Künstler | Muncie Girls | |
Album | Fixed Ideals | |
Label | Specialist Subject | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
„Ich will leben und all die Schattierungen, Töne und Varianten der geistigen und körperlichen Erfahrung fühlen, die in meinem Leben möglich sind. Und ich bin dabei schrecklich limitiert.“
Das ist ein Zitat von Sylvia Plath, das typisch nicht nur für den künstlerischen Ansatz dieser Dichterin ist, sondern auch für das Werk von Muncie Girls. Die Band aus Exeter hat diese Parallele längst erkannt: Schon ihr Debüt From Caplan To Belsize (2016) benannten Lande Hekt (Gitarre, Gesang, Bass), Dean McMullen (Gitarre) und Luke Ellis (Schlagzeug) nach einem Zitat von Sylvia Plath. Auch für den zweiten Longplayer gehen sie diesen Weg. Der Titel Fixed Ideals ist einem ihrer Sonnete namens To Eva entnommen, genauer gesagt aus der Zeile „perfume, politics and fixed ideals“.
Die Idee des ultimativen Auskostens der Welt, wissend um unsere begrenzte Zeit und beschränkte Wahrnehmung, fällt bei Muncie Girls vor allem deshalb auf, weil sie dabei gerne die Extreme in den Blick nehmen. Besonders oft stehen dabei auf Fixed Ideals, das von Lewis Johns (Rolo Tomassi, Funeral For A Friend, Gnarwolves) produziert wurde, die dunklen Seiten im Blickpunkt.
Am deutlichsten kommt das in Clinic zum Ausdruck. Das Lied entstand, als Sängerin Lande Hekt wegen ihrer Angstzustände gerade mit einer Verhaltenstherapie begonnen hatte. „Es war wirklich eine schreckliche Zeit, doch ich bin froh, dass ich meine Gedanken und Erfahrungen niederschreiben konnte“, sagt sie. „Der Song handelt zur Hälfte davon, wie wichtig es ist, seine mentale Gesundheit checken zu lassen, aber auch davon, wie lange das alles dauert und wie unglaublich unterfinanziert dieser Bereich immer noch ist. Im Vergleich zu anderen Leuten kann ich mit dem Zustand meiner mentalen Gesundheit noch glücklich sein. Ich muss oft daran denken, wie unglaublich schwer das alles für andere Leute sein muss.“ Vielleicht ist es dieser „Glück im Unglück“-Gedanke, der dafür sorgt, dass der Song schockierend eingängig klingt angesichts der persönlichen Krise, die in Zeilen wie „Frustration passes through me / the way that wind shakes trees“ oder „I used to have friends / I used to know why I felt sad / if I ever did / but now I feel that all the time“ kaum eindringlicher beschrieben werden könnte.
Natürlich gibt es auch Glück und helle Momente in der Welt der Muncie Girls, oder zumindest gute Phasen, wie sie in Falling Down besungen werden, als Feier von Hoffnung und Zusammenhalt. Ganz ähnlich beschwört Laugh Again die aufbauende Kraft einer durchzechten Nacht mit Freunden. High ist zumindest im Sound durchaus positiv, mit einem recht plakativen Riff und Beat, bei dem man an The Donnas oder Hole denken kann.
Meistens schafft es das Trio indes wunderbar, diese beiden Stimmungen zu vereinen. Isn’t Life Funny handelt von Feigheit, Provokation und Konfrontation in einer Beziehung, umgesetzt wird das mit putzigem Glockenspiel und sonniger Gitarrenmelodie. Auch der Auftakt Jeremy ist ein gutes Beispiel dafür. „Das ist ein großes ‚Fuck You‘ an meinen Vater, einen rechten Typen, der meine Existenz verleumdet und meine Mutter in keinster Weise unterstützt“, sagt Lande Hekt. „Der Song ist aber auch für all diejenigen, die ihre bevorzugte Stellung in der Gesellschaft missbrauchen, um sich selbst von diversen Verantwortungen loszusagen. Er handelt außerdem von meiner eigentlichen Familie, die wirklich großartig ist.“ Entsprechend gibt es heitere Momente, in denen Dankbarkeit zum Ausdruck kommt, dominierend ist aber eine Bitterkeit, die zwar nicht auf Tempo oder Krawall setzt, in der deshalb aber umso mehr Gefahr schlummert. „I’m so angry, I’m gonna get a tattoo that says: Fuck Jeremy Clarkson and fuck you too“, singt Lande Hekt.
Solche Zeilen von entwaffnener Emotionalität und Ehrlichkeit finden sich immer wieder auf Fixed Ideals. Das gilt auch für die erste Single Picture Of Health, die mit großer Eingängigkeit und Spannung davon erzählt, wie schön es sein kann, wenn sich zwei schwarze Schafe begegnen, im genau richtigen Moment. „I’ve been having a hard time looking after myself / you’re not looking exactly like a picture of health / I was thinking maybe you could look after me / and I could do the same for you / just for a while ‘till we’re back on our feet“, heißt das dann. Von den lustigen Blubbergeräusche in Bubble Bath sollte man sich ebenfalls nicht täuschen lassen. Lande Hekt singt hier über die Erkenntnis, dass sie sich immer zu viele Gedanken gemacht hat, schon als viel zu junger Mensch. Demnach badet sie dann auch in „a tub full of fears“. Von den Erfahrungen als jüngstes von drei Kindern einer alleinerziehenden Mutter berichtet Family Of Four, sehr privat und zugleich mit einem schonungslosen Blick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen des britischen Klassismus: „Maybe my mistake was in expecting dignity / thinking that the welfare state would support someone like me.“
Diese Verbindung von konkret und abstrakt, spezifisch und allgemein zählt zu ihren größten Stärken als Texterin. Auch musikalisch hat die Band auf Fixed Ideals ihren Horizont noch einmal erweitert, denn Lande Hekt, die früher nur Bass gespielt hat, greift jetzt auch zur Gitarre. „Songs mit zwei Gitarren klingen gleich um einiges komplexer. Beim Schreiben und während der Aufnahmen habe ich ziemlich viel unterschiedliche Musik gehört, die den Sound des Albums hörbar beeinflusst haben. Bands wie The Replacements, Siouxsie And The Banshees, The Popguns und The Pastels. Wir sind dieses Mal definitiv viel abenteuerlustiger und experimentierfreudiger gewesen als je zuvor“, schildert sie den Effekt. Der ist auch bei In Between Bands gut zu erkennen – dem Song, in dem die Muncie Girls das vielleicht einschneidenste Ereignis während der Entstehungsphase des Albums thematisieren: Der 1991 eröffnete Livemusik-Club Cavern, so etwas wie ihr zweites Wohnzimmer in Exeter, brannte aus. Mittlerweile sind die Schäden behoben und der Laden ist wieder geöffnet, doch auch das endgültige Aus war zwischenzeitig ein Thema. Die Muncie Girls blicken nicht nur auf prägende Party-Erinnerungen zurück, die sie dort erlebt haben, sondern auch auf den Schock, vielleicht ihr ganz persönliches Refugium verloren zu haben, einen der wenigen Orte auf der Welt, an denen sie sich Zuhause fühlen konnten: „I can barely fucking believe it / gone is everything I ever had.“
Im Lied gibt es auch einen Wink zu Sleater-Kinney, was schnell einleuchtet. Andere Referenzen sind ebenfalls nicht schwer zu finden. Solchen von Wut gespeisten Pop-Punk mit niedlicher Stimme kennt man etwa von Be Your Own Pet oder Bleached; der sehr offenherzige Umgang mit den eigenen Dämonen und das explizite Drängen auf mehr öffentliche Sensibilität für pyschische Gesunheitsprobleme findet sich etwa auch bei den Kamikaze Girls aus Leeds. Auf Fixed Ideals ist dieser Appell das zentrale Anliegen. Fig Tree erzählt vom Gefühl, nichts dazugelernt zu haben, und von der Ahnung, das liege vielleicht daran, dass man mit seiner ursprünglichen Position bereits richtig lag, der Rest der Welt aber bloß zu verlogen ist, um das anzuerkennen. Hangovers bleibt als einziges Stück des Albums akustisch und lässt so die Verletzlichkeit noch besser erkennen, die natürlich auch in den anderen Liedern der Platte steckt.
„Wir waren so lange mit dem Album beschäftigt, dass ich am Ende fast dachte, es hört gar nicht mehr auf. Eigentlich hatte ich es auf dem halben Weg satt, noch weiter daran zu arbeiten, weil es mir alles irgendwie zu viel wurde. Wir haben 19 Songs aufgenommen und ich habe Bass, Gitarre, Akustikgitarre und Keyboard gespielt, zusätzlich noch Harmonien eingesungen und mir außerdem noch diverse neue Parts ausgedacht, weil noch nicht alle Stücke komplett fertig waren. Dafür sind diese Songs aber auch die persönlichsten Songs, die ich je geschrieben habe“, fasst Lande Hekt nicht ohne Stolz den Entstehungsprozess von Fixed Ideals zusammen. Locked Up bringt das auf den Punkt, führt noch einmal die Motivation vor Augen, warum sie überhaupt Lieder schreibt, und zeigt zugleich, warum diese Songs so wichtig sind: Sie klingt hier verloren, allein und isoliert – und zwar deshalb, weil die anderen all die Probleme einfach nicht sehen wollen oder bloß resigniert zur Normalität erklären, die sie nicht akzeptieren kann.