Künstler*in | Montreal | |
Album | Hier und heute nicht | |
Label | Amigo Records | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Fleet Union / MaxThrelfall |
Manchmal kann es so einfach sein. Yonas (Gitarre/Gesang), Max Power (Schlagzeug) und Hirsch (Bass/Gesang), die seit 2003 als Montreal zusammen musizieren, machten vor einer Weile einen Kurzurlaub zusammen. Als sie wieder nach Hause kamen, hatten sie sieben neue Lieder im Gepäck. Im Proberaum entstand dann fast ebenso schnell noch weiteres Material und – zack – war der Nachfolger für das 2017 veröffentlichte Schackilacki im Kasten.
Man kann also vielleicht einen Flow vermuten, in dem das Trio aus Hamburg in der Entstehungsphase von Hier und heute nicht steckte. Im Fußball würde man womöglich auch von „Automatismen“ sprechen. Das ist gemeint, wenn eine Mannschaft so gut eingespielt ist, dass man den Ball quasi blind irgendwo hin kicken kann, weil man vorher schon weiß, wie sich der Mitspieler verhalten wird. So etwas ist sehr schwierig zu erreichen, sieht dann auf dem Rasen aber nach umso größerer Leichtigkeit aus.
Der Vergleich ist auch noch aus einem anderen Grund zutreffend: Solche Automatismen erfordern nicht nur sehr viel Fleiß, Ausdauer und gemeinsame Übung, sondern auch eine klare Idee des eigenen Spiels. Genau diese findet man auf dem siebten Album von Montreal bestätigt: Es gibt in diesen zwölf Liedern eine ziemlich einfach zu erkennende Formel (straighte Drums, originelle Gitarrenarbeit, fast durchweg zweistimmer Gesang), man merkt auch, dass diese Truppe eher darauf aus ist, diese Formel zu variieren und zu perfektionieren statt sich in jedem Song neu zu erfinden oder auf Teufel komm raus aus dem vertrauten Ablauf auszubrechen. Aber nichts wirkt deshalb wie biederes Handwerk oder lieblose Wiederholung. Im Gegenteil: Hier und heute nicht zeigt, wie meisterhaft Montreal diese Formel beherrschen. Melodie, Punch und Themen aus dem Leben: Manchmal kann es so einfach sein.
Dreieck und Auge eröffnet die Platte mit Schwung, Druck und Entschlossenheit, dazu kommt eine korrekte Attitüde, die weit von Bierernst entfernt ist – selten wurden Verschörungstheoretiker so kurzweilig verarscht. Das Sprichwort „Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr“ wird in Schlechter bester Freund ausgedehnt auf sehr unterhaltsame 149 Sekunden. In Keine weiteren Fragen ist das begangene Verbrechen nicht klar, aber die treibende Kraft dieses Lieds ist eindeutig ein erdrückend schlechtes Gewissen.
Stockholm Syndrom ist auch wieder mit einer ordentlichen Dosis Humor getränkt, zeigt aber auch, wie gut es dieses Trio versteht, sich in Menschen und Situationen einzufühlen. Das wird auch in Der Eine und der Andere deutlich: Es geht um Palaver am WG-Tisch, in der TV-Talkshow oder am Tresen der Stammkneipe, wo man besonders gerne selbstgerechte Positionen pflegt und besonders selten der Kraft des besseren Arguments den Vorzug gibt. „Leider fühlen wir uns nicht berufen, zu sagen, wer von beiden richtig liegt“, bekennen Montreal, trotzdem bauen sie zwischen den Zeilen eine klare Botschaft ein: Man soll nicht labern, sondern den Moment genießen, das Beste draus machen, idealerweise füreinander und miteinander.
Passenderweise besingt Schon wieder 2. Februar die Idee von … Und täglich grüßt das Murmeltier, die dabei als generelle Metapher betrachtet wird für Monotonie, Routine, natürlich auch für Angepasstheit und das Ende des Anspruchs, dass das Leben etwas Besonderes, Aufregendes bereithalten sollte. Getrieben wird dieses Credo wohl auch von einem Erlebnis, das dem Album seinen Namen gab und im Titelsong thematisiert wird: Bei einem Besuch in Amsterdam 2018 wäre Hirsch beinahe von einem Blumenkübel erschlagen worden, der aus dem dritten Stock knapp neben seinen Sitzplatz in einem Straßencafé krachte. Nach so einem Schreckmoment kann man einfach mal die Lebensfreue feiern: „Die letzte Runde / sie geht sicher irgendwann an dich / die gute Nachricht lautet aber: Hier und heute nicht!“
So etwas wie die Chance auf einen Neuanfang und ein zweites Leben wird auch in Ein Segen: Intervention besungen, auch wenn der Erzähler hier offensichtlich ein Anonymer Alkoholiker (oder sonstiger Ex-Junkie) ist, der seinen abstinenten und anständigen neuen Alltag zelebriert – wobei Montreal natürlich wissen und in diesem Song auch erkennbar machen, wie fragwürdig, egozentrisch und anstrengend so eine „vom Saulus zum Paulus“-Haltung wirken kann.
Was wir wollten demonstriert, wie die Sportfreunde Stiller klingen könnten, wenn sie die Fähigkeit zu Selbstironie (und vernünftigen Reimen) hätten. Vor das Kreuz lässt glauben, Madsen würden ein Hohelied auf den Atheismus singen. Der Albumabschluss ist dann eine Steilvorlage für noch so einen Vergleich. In 15 Jahre für die Punchline blickt die Band auf die eigene Geschichte zurück, zur Bilanz zählen dabei nach der Selbsteinschätzung von Montreal drei gute Alben, zwei bis drei brauchbare Videos, „ungeahnte Höhepunkte und krachende Blamagen“. Am Ende dürfen ein paar prominente Gäste mitsingen, unter anderem Farin Urlaub. Gerade dieser Auftritt zeigt: Die besten Songs der Ärzte sind noch immer viel besser als die besten Songs von Montreal. Aber ein Album mit so vielen guten Songs und so hoher Konsistenz wie Hier und heute nicht haben Die Ärzte schon ewig nicht gemacht.