Mine – „Live in Berlin“

Künstler Mine

Mine Live in Berlin Kritik Rezension
Viele Ideen stecken nicht nur im Cover von „Live in Berlin“, sondern auch in der Musik.
Album Live in Berlin
Label Pennywine Entertainment
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

Selten hat ein Cover so gut zum Charakter eines Albums gepasst wie beim heute erscheinenden Live in Berlin von Mine. Die Hülle zeigt Trompeten, Notenschlüssel, Katzen, Geldscheine, Regenbögen, Hubschrauber, Geigen, Ringe, Flammen, einen Flamingo und natürlich Mine selbst. Dazu sind auch die neun Gäste angekündigt, die sie unterstützt haben, namentlich Grossstadtgeflüster, Bartek von den Orsons, Edgar Wasser, Tristan Brusch, Fatoni, Textor (Kinderzimmer Productions), Martin Haller und das Berliner DJ-Duo Ecke Prenz.

All das zeigt: Hier gibt es Ideen und Kreativität im Überfluss. Mine, die aus Mainz mittlerweile nach Berlin gezogen ist, hatte schon als Newcomerin 2013 ein Konzert mit Orchester in Mannheim gespielt. Für die Neuauflage setzte sie allerhand in Bewegung: Die Show am 22. April 2017 im ausverkauften Huxley’s Neue Welt in Berlin wurde finanziert mit 30.000 Euro, die per Crowdfunding gesammelt wurden. Neben den schon erwähnten Gästen sind auch der Berliner Kneipenchor, zwölf Streicher, vier Bläser, Mines Liveband und ein Dirigent auf der Bühne. Das Ganze wird nicht nur als Album veröffentlicht, sondern auch von einem Konzertfilm begleitet. Man hört diesen gut 80 Minuten an, wie glücklich Mine darüber ist, all das möglich gemacht zu haben. Eine der schönsten Eigenschaften von Live in Berlin ist: Auch ohne die Filmspur wird deutlich, dass die Künstlerin quasi permanent bis über beide Ohren grinst vor lauter Dankbarkeit, sich in solch einem Kontext musikalisch austoben zu dürfen.

Die Gefahr ist bei so viel Vorfreude und Konzept natürlich groß, die eigentliche Musik zu überfrachten – erst recht bei Mine, bei der man eine Affinität zu Kunstkacke nicht ganz ausschließen kann. In der Tat hat die Platte trotz allen Bemühens um Abwechslung („Es ist schwierig, mich wirklich über die gesamte Dauer eines Konzerts zu fesseln und es kommt ziemlich oft vor, dass ich nach einer Stunde einfach mal raus an die frische Luft gehe, selbst wenn das Konzert richtig gut ist“, hatte mir Mine kürzlich im Interview über ihre eigenen Erfahrungen als Konzertbesucherin gesagt) ein paar Längen, etwa bei Mein Freund, das als der Rock-Moment des Albums gelten kann, auch dank eines (nicht besonders guten) Gitarrensolos. Es gelingen auch nicht alle Gastauftritte, wie das Beispiel von Hinterher zeigt: Das Lied bietet lautmalerischen Gesang zu Beginn, ein Streichersolo in der Mitte und zwischendurch viel Suche nach Sinn, Orientierung und Glück, die aus dem Mund von Mine tausendmal poetischer klingt als bei Gastrapper Edgar Wasser.

Insgesamt geht das Konzept aber wunderbar auf. Das Intro ist schon jetzt der beste Albumbeginn des Jahres, gesprochen von Friedrich Liechtenstein, der sich auch später gelegentlich als eine Art Conférencier in den Verlauf des Abends einschaltet und Live in Berlin extrem cool als Opus Magnum ankündigt. Findelkind zeigt, wie Streicher und Chor einem Song tatsächlich zusätzliche Größe und Majestät verleihen können. Wasserburgen wartet mit einem tollen Gastrap von Bartek auf, wird filigran, detailverliebt und kraftvoll. Essig auf Zucker (mit Ecke Prinz) entwickelt reichlich Power, sogar Bedrohlichkeit.

Katzen ist ein gutes Beispiel dafür, dass Mine – 2016 mit dem Preis für Popkultur als Lieblingssolokünstlerin ausgezeichnet – nicht nur ihre Songs mit Streichern und Bläsern überschüttet, sondern hier tatsächlich völlig neue Arrangements und Strukturen findet. Aliens (mit Edgar Wasser) adressiert die eigene dunkle Seite, die zum größten Feind werden kann, und wirkt hier wirklich diabolisch. In Mehr (mit Fatoni und Tristan Brusch) funktionieren die auf diesem Album manchmal überpräsenten Scratches am besten, Alle Liebe nachträglich (erneut mit Fatoni) ist wunderbar wehmütig, Ziehst du mit (mit Textor und Fratoni) wird sehr funky und dürfte für einige schwingende Hüften in Huxley’s Neue Welt gesorgt haben. Ein Lied wie Pusteblumenfeld, das hier als eleganter, opulenter Walzer daher kommt, hätte das Publikum in Berlin womöglich auch schon 100 Jahre zuvor gemocht.

Zwei neue Lieder gibt es auf Live in Berlin ebenfalls. In Guter Gegner (feat. Grossstadtgeflüster) fragt sich Mine, warum Angst unsere Welt, vielleicht sogar das ganze Universum, so sehr prägen kann. Vergleichsweise zurückgenommen, sofern das in so einem Kontext möglich ist, bleibt Schwer bekömmlich (feat. Bartek & Martin Haller), das eine sehr schöne Atmosphäre verbreitet. Die beiden Schlusspunkte sind noch einmal Highlights: Zu Schminke kommen alle Gäste auf die Bühne, fügen ihre einzelnen Beiträge toll ineinander, was extrem unterhaltsam und kurzweilig wird. Raus Raus Raus ist ein herrlich schwelgerischer, nunja, Rausschmeißer.

Der vielleicht spannendste Effekt von Live in Berlin ist, dass man gerade durch die vielen Gäste und die unzähligen Musiker die Essenz und Qualität von Mine noch klarer erkennt. Das Album zeigt gerade vor dem Hintergrund der unzähligen Instrumente und Einflüsse die drei Komponenten, die sie ausmachen: ein stets origineller Beat als Fundament, eine einmalige, extrem gefühlvolle Stimme und ein großes Maß an Intelligenz.

Mine holt ein Orchester, Edgar Wasser und Aliens auf die Bühne.

Website von Mine.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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