Meine Tochter Anne Frank

Film Meine Tochter Anne Frank

Meine Tochter Anne Frank Review Kritik
Anne Frank (Mala Emde) hat Geheimnisse vor ihrem Vater (Götz Schubert).
Produktionsland Deutschland
Jahr 2015
Spielzeit 90 Minuten
Regie Raymond Ley
Hauptdarsteller Mala Emde, Götz Schubert, Axel Milberg
Bewertung

Worum geht’s?

Otto Frank kommt nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz von dort nach Amsterdam zurück. In seiner einstigen Firma bekommt er von seiner ehemaligen Sekretärin das Manuskript des Tagebuchs überreicht, das seine Tochter Anne geführt hat, während sich die jüdische Familie rund zwei Jahre in einem Hinterhaus vor den Nazis versteckt hat. Anhand seiner Lektüre zeichnet dieses Doku-Drama die Geschichte von Flucht, Versteck in permanenter Lebensgefahr, Verhaftung und Vernichtung nach. Neben gespielten Szenen, die aus dem Off mit Sequenzen aus Anne Franks Tagebuch angereichert werden, gibt es auch Statements von Zeitzeugen wie beispielsweise Schulkameraden, Helfern und Komplizen in Amsterdam, Arbeitskollegen des Vaters und Mithäftlingen des Mädchens aus dem KZ Bergen-Belsen, in das sie gebracht wurde und in dem sie 15-jährig starb.

Das sagt shitesite:

Die erste Szene zeigt Anne Frank in der Badewanne, gemeinsam mit ihrer drei Jahre älteren Schwester Margot. Sie reden über Sex, und man hat die schlimmsten Befürchtungen: Soll Meine Tochter Anne Frank etwa ein reißerischer Versuch werden, die Geschichte des Mädchens aufzupeppen für die boulevardisierten Aufmerksamkeitsspannen der Snapchat-Generation? Holocaust meets Fack ju Göhte?

Der Film von Regisseur Raymond Levy, der gemeinsam mit seiner Ehefrau auch das Drehbuch geschrieben hat, zeigt glücklicherweise schnell, dass dieser erste Eindruck falsch ist. Mehr noch: Ganz bewusst stellt er Anne Frank nicht in erster Linie als Oper dar, auch nicht als Heldin oder unschuldig. Das Mädchen, zu Beginn der Zeit im Versteck gerade 13 geworden, darf bei ihm ein Teenager sein, lebensfroh, neugierig, abenteuerlustig, voller Pläne und Fantasien. Sie spielt Streiche und gibt Widerworte, sie ist trotzig und eifersüchtig – und weiß doch um die enorme Disziplin, die ihre Situation erfordert.

Durch diesen Schwerpunkt greift Meine Tochter Anne Frank einen zweifachen Konflikt zwischen innen und außen auf. Sehr geschickt wird die Zuspitzung ihrer Lage durch die immer strengere Verfolgung der Nazis mit filmischen Mitteln in ihr Versteck im Hinterhaus getragen, etwa durch Projektionen auf die Zimmerwände. Die Hoffnung auf ein Ende des Terrorregimes, etwa durch die Invasion der Alliierten in der Normandie, findet übers Radio den Weg zu den Familien Frank und van Pels, die ebenfalls im vorbereiteten Versteck Unterschlupf finden. Auch, wenn alle Welt weiß, wie diese Geschichte endet, kommen so ein wenig Spannung und eine große, unpathetische Tragik in die Handlung – ebenso durch die Tatsache, dass Otto Frank unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Auschwitz noch nicht um das Schicksal seiner Tochter weiß.

Der zweite Innen-Außen-Konflikt spielt sich in der Vater-Tochter-Beziehung ab, die dem Film völlig zu Recht den Titel gegeben hat. Otto Frank weiß natürlich, dass seine jüngere Tochter extrem lebhaft und meist fröhlich ist, auch deutlich extrovertierter und reifer als andere Mädchen ihres Alters. Er nennt sie das „besondere Fräulein Anne“, und darin schwingt diese Erkenntnis mit. Mit dem Manuskript des Tagebuchs, dessen Editionsgeschichte hier damit auch nachgezeichnet wird, lernt er seine Tochter aber noch einmal ganz neu kennen. Auch bei ihr gibt es selbstverständlich ein innen und außen, und das Tagebuch offenbart auf für ihn mitunter schmerzhafte Weise all die Gedanken, Träume und Enttäuschungen, die sie nie ausgesprochen hat, nicht zuletzt literarische Fähigkeiten, die er wohl nie ganz ernst genommen hat.

Der Film erzählt dies sehr feinfühlig und ohne Überhöhung. Er stellt keine historisch gewordenen Figuren dar, die sich in einer verzweifelten Situation maximal heroisch gegen ein mörderisches Regime stellen, sondern Menschen, die menschlich bleiben wollen. Bewegend ist das gerade, weil Anne Frank hier als sehr quirlige Pubertierende proträtiert wird. Zum einen wird deutlich, dass sie nichts so sehr will wie Autonomie, aber genau diese kann sie im Untergrund natürlich niemals erleben. Zum anderen zeigt Meine Tochter Anne Frank an ihrem sehr individuellen Beispiel eben doch die allgemeine Brutalität des Holocaust, der mit jedem Menschen auch Lebendigkeit, Träume und Talent ausgelöscht hat.

Bestes Zitat:

„Glaube ja nicht, dass es einfach ist, der unerzogene Mittelpunkt einer Verstecker-Familie zu sein.“

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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