Künstler | Nerija | |
Album | Blume | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Wie eine Fußballmannschaft sahen sie aus, erinnert sich Kwes an den Moment, als er Nerija zum ersten Mal live erlebt hat. „Ich habe mich sofort in sie verliebt: Sie kamen so einzigartig und fröhlich rüber, optisch ebenso wie in ihrem Sound. Ihre Kameradschaft, ihre Ansagen, die Musikalität, die Stimmung. Man sah ihnen die Entschlossenheit an.“ Er hatte sich das Septett aus London angeschaut, weil er ihre selbstbetitelte Debüt-EP (dafür haben Nerija 2017 den Newcomer Parliamentary Jazz Award gewonnen, auch als Jazz FM Breakthrough Act of the Year waren sie nominiert) für eine Neuauflage bei Domino remastern sollte. Das Ergebnis gefiel allen Beteiligten so gut, dass Kwes nun auch das heute erscheinende Debütalbum Blume produziert hat.
„Ich konnte kaum glauben, dass sie mich dafür ausgesucht haben. Natürlich fühlte ich mich sehr geehrt und gespannt“, sagt der Mann, der zuvor unter anderem für Bobby Womack oder Solange gearbeitet hat. Der Gedanke an die Fußballmannschaft, der sein erster Eindruck war, ist dabei ein sehr wichtiger für das Verständnis der Band. Die Musiker haben sich bei Workshops von Tomorrow’s Warriors, einer Organisation in London, die Jazz-Musiker in ihrer Weiterentwicklung unterstützt.
Neben Jazz integrieren Nerija dabei beispielsweise auch HipHop, Afrobeat, Soul oder Klassik in ihren Sound. Damit das funktioniert und damit alle Beteiligten ihre jeweiligen Stärken am besten zur Geltung bringen können, ist – wie in einem Fußballteam – ein großer Zusammenhalt notwendig, ebenso wie ein intuitives Verständnis. „Mein wichtigstes Ziel für Blume war, all das einzufangen, was ich live von ihnen gehört und gesehen hatte. Insbesondere die Rohheit, Wärme und Freude, genauso das Gefühl von Freundschaft in ihrer Performance“, sagt Kwes über die Sessions, die innerhalb einer Woche im Januar 2018 über die Bühne gingen. „Es ging darum, dieses kontrollierte Chaos zu dokumentieren und einen Rahmen von zeitloser Eleganz dafür zu finden.“
Wie gut das gelungen ist, zeigt schon der Auftakt Nascence. Das Fundament ist entspannt, die Bläser dominieren, drei Soli bringen dann etwas Aufregung hinein. Im folgenden Riverfest steckt etwas Nervosität (im Rhythmus ebenso wie in der Gitarre, später auch im Kontrabass), zum Ende hin wird das Stück dann spektakulär kraftvoll. Dass sich die sieben beteiligten Musiker, die alle auch in anderen Formationen aktiv sind, zum größten Teil seit zehn Jahren kennen, hört man Blume in der Tat an. Ebenso wie ihre Gewissheit, hier etwas Besonderes erschaffen zu haben. „Bei Nerija schätzen wir alle insbesondere die Möglichkeit, mit Freunden zu musizieren. Wenn wir auf der Bühne sind oder im Studio, fühlt es sich fast wie eine Befreiung an, weit weg von all dem Verwaltungs- und Organisationskram, den man sonst so um sich hat. Wenn wir spielen, erschaffen wir einen Ort, der alles andere verschwinden lässt, das ist wunderschön“, sagt Gitarristin Shirley Tetteh, aus deren Feder das vergleichsweise dezente Partner Girlfriend Lover stammt.
Neben einigen Gemeinschaftswerken treten auch alle anderen Mitglieder von Nerija auf Blume als Autoren auf. Von Trompeterin Sheila Maurice-Grey stammt das freigeistige Last Straw, das mitunter sogar eine Spur chaotisch wird. Rosie Turton (Trombone) hat das elegante und stimmungsvolle Unbound beigesteuert, von Schlagzeugerin Lizy Exell stammt das etwas anstrengende und zerfaserte Swift, Rio Kai (Bass) hat Equanimous komponiert, das am Anfang einen fast verwunschenen Charakter hat, sich dann aber als sehr in sich ruhend erweist.
Tenorsaxofonistin Nubya Garcia hat den verträumten Titelsong verfasst, ebenso wie den Album-Abschluss Blume II – den einzigen Moment der Platte, der nicht instrumental ist (zumindest scheint sich da ein Chor versteckt zu haben). Ein Höhepunkt ist EU (Emotionally Unavailable) von Altsaxofonistin Cassie Kinoshi. Das Stück bietet nicht nur ein erstaunlich energisches Schlagzeug, sondern auch viele sehr abgefahrene Elemente – mit einer großzügigen Auslegung des Begriffs könnte man das als Rock auffassen.
Auch so etwas bekommt man wohl nur hin, wenn das gegenseitige (nicht nur musikalische) Verständnis über viele Jahre wachsen konnte. Rosie Turton sieht jedenfalls genau darin den Mehrwert, den diese Formation für ihre Mitglieder bietet, und wohl auch den Appeal, den sie für ihr Publikum hat: „Die Musik, die wir als Nerija machen, unterscheidet sich sehr von den Sachen, die wir in unseren anderen Projekten spielen. Es ist die Kulmination all unserer unterschiedlichen Klänge, aus der wir eine einzigartige Sache erschaffen.“