Moaning – „Uneasy Laughter“

Künstler Moaning

Moaning Uneasy Laughter Review Kritik
Etwas heller als das Debüt ist „Uneasy Laughter“ geworden.
Album Uneasy Laughter
Label Sub Pop
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Das Netz ist natürlich längst zum wichtigsten Vertriebskanal für Musik geworden, ebenso zur alles dominierenden Quelle für das Entdecken neuer Klänge. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) haben sich etliche Acts zuletzt einen Spaß daraus gemacht, sich einen Namen zu geben, der zum Googeln maximal ungeeignet ist. Sie nennen sich „No“ (ein Projekt von Bradley Hanan Carter aus L.A.), „2:54“ (ein Duo aus London) oder gar „The Internet“ (ein Spin-Off aus dem Odd-Future-Imperium). Auch Moaning kann man in diese Kategorie packen. Durchsucht man das Netz nach diesem Begriff, landet man eher auf Porno-Seiten für Leute, deren Fetisch stöhnende Menschen sind, als beim Trio aus Los Angeles.

Das Finden lohnt sich im Fall von Uneasy Laughter, dem zweiten Album von Sänger/Gitarrist Sean Solomon, Bassist/Keyboarder Pascal Stevenson und Schlagzeuger Andrew MacKelvie, allerdings besonders. Das Trio arbeitet wie auf dem vor zwei Jahren veröffentlichten Debüt wieder mit Produzent Alex Newport (Bloc Party, At The Drive-In, Melvins) zusammen und bietet erneut ein spektakuläres Zusammentreffen von Rock-Attitüde und Synthie-Ästhetik. Coincidence Or Fate ist ein gutes Beispiel für ihren Sound: Kein einziges Element darin kommt ohne Effekte aus, trotzdem steckt im Kern einfach ein guter Song. What Separates Us gönnt sich ein wenig Nihilismus und zeigt (genau wie später auch Saving Face), dass der Bass auf diesem Album durchweg kein untergeordnetes Rhythmus-Instrument ist, sondern oft gleichrangig mit der Gitarre oder der Gesangsmelodie – egal, ob er mit Saiten erzeugt wird oder mit Tasten.

Der Mann, der diesen Bass beisteuert, betont: „Gitarren klingen immer wie Gitarren. Bei Keyboards hast du aber die Möglichkeit, sie dünner klingen zu lassen oder dramatisch dick aufzutragen. Und dann kannst du sie in irgendeine Form gießen, die dir gerade gefällt“, sagt Pascal Stevenson. Eine spektakuläre Wirkung hat das etwa in Fall In Love. Der Track deutet an, dass die Idee „Erasure auf Depressiva“ vielleicht gar keine so schlechte ist. Ein Song wie Make It Stop dürfte allen Fans der Editors gefallen, denn Moaning zeigen sich hier etwas plakativer als üblich, vom Discobeat bis zum hymnischen Refrain oder dem unmissverständlichen Imperativ des Songtitels. Running überrascht plötzlich mit erstaunlich hohem Tempo und deutlichen New-Wave-Anleihen.

Was die Band auf Uneasy Laughter noch ein bisschen hörenswerter macht, zeigt der Album-Auftakt Ego. Das an Joy Division erinnernde Lied ist einerseits ein Beispiel dafür, dass sie diesmal viel mehr gemeinsam erarbeitet haben. „Es fängt jede Idee ein, mit der wir gerne herumspielen wollten“, sagt Andrew MacKelvie über den Song, sein Kollege Stevenson bestätigt, dass sie diese Single nur durch die neue Arbeitsweise hinbekommen haben, in der jedes Bandmitglied auch mit den Einfällen der jeweils anderen experimentiert hat. Andererseits zeigt Ego, wie großertig die Texte auf dieser Platte sind. „The highest high, the lowest low / I wanna lose my ego“, lauten die ersten Zeilen, und dieses Credo findet sich auch später immer wieder. „Männer werden so erzogen, dass sie keine Verletzlichkeit zeigen sollen und niemals zugeben, wenn sie falsch liegen. Aber ich wollte offen über meine Gefühle sprechen und über die Feher, die ich gemacht habe“, erklärt Sänger Sean Solomon. Er hat vor den Aufnahmen für das morgen erscheinende Album viel gelesen und ein Jahr lang keinen Alkohol getrunken. „Ich will kein Typ sein, der die jungen Menschen dazu bringt, high zu werden und dem Klischee des tragischen Künstlers zu entsprechen. Ich würde ihnen lieber klar machen, dass sie nicht allein sind in dem, was sie denken und fühlen.“

„I want you to trust your body / I want you to trust your heart“, singt er nun in Keep Out, das man sich unter anderem wegen der besonders offensiven Synthie-Melodie auch von den White Lies vorstellen könnte. „Connect the dots / there’s something in between“, lautet die Einladung im von Shoegaze beeinflussten Connect The Dots. „I hate myself / and I saw me in you“, lautet sein Geständnis in Stranger, das sich ein bisschen mehr Resignation und ein bisschen weniger Aufruhr erlaubt. Neben solchen lyrischen Glanzpunkten findet man auf Uneasy Laughter immer wieder schöne Details, ausreichend Druck und in den besten Momenten auch ein Gefühl von Taumel.

Der einzige Schwachpunkt ist der Abschluss der Platte. Say Something wirkt nach den gerne dramatischen oder aufwühlenden Passagen zuvor einfach ein bisschen blass. Das liegt vielleicht auch daran, dass es hier ausnahmsweise gar keine Gitarre gibt. „Ich habe das eigentlich als einen Folksong geschrieben. Dann habe ich es den Jungs vorgestellt und ihnen gesagt: Irgendwie hasse ich dieses Stück, aber ich mag die Melodie und den Text. Wie verwandeln wir es also in einen Song von Moaning?“, sagt Solomon. Das Ergebnis nennt er “super weird and clubby“ – und er gesteht, dass er noch keinen Schimmer hat, wie die Band den komplett digitalen Track jemals live spielen soll. Aber bei dem neuen Gemeinschaftsgefühl und der großen Vertrautheit bei Moaning („Wir kennen uns schon ewig, auch deshalb fällt es uns nicht schwer, offen zueinander zu sein“, sagt Andrew MacKelvie) dürfte sich da auch eine Lösung finden.

Das Video zu Ego soll die Entwicklung von Moaning zusammenfassen.

Website von Moaning.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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