Künstler*in | My Bloody Valentine | |
Album | EPs 1988-1991 And Rare Tracks | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
My Bloody Valentine haben „mit jeder Albumveröffentlichung die Musikwelt verändert und einen Instant-Klassiker produziert, der immer noch zu den besten Alternative-Alben aller Zeiten zählt“, hat der NME einmal geschrieben. Das ist ebenso zutreffend wie außergewöhnlich. Welche Band kann schon von sich behaupten, mit jeder neuen Platte ein Genre revolutioniert oder die Spielregeln für Rockmusik komplett verändert zu haben?
Das Problem für Fans von Kevin Shields, Colm Ó Cíosóig, Bilinda Butcher und Debbie Googe ist dabei nur: Als der NME diese Zeilen im Jahr 2007 abdruckte, gab es nur zwei Alben von My Bloody Valentine. Nach dem Debüt Isn’t Anything (1988) erschien schon die Wartezeit auf den Nachfolger Loveless, der dann schließlich 1991 herauskam, quälend lang. Noch anstrengender wurde die Zeit danach. Obwohl oft angekündigt und nicht zuletzt von der Plattenfirma, die einen stattlichen Vorschuss bezahlt hatte, sehnsüchtig erwartet, verzögerte sich die Fertigstellung von Longplayer #3 immer weiter, bis man schließlich davon ausgehen musste, dass es nie mehr ein neues Album dieser Band geben würde.
Umso größer war die Freude, als 2013 dann MBV herauskam. Umso größer war und ist auch das Interesse an allem, was das irisch-englische Quartett jenseits seiner Alben hervorgebracht hat. Da es an neuem Material mangelte, stürzten sich auch viele nachgeborene Fans um so eifriger auf EPs, B-Seiten und sonstige Veröffentlichungen. Besonders bequem können sie das nun dank Domino Records tun: Die Plattenfirma macht zum ersten Mal das gesamte Schaffen von My Bloody Valentine digital verfügbar. Dazu gibt es Wiederveröffentlichungen der drei Alben auf Vinyl, remastered von den Originalbändern, und nicht zuletzt diese Compilation mit dem selbsterklärenden Titel EPs 1988-1991 And Rare Tracks.
Dass die vier EPs der Band, die in dieser Zeit bei Creation Records veröffentlicht wurden, weit mehr als nur Beiwerk im Oeuvre dieser Band sind, haben schon die Kritiker*innen damals erkannt. You Made Me Realise, Feed Me With Your Kiss, Glider und Tremolo sind entscheidende Werke, um die Entstehung des Sounds von My Bloody Valentine zu verstehen, und enthalten einige ihrer stärksten Songs. Sie alle sind hier in chronologischer Folge zu finden, ergänzt um sieben weitere seltene Stücke.
Die Full Length Version von Glider macht ihrem Namen alle Ehre, sie ist mehr als dreimal so lang wie die Version auf der EP und wird dadurch erst recht hypnotisch und einzigartig. Sugar stammt aus dem Jahr 1989 und wurde damals als Split-Single gemeinsam mit Pacific veröffentlicht. Das Stück ist für MBV-Verhältnisse geradezu einnehmend: Der Beat ist nervös, aber straight, die Gesangsstimme bleibt gut erkennbar, selbst die Gitarre klingt recht konventionell, zugleich leugnet der Sound in keinem Moment die Eigenheiten dieser Band.
Good For You stammt höchstwahrscheinlich aus den Sessions zu Isn’t Anything, es ist eines der wenigen Stücke auf dieser Zusammenstellung, das tatsächlich wie 1988 klingt, nicht als würde es aus einer völlig eigenen Zeitrechnung stammen. Auch How Do You Do It ist in dieser Phase zu verorten und zeigt unter anderem, dass Oasis stets sehr genau bei ihren Labelkollegen zugehört haben: Den nöligen Gesang, den Madchester-geübten Beat und die sich auftürmenden und wieder verschwindenden Gitarrenwände kann man hier wie dort finden. Der Einfluss auf Acts wie Elastica, Hole oder die Smashing Pumpkins ist in Angel unverkennbar, das angeblich von einer verlorenen EP stammt, die um 1989 entstanden ist.
Instrumental No. 1 und Instrumental No. 2 waren beide bisher bloß auf einer CD-Wiederveröffentlichung von Isn’t Anything zu finden, die 1993 in den USA erschien. Ersteres ist rabiat und rasant wie Punk und setzt zugleich die Wirkung des Repetitiven ein, wie man das sonst nur aus Dance-Musik kennt. Letzteres vereint einen recht plakativen Baggy-Beat mit geisterhaften Soundflächen, die man für Enigma halten könnte. Für beide Songs gilt, was der NME über Isn’t Anything geschrieben hat: „Es ist ein rohes und kaputtes Biest, voller zerbrechlicher Popmelodien, die in üppige und doch heftige Gitarrensounds gehüllt sind. Ausdrücke wie ‚Ozeane aus Lärm‘ oder ‚Klangkathedralen‘ wurden dadurch innerhalb von zwei Jahren so gebräuchlich, dass sie sich in Klischees der Musikpresse verwandelten.“ Wie für den Rest auf EPs 1988-1991 And Rare Tracks gilt zudem: Dieses Material ist durchweg so gut und spannend, dass es auch auf einem Album von My Bloody Valentine hätte landen können – und eine (Wieder-)Entdeckung allemal wert ist.