„An Evening With Nada Surf“ heißt der offizielle Titel des heutigen Programms. Dass so viele Menschen der Einladung gefolgt sind (das Täubchenthal ist nicht ganz ausverkauft, aber sehr gut gefüllt), das 16 Jahre alte Album Let Go in voller Länge und originaler Reihenfolge live zu hören, verwundert dabei nicht. Erstens entstammen Nada Surf und ihre Fans noch einer Generation, in der Alben das zentrale Format waren, um sich (auf Seiten der Künstler) musikalisch zu profilieren und (auf Seiten der Fans) eine Verbindung und Identifikation aufzubauen. Entsprechend entstammt ein großer Teil des Publikums in Leipzig wohl den Geburtsjahrgängen, die mit den Ziffern 1, 9 und 7 beginnen. Dazu kommen etliche Expats und eine nicht zu übersehende Anzahl jüngerer Fans, die teils noch nicht auf der Welt waren, als sich die Band 1993 in New York gründete.
Zweitens sind Matthew Caws (Gitarre, Gesang), Ira Elliot (Schlagzeug), Doug Gillard (Gitarre) und Daniel Lorca (Bass) nicht allzu oft live in Deutschland zu sehen. Auf der aktuellen Tour geben sie sich neben dem Auftritt in Leipzig noch in Hannover und Augsburg die Ehre, dazu kommen zwei Shows für vom Rolling Stone organisierte Indoor-Festivals. Drittens ist Let Go natürlich ein wundervolles Werk, ein Highlight nicht nur innerhalb des Oeuvres von Nada Surf, sondern für Indierock insgesamt. Als „ein Dutzend fast perfekter Popsongs, jeder randvoll mit freudiger Verzweiflung“, hat Entertainment Weekly die Platte damals gefeiert, die New York Times erkannte darin ein „album of deeply satisfying, unpretentious, difficult-to-categorize rock“.
Entsprechend groß ist die Vorfreude in Leipzig, entsprechend laut ist der Jubel, als die Band pünktlich um 20 Uhr mit Blizzard Of ’77 beginnt. Man erkennt: Das, was man an Nada Surf schätzt, ist ein Gefühl. Die wundervolle Stimme von Matthew Caws, das für eine Rockband oft erstaunlich getragene Tempo der Lieder, die Möglichkeit eines Ausbruchs, die in Gitarrenmusik steckt und hier doch oft nur angedeutet wird, die Balance aus Melancholie und Hoffnung – es gibt wenige Bands, die das so meisterhaft hinbekommen. Der Abend in Leipzig zeigt allerdings auch: Dieses Gefühl ist sehr fagil. Es braucht die nötige Subtilität, um es nicht plump oder unglaubwürdig klingen zu lassen, und das Erzeugen dieser Subtilität braucht Präzision. Genau die geht Nada Surf im Täubchenthal aber oft ab.
Woran das liegt? Die Antwort ist schwierig zu finden. Vielleicht haben Nada Surf ihre Stärken eher im Studio und sind einfach keine sonderlich gute Liveband? Das ist unwahrscheinlich. Ich sehe sie zwar zum ersten Mal und habe deshalb keinen Vergleich, aber glaubhafte Stimmen aus dem Publikum versichern mir, dass sie schon sehr gute Konzerte von dieser Band erlebt haben. Vielleicht gibt es Probleme mit dem Sound? Das wäre nicht komplett verwunderlich: Wenn man zu einer so unchristlichen Zeit anfängt, ist das nicht nur ärgerlich für Fans, die lange arbeiten oder aus dem Umland anreisen, sondern womöglich auch ein bisschen knapp für einen ordentlichen Soundcheck. Vielleicht haben Nada Surf heute keine allzu große Lust? Dieser Verdacht ist zumindest nicht ganz von der Hand zu weisen. Matthew Caws betont zwar, es sei ein ganz besonderer Abend, weil sie das erste Mal in der Stadt spielt (was nicht stimmt: sie waren 2004 schon einmal als Vorgruppe der Sportfreunde Stiller im Haus Auensee zu sehen) und ein guter Freund der Band erst kürzlich nach Leipzig gezogen sei. Doch die Kommunikation mit dem Publikum hält sich ansonsten in Grenzen. Es gibt ein gelegentliches Dankeschön, auch den Hinweis, dass die Band nur deshalb noch existiert, weil die Fans so treu sind und Nada Surf noch immer sehen wollen, einmal eine Anekdote über den Entstehungsprozess des Albums. Aber das persönliche und sogar intime Element, das „An Evening With Nada Surf“ in Aussicht gestellt hatte, greift nirgends.
Auch das trägt dazu bei, dass sich auch das Nada-Surf-Gefühl nicht einstellen will. Wenig hilfreich ist natürlich auch die gut 20-minütige Pause, die es nach den 12 Songs von Let Go gibt, bevor die Band für ein zweites Konzert mit einem Querschnitt ihres weiteren Repertoires zurückkommt. Natürlich ist der Cut verständlich, um Let Go, dessen Jubiläum hier gefeiert wird, als abgeschlossenes Werk wirken zu lassen. Aber 5 Minuten hätten für diesen Effekt auch gereicht, zumal die Band sich auf der Bühne auch nicht derart körperlich verausgabt, dass es eine so lange Verschnaufpause nötig machen würde.
So wird Inside Of Love leider unsauber, der Groove von Fruit Fly misslingt, bei Happy Kid scheint jeder in der Band sein eigenes Tempo zu spielen. Natürlich sind viele dieser Songs stark genug, um trotzdem gut zu bleiben und vor allem die Stimme von Matthew Caws ist makellos. Aber die Magie von Nada Surf verträgt keine Nachlässigkeiten, und davon gibt es in dieser Show einige. Bei schwächeren Songs, etwa Killian’s Red, kann das Ergebnis dann sogar schon einmal hohl und nichtssagend klingen.
Dem Publikum merkt man an, wie gerne es dieses Konzert lieben will, natürlich bin ich auch selbst gekommen, um mich mit Gleichgesinnten an Nostalgie zu erfreuen. Aber manchmal fällt das in Leipzig schwer. Als Daniel Lorca sich anschickt, Là Pour Ça zu singen, füllt sich das im Täubchenthal praktischerweise bereitstehende Knutschsofa am Rande des Saals sehr schnell, allerdings mit Leuten, die nicht knutschen. Bei Treading Water glaubt man kurz, die Band könnte jetzt die Kurve kriegen, das folgende Paper Boats wird dann wirklich der erste Moment des Konzerts, der unter die Haut geht. Allerdings killen Nada Surf diesen Effekt mit einem minutenlangen Outro, das auch noch im (an diesem Abend ohnehin gelegentlich penetranten) Flanger-Effekt auf der Gitarre ertränkt wird. „I need something more from you“, heißt eine Zeile in diesem Lied – es wäre eine gute Zusammenfassung für diesen Abend.
Nach der Pause flackert die Klasse der Band noch einmal auf, etwa bei Your Legs Grow. Der Song weckt bezeichnenderweise die Idee, dass der Abend vielleicht interessanter gewesen wäre, wenn Matthew Caws diese Lieder alleine gespielt hätte, ohne das gelentlich derangierte Schlagzeug und den manchmal überambitionierten Bass. Und auch der Gedanke schleicht sich manchmal ein, der „Evening With Nada Surf“ wäre vielleicht schöner geworden, hätte man einfach zu Hause Let Go aufgelegt, in all seiner Perfektion.