Mia Morgan – „Gruftpop“

Künstler*in Mia Morgan

Mia Morgan Gruftpop Review Kritik
Liebe ist auf Mia Morgans „Gruftpop“ nur eine Illusion.
EP Gruftpop
Label Beat The Rich
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Immer zu Pfingsten findet in Leipzig das Wave-Gotik-Treffen statt. Die Stadt ist dann bevölkert von Tausenden, die aussehen, als seien sie gerade einem Vampirfilm, dem Mittelalter oder dem gestörten Geist von Marilyn Manson entsprungen. Dass Mia Morgan (die aus Kassel kommt) den düster-nekromatischen Videoclip zu Es geht dir gut in Leipzig gedreht (und dabei neben dem Hauptbahnhof und der Unibibliothek auch einen Friedhof als Schauplatz gewählt) hat, scheint also zu passen. Schließlich hat sie diese Debüt-EP auch Gruftpop genannt.

Der EP-Titel und die Video-Location sind allerdings irreführend. Es gibt auf der von Max Rieger (Die Nerven) produzierten Platte keine schwülstigen Chöre und schweren Orgeln, keine pompösen Hall-Effekte und keine Patchouli-Prisen. Stattdessen wartet Es geht dir gut mit einer niedlichen Keyboardmelodie auf – und mit einem bitterbösen Text, der dann doch gut zur Mentalität passt, die das Wave-Gotik-Treffen prägt: Erfüllte und erfüllende Liebe ist bloß eine Illusion und zugleich doch das, wonach wir uns alle ultimativ sehnen.

Wenn man so will, führt Mia Morgan mit ihrem Gruftpop Probleme mit Mental Health, weibliche Traumata und das Leiden am Online-Zeitalter zusammen und treibt all dies in fünf Songs auf die Spitze. Sie ist geisteskrank, abgestumpft und kopflos, eine Marionette und eine Dienerin (alles Textzitate), und sie ist immer wieder auch zerfressen von Eifersucht wie in Valentinstag, das die EP eröffnet. Am Anfang des Lieds erklingt eine Hochzeitsorgel, dann schwenkt es auf Eighties-Synthpop und später auf New-Wave-Rock um. Die 25-Jährige, deren Stimme manchmal an Mieze oder Nina Hagen denken lässt, verpackt in diesen Sound nichts weniger als eine Morddrohung an ihren Ex und die neue Frau an seiner Seite.

In Immer immer immer thematisiert sie mit betont niedlichem Gesang und einer Melodieführung, die mit Naivität in die Irre führen soll (wie man das beispielsweise auch bei Blond erleben kann) eine toxische Beziehung; in dem dreifach wiederholten „immer“ des Songtitels steckt die erdrückende Kraft eines Teufelskreises, aus dem sie nicht ausbrechen kann. Das Gothgirl erweist sich immerhin als eine Geistesverwandte, die sie im Internet entdeckt, woraus der Wunsch „Ich will mit dir zusammen traurig sein“ und sogleich eine neue Obsession erwachsen.

Der Höhepunkt auf Gruftpop ist die Single Waveboy, in der Mia Morgan noch nicht am Liebskummer leidet, sondern noch in der Phase des Schwärmens steckt. Mit dem aus der Zeit gefallenen Auserwählten kann sie Weißwein statt Mate und Synthiepop statt Deutschrap genießen, untermalt wird das von einer klasse Melodie und einer schönen Johnny-Marr-Gitarre (passend zur Textreferenz auf Morrissey). Ihre Außenseiter-Perspektive klingt hier noch frischer, origineller und einzigartiger als in den anderen Songs – und lässt verstehen, wieso Mia Morgan zu Beginn ihrer Karriere viel Support von Kraftklub bekommen und beispielsweise auch schon im Vorprogramm von Casper gespielt hat.

Stolz, Trotz sowie der Kampf gegen Dämonen und um Anerkennung prägen diese Lieder. Was die Künstlerin dabei runterzieht, kommt nicht zwingend aus der Außenwelt, nicht von fiesen Fremden oder untreuen Liebsten, sondern aus ihr selbst, aus der Unfähigkeit, das Glück auch Glück sein lassen zu können. Man darf gespannt sein, wie das auf Albumlänge klingen wird, denn das ist das Faszinierende an dieser EP: Mia Morgan hat kein Vertrauen in nichts, schon gar nicht in ihr eigenes Talent zur Zufriedenheit.

Das Video zu Es geht dir gut mit vielen Leipzig-Impressionen.

Mia Morgan bei Twitter.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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