, und auch eine nach wie vor gültige Begründung dafür geliefert. „Ein zerlumptes, Marlboro-behaftetes, Whiskey-verseuchtes Bariton-Bellen mag es sein, aber es ist die Art und Weise, wie Lanegan es schafft, von Melancholie durchtränkte Ängste aus jeder Spalte der englischen Sprache aufzusaugen und jede undeutliche Silbe wie eine schmutzige Bestellung nach Ausschankschluss klingen zu lassen, die diesen erhabenen Status bestätigt. Lanegan hat eine Stimme, die Kinder erschrecken und dich zugleich in deiner dunkelsten Stunde trösten könnte.“
Damit kann man dann auch einen Song wie das reduzierte I Am The Wolf intonieren, nur begleitet von Synthieflächen und Gitarrenpicking. Sein Rudel ist diesem Wolf abhanden gekommen oder hat ihn ausgestoßen. Er macht sich keine Illusionen darüber, wie sein Schicksal aussieht oder wie die Menschen ihn betrachten – und gerade in der Brutalität dieser Selbsteinschätzung liegt der Rest von Hoffnung, der auf Phantom Radio oft erkennbar wird: So hart wie er selbst sein Dasein betrachtet, wird es dann vielleicht doch nicht sein. Jedenfalls nicht ein Leben lang.