Mint Julep – „In A Deep And Dreamless Sleep“

Künstler Mint Julep

Mint Julep In A Deep And Dreamless Sleep Review Kritik
Weniger Achtziger, mehr Shoegaze praktizieren Mint Julep auf Album #2.
Album In A Deep And Dreamless Sleep
Label Western Vinyl
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Vielleicht wissen Hollie und Keith Kenniff um die besonderen Gefahren für Eheleute in ihrer Heimatstadt. In Portland, Oregon, sind nämlich 12,8 Prozent aller Erwachsenen geschieden, der Wert liegt damit deutlich über dem Durchschnitt in den USA (10,8 Prozent). Damit sie selbst nicht eines Tages in diese unglückliche Statistik eingehen (Portland hat übrigens auch die höchste Depressionsrate und die zwölfthöchste Selbstmordrate des Landes), haben sie eine gute Strategie entwickelt: Sie haben eine Band gegründet. Das gemeinsame Musizieren als Mint Julep betrachten sie wie ein Date, sagt Keith Kenniff: Es gibt einen etablierten Rahmen und gewisse Rituale, aber innerhalb dieser Koordinaten muss man stets neu zueinander finden.

Für ihr zweites Album In A Deep And Dreamless Sleep haben sie diesen Ansatz im Vergleich zum Vorgänger Stray Fantasies (2019) deshalb auch recht deutlich angepasst. Es gibt weniger Eighties-Einflüsse, dafür viele Bezüge zu Wasser und fluffige Stücke mit viel Feingefühl wie Longshore Drift oder den schwebenden Album-Abschluss Westerly. „Unser früheres Material bestand meistens aus einer Strophe-Refrain-Abfolge. Die neuen Songs fließen freier dahin, zugleich sind sie durchkomponiert im Hinblick auf Stimmung und Textur“, sagt Keith Kenniff. „Viele Stücke sind stream-of-consciousness. Wir haben mit ein paar Ausgangsideen angefangen, die uns dann den Weg gewiesen haben. Wir hoffen, dass so eine konkrete und einmalige Beziehung zu ihnen möglich wird.“

A Rising Sun eröffnet die Platte, Gitarre, Bass und Beat scheinen sofort darauf aus zu sein, den Hörer zu benebeln und in Trance zu versetzen, der Gesang von Hollie Kenniff tut dann sein Übriges dazu. Die Grundstimmung der Single Black Maps ist ebenfalls müde und verträumt, aber durch den Sequenzer und die Handclaps etwas plakativer. Das folgende Mirage zeigt vielleicht am besten, wie In A Deep And Dreamless Sleep funktioniert: Der Gesang kommt aus den Wolken und der Rest scheint in einem Sirup zu stecken. Wer eine Allergie gegen Shoegaze hat, dürfte hier (und bei einigen anderen Tracks) sicher einen sehr gefährlichen Schock und heftige gesundheitliche Probleme erleiden.

Für alle Freunde dieses Genres haben Mint Julep, die sich nach einem Cocktail benannt haben, aber viel Reizvolles dabei, zumal die über einen Zeitraum von zwei Jahren entwickelte Platte nach und nach mehr Schwung entwickelt. Lure setzt auf einen schleppenden Beat und rückwärtslaufende Elemente wie eine dieser psychedelisch angehauchten Oasis-B-Seiten, bei denen hier allerdings jemand alle Spuren gelöscht hat, die tatsächlich nach Oasis klingen. Pulse ist von Anfang an etwas konkreter als der Durchschnitt des Albums und schwingt sich dann sogar noch auf. Die Bass Drum von In Your Sleep kann man beinahe „hart“ nennen, aber die weiteren Zutaten sind so in Watte gepackt, dass man das kaum merkt.

Shores verbreitet den Hauch von einem Drone und unverkennbaren Drive, auch wenn es nicht so weit geht, daraus Disharmonie oder Euphorie werden zu lassen. Der Beat in Lost lässt von Beginn an erahnen, dass hier mehr Schwung hinein kommt, tatsächlich werden Mint Julep in diesem Stück sogar tanzbar. Auch bei In The Ocean hat der Rhythmus keine Lust, im Schatten zu stehen, umso wohler fühlt sich die Stimme in der Rolle des Mauerblümchens, das sich gegen Ende des Lieds anscheinend immermehr in die Erde zurückzieht.

Das ist die Kunst dieses Duos: Es gibt hier nichts, was sich aufdrängt, man findet auf In A Deep And Dreamless Sleep auch keine Passagen, die mit Virtuosität glänzen wollen. Die Meisterschaft besteht darin, wie geschickt Mint Julep Stimmungen und Spannungsbögen erschaffen, sowohl innerhalb der einzelnen Stücke als auch für das Album insgesamt.

Die Sache mit Pulse nehmen Mint Julep sehr wörtlich.

Mint Julep bei Bandcamp.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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