Autor*in | Monchi | |
Titel | Niemals satt. Über den Hunger aufs Leben und 182 Kilo auf der Waage | |
Verlag | Kiepenheuer & Witsch | |
Erscheinungsjahr | 2022 | |
Bewertung |
Fitness-Bloggerin Sophia Thiel. Gewichtheber Matthias Steiner. Schauspielerin Christine Neubauer. Reality-TV-Star Daniela Katzenberger. Man darf davon ausgehen, dass sich Monchi in dieser Gesellschaft nicht allzu wohl fühlt. Der Sänger von Feine Sahne Fischfilet steht für maximale Authentizität, für linken Punkrock, für Konfrontation und Nonkonformismus. Trotzdem hat er jetzt etwas mit den oben genannten Personen gemeinsam: Er hat ein Buch über das Abnehmen geschrieben. 65 Kilogramm Gewicht hat er innerhalb eines Jahres verloren, und in Niemals satt erzählt er, wie es dazu kam.
Dass er gerne über sein Leben und auch über seine Figur spricht, sollten alle wissen, die schon einmal ein Konzert seiner Band besucht oder die Dokumentation Wildes Herz gesehen haben. Trotzdem hätte man wohl von niemandem so ein Buch weniger erwartet als von dem Mann, der bürgerlich Jan Gorkow heißt, 2018 mit dem Album Sturm und Dreck die Top3 der deutschen Charts erreicht hat und wegen seiner klaren Kante gegen Nazis auch schon einmal im Verfassungsschutzbericht seines Heimatlandes Mecklenburg-Vorpommern gelandet ist. Statt für neoliberale Selbstoptimierung steht er für „Mach dein Ding, bleib aufrecht und hab Spaß dabei.“ Natürlich beteuert er auch in Niemals satt: „Ich habe mich nie in erster Linie als Dicker gesehen. Ich bin Monchi. Das, was ich auf den Rippen habe, ist nicht das, was mich ausmacht.“
Das Schöne an diesem Buch, mit dem er gerade Platz 1 der Spiegel Bestseller-Liste erreicht hat: Es geht nicht nur um Gewichtsverlust, sondern auch um Selbstfindung. Genau deshalb sind diese gut 300 Seiten auch so lesenswert für alle, die mit Diäten und BMI oder Antifa-Agitation und krawalliger Musik von der Ostseeküste nichts anfangen können.
Der Ausgangspunkt ist das letzte Konzert von Feine Sahne Fischfilet vor der Pause, die von der Band bereits beschlossen war, bevor die Corona-Pandemie das zur ohnehin einzigen Möglichkeit gemacht hätte. Nach reichlich Tourneen und Festivals, Vollgas und Abriss bringt Monchi 182 Kilogramm auf die Waage. Er nennt es das „Endergebnis von jahrelangem Nachtisch, Nachschlag und Schweinesuff“ und muss sich später eingestehen: „Wenn alle ihren Körper wie einen Tempel behandeln, behandele ich meinen wie ein Dixi-Klo.“
Es ist in erster Linie die Sorge um die eigene Gesundheit, die ihn zu Sport und Ernährungsumstellung bringt, und schnell erkennt man: Derselbe Hunger aufs Leben, der ihn zur Kleidergröße XXXXXXL gebracht hat, lässt ihn jetzt sorgsamer mit seinem Körper umgehen: „Das hat nichts mit Schönheit oder Lifestyle-Scheiß zu tun. Es geht um 90 Kilo zu viel und einen BMI von fast 50. Es geht um Atemnot, Schweißausbrüche und drohende Krankheiten. Es geht darum, dass ich an vielen Punkten nicht mehr uneingeschränkt machen konnte, was ich wollte. Ich hatte mir eine Behinderung angefressen. Das ist genauso hart, wie es wahr ist.“
Dieser Blick auf Einschränkungen und Demütigungen im Alltag sowie auf gesundheitliche Folgen ist vor allem für Nicht-Dicke erhellend. Wenn keine Hose mehr passt, medizinische Geräte versagen oder Stühle, Klobrillen. Betten und sogar Fahrräder unter dem eigenen Gewicht zu Bruch gehen, dann ist das eine erhebliche Einschränkung an Lebensqualität, ganz unabhängig davon, ob man sich das eingesteht oder nicht. Monchi, der hier den „herzlichen Proll“ als sein charakterliches Ideal benennt, erzählt davon so, wie seine Fans ihn kennen: geradlinig, mit norddeutscher Schnauze, ohne Kompromisse, hart auch zu sich selbst und mit dem Blick auf die gesellschaftlichen Kontexte sehr privater Probleme. Die große Nähe, die man hier erleben kann, entsteht durch viele sehr intime Einblicke, auch erniedrigende Erlebnisse und ein paar eklige bis freizügige Anekdoten, etwa zum Problem des Arschabwischens, wenn man vor lauter Fett nicht mehr an die Kimme kommt, oder dem Zusammenhang von Penisgröße und Körperumfang.
So wuchtig Monchi auf der Bühne agiert, so energisch geht er hier seinen neuen Lebenswandel an. Er probiert Ursachenforschung und Gegenmaßnahmen und erkennt – nun, da die Pandemie erstmals so etwas wie Besinnung und ein Extrapolieren des eigenen Lebenswandels zulässt – was ihn antreibt, triggert und stört, nicht nur im Hinblick auf Ernährung, aber oft im Zusammenhang damit. Er habe erstmals nicht nur gegessen, sondern im metaphorischen Sinne auch verdaut, schreibt er gegen Ende des Buches treffenderweise. So gibt Niemals satt auch viele Einblicke in Zwänge und Identität, Zusammenhalt und Isolation, auch zur Entstehung von Liedzeilen und der Banddynamik bei Feine Sahne Fischfilet. Der Rolling Stone hat das recht zutreffend als „anrührende Lümmelbeichte“ bezeichnet, wer das live überprüfen möchte, kann es im Rahmen der Lesereise im Frühjahr tun, zu der am 23. Mai auch eine Station im Werk 2 in Leipzig gehört.
Eine der wichtigen Erkenntnisse des Buchs ist, dass Monchi keine Verbote akzeptieren kann und dass sie ihn nahezu automatisch dazu bringen, genau das Gegenteil der verlangten Verhaltensweise an den Tag zu legen. „Wenn ich unbedingt naschen will, dann nasche ich. Wenn ich Bock auf ’ne doppelt belegte Pizza habe, dann hämmer ich mir eine rein“, schreibt Monchi an einer Stelle über die „Cheat Days“, die er sich inmitten seiner Diät gönnt, und die ihm dabei durchaus helfen auf dem langfristigen Weg zu einer gesünderen Ernährung. Eine andere Einsicht ist noch zentraler: „Jahrelang habe ich mich auf das Dagegensein konzentriert. Gegen meine Eltern, gegen Fans anderer Vereine, gegen Faschos, gegen Bullen, gegen alles und jeden – schlussendlich auch gegen mich selbst.“
Bestes Zitat: „Meine Mutter sagt immer, dass es ihr ab Tag eins so vorgekommen sei, als wäre ich an eine Steckdose angeschlossen.“