Mudhoney Plastic Eternity

Mudhoney – „Plastic Eternity“

Künstler*in Mudhoney

Mudhoney Plastic Eternity Review Kritik
In nur neun Tagen haben Mudhoney „Plastic Eternity“ eingespielt.
Album Plastic Eternity
Label Sub Pop
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung ★★★☆☆ Bandfoto oben: (C) Cargo Records

Bad Religion haben ihr wütendes Kyoto Now! gefordert, die Beastie Boys haben mit It Takes Time To Build auf die Gefahren des Klimawandels hingewiesen, Paul McCartney wunderte sich auf seinem vorletzten Soloalbum, dass wir es Despite Repeated Warnings nicht hinbekommen, unsere eigenen Lebensgrundlagen ausreichend zu schützen. Und schon vor Jahrzehnten haben Acts wie Midnight Oil (Beds Are Burning) oder Marvin Gaye (Mercy Mercy Me) über die Zerstörung der Natur durch den Menschen gesungen. Was es aber (meines Wissens) bisher noch nicht gab: Ein Lied über die Klimakatastrophe, das aus der Perspektive des Klimas gesungen ist. Mudhoney haben diesen Song jetzt gemacht. Er heißt Cry Me An Atmospheric River und klingt, als hätten die Red Hot Chili Peppers als Hausband bei Extinction Rebellion angeheuert.

Dass die seit 35 Jahren bestehende Band in diesem Stück so erstaunlich funky klingt, ist nur eine der Überraschungen an Plastic Eternity, dem morgen erscheinenden elften Studioalbum von Sänger Mark Arm, Gitarrist Steve Turner, Bassist Guy Maddison und Schlagzeuger Dan Peters. Zwei Faktoren waren wohl ausschlaggebend dafür, dass das Quartett aus Seattle hier weiterhin im nötigen Maße inspiriert (machen wir uns nichts vor: Mudhoney liefen sonst Gefahr, eine dieser Bands zu sein, die man in erster Linie deshalb schätzt, weil sie einfach noch da sind und schon so lange ihr Ding durchziehen) und auf schockierende Weise empört (mit Altersmilde hätte bei diesen Grunge-Pionieren wohl auch niemand gerechnet) klingt.

Der eine Faktor war Zeitnot: Für die Aufnahmen von Plastic Eternity im Crackle & Pop!-Studio in Seattle standen nur neun Tage zur Verfügung, weil der Termin für den Umzug von Maddison nach Australien bereits feststand. Der andere war die Tatsache, dass die vier Musiker zuvor anderthalb Jahre lang nicht zusammen gespielt hatten, weil die Covid-Einschränkungen das nicht erlaubt hatten. Deshalb gingen Mudhoney anders als üblicherweise nicht mit gut einstudierten Songs ins Studio. Stattdessen beruht das neue Material auf unfertigen Ideen, zuvor nicht verwendeten Überbleibseln und spontanen Jamsessions. Dieser veränderte Ansatz brachte auch mehr Experimentierfreude beim Entstehen der neuen Songs mit sich. Auch der langjährige Produzent Johnny Sangster, der auch diesmal dabei war und von Sänger Mark Arm als „brillanter Musiker und weitaus versierter in Musiktheorie als irgendjemand von uns“ gelobt wird, hatte diesmal mehr mitzureden und hat bei drei Songs auch mitgeschrieben.

Entstanden ist ein Album, das einerseits sehr klassische (harte) Rockmusik enthält, andererseits sehr typisch für Mudhoney ist. Der Quasi-Titelsong Plasticity zeigt das am besten. Er platzt beinahe vor Wut darüber, was alles als künstlich empfunden wird (die Liebe, die Flüsse, die Berge und eben auch die Ewigkeit) und ist damit ein weiteres Beispiel für das, was diese Band schon immer empört: die Intelligenz, zu der unsere Spezies eigentlich in der Lage wäre, und die Dummheit und Ignoranz, mit der wir stattdessen den Planeten zerstören, Ungleichheit und Diskriminierung tolerieren, Trägheit und Egoismus zur normalen Geisteshaltung gemacht haben.

Souvenir Of My Trip könnte man sich wunderbar als einen Song von Alice Cooper aus den Siebzigern vorstellen, es ist dreckig, giftig, gefährlich und stellt die zentrale Frage „What’s left of me?“ So wie Little Dogs (eine Huldigung an Mark Arms Hund namens Russell) könnte Iggy Pop klingen, falls er ein Tierfreund ist. Cascades Of Crap spielt sich irgendwo zwischen Stoner und Desert Rock ab, Almost Everything wird unter anderem durch seine wilden Percussions etwas psychedelisch, das rasante Human Stock Capital ist lupenreiner Punk.

Ähnlich explizit wird Flush The Fascists, das klanglich zwar abstrakt bleibt (unter anderem gibt es einen Synthesizer-Loop als Fundament und Sprechgesang), dadurch aber nicht weniger entschlossen wirkt. Auch Move Under zeigt schon mit dem Imperativ im Songtitel seine Agenda: Die Musik wäre mit der tollen Gitarre und dem unerwartet plakativen Call-and-Response-Refrain von Black Sabbath denkbar, der Text ist mit Zeilen wie „Undermine the foundations / of the lies that they repeat / (…) you gotta move under / until it all comes down” ein Aufruf zur Subversion. Mark Arm betrachtet den Song als „etwas, das den Runaways eingefallen wäre, wenn sie an unserer Stelle wären“.

Severed Dreams In The Sleeper Cell ist einer der Songs, der dann streckenweise doch ein bisschen nach „Mudhoney by numbers“ klingt (insbesondere im etwas dünnen Refrain), profitiert aber von der atmosphärisch gelungenen Strophe, am Ende sorgt unter anderem eine Orgel noch einmal dafür, dass der Track die nötige Größe und Leidenschaft bekommt. Tom Herman’s Hermits ist Tom Herman gewidmet (dem Gitarristen von Pere Ubu) mit der Botschaft: Sein Sound wird schmerzlich vermisst, aber auch seine Attitüde, sein Freigeist. One Or Two wird nicht direkt eine Ballade, aber das Lied nimmt sich viel Raum und sorgt mit einem Harmonium und einer akustischen Gitarre für willkommende Klangtupfer im Verlauf von Plastic Eternity.

Here Comes The Flood ist mit seinem tollen Riff noch so ein Lied, das eine sehr überzeugende Antwort darauf liefert, warum diese Band auch nach 35 Jahren keine Ruhe gibt. Mudhoney beziehen ihre Energie aus dem Wissen über die riesengroße Dummheit der Menschen (die leider nicht nur Folgen hat wie das hier besungene Einnehmen von Pferde-Medikamenten, die angeblich gegen Covid helfen) und der klitzekleinen Hoffnung, dass es eines Tages besser werden könnte, vielleicht auch durch den Beitrag, den ihre Songs dazu liefern. Mark Arm hat noch eine andere Erklärung für die Beharrungskraft seiner Band: „Wir mögen uns und wir mögen es, zusammen in einer Band zu sein. Manche Leute veranstalten Poker-Abende oder was auch immer, um eine Ausrede zu haben, sich mit ihren Freunden zu treffen. Für uns ist diese Band genau das. This is what we do.

Ziemlich lebendig ist das Animationsvideo zum Album-Opener Almost Everything.

Website von Mudhoney.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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