Autor | Nick Hornby | |
Titel | Fever Pitch | |
Verlag | KiWi | |
Erscheinungsjahr | 1992 | |
Bewertung |
Der Mann geht zum Arzt. Er macht sich untenrum frei. Er bekommt eine Spritze zur örtlichen Betäubung, und zwar in die intimste Region. Sobald die Betäubung wirkt, wird die Haut des Hodensacks angeritzt und gespreizt. Der Arzt oder die Ärztin holt die Samenstranghüllen heraus und ritzt sie ebenfalls an. Nun sind die Samenleiter erreichbar. Sie werden ein Stück herausgezogen und durchgeschnitten. Schnipp. Die losen Enden werden verätzt, mit Metallclips verschlossen oder abgebunden – so ähnlich, wie man das mit den Enden von Schnürsenkeln macht, damit sie nicht zerfransen. Die Teile des Samenleiters werden dann in den Hodensack zurückgestopft, möglichst so, dass sie in verschiedenen Regionen liegen, damit sie nicht wieder zusammenwachsen. Dann kommen Pflaster auf den Hodensack. Nach etwa einer halben Stunde ist man fertig.
So läuft eine Vasektomie ab, also die Sterilisation eines Mannes. Es ist die harmlosere Variante (es gibt auch eine Operationsmethode, bei der mit Skalpell gearbeitet und genäht wird). Aber wohl kein Mann der Welt, Urologen eingeschlossen, wird bei der Vorstellung an diesen Eingriff Vergnügen empfinden. Nick Hornby zieht eine solche Sterilisation in Fever Pitch dennoch in Betracht, vollkommen freiwillig. Der Grund: Er will sichergehen, dass er nicht eines Tages einen Sohn haben wird, der Fan vom falschen Fußballclub ist. Er malt sich ein Pokalfinale seines Herzensvereins gegen die Lieblingsmannschaft seines Sohnes aus, in dem das Team seines Sohns in letzter Minute den entscheidenden Gegentreffer hinnehmen muss – und er weiß, dass er nicht erwachsen genug sein wird, diesen Moment nicht hämisch zu bejubeln. Er würde springen, schreien, Schmähgesänge anstimmen – und seinem Sohn wahrscheinlich ein lebenslanges Trauma verpassen.
Diese Stelle von Fever Pitch ist vielleicht der eindrucksvollste Beleg für die grenzenlose Leidenschaft, die der Ich-Erzähler – bei dem es keinen Zweifel gibt, dass er mit dem Autor gleichzusetzen ist – für seinen Fußballverein empfindet. Dieser Verein ist Arsenal London, und nichts im Leben dieser Hauptfigur hat eine höhere Priorität. Nicht die Karriere, nicht die Freunde, auch nicht die psychische Gesundheit des eigenen Sohns. Immer wieder spricht Nick Hornby, für den Fever Pitch (seine zweite Buchveröffentlichung nach einer Sammlung von Essays über zeitgenössische amerikanische Autoren) 1992 der Durchbruch als Autor war, von Besessenheit, wenn es um seine Beziehung zu Arsenal geht, und nichts anderes ist es.
Fever Pitch ist so etwas wie ein Tagebuch mit der Besonderheit, dass die einzelnen Kalenderblätter durchweg auf Spieltage von Arsenal fallen. 1968 ist Hornby erstmals im Stadion, als Elfjähriger. Seine Eltern stehen damals kurz vor der Scheidung, wiederholt spekuliert er im Buch darüber, ob es vielleicht dieser Umstand war, der seine Initiation in Highbury so prägend gemacht hat. „Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden“, schreibt er zu diesem Heimdebüt. Seine gesamte weitere Biographie spiegelt er dann am Schicksal des Fußballclubs, sein Aufwachsen in einer Patchwork-Familie, das mit wenig Motivation betriebene Studium, die Orientierungslosigkeit und die Versagensängste danach, die Liebeleien währenddessen. Zwischendurch sieht er die Geschicke des Clubs und sein eigenes Leben geradezu als Symbiose: „Vielleicht haben Fußballteams und Menschen ständig Neuanfänge; vielleicht haben Arsenal und ich mehr als die anderen und passen deshalb zueinander.“ Bis 1992 reicht die Erzählung, sie deckt also die Zeit bis zur Einführung der Premier League ab und reicht nicht bis zu der Arsenal-Ära, die man heute vor allem mit Trainer Arsene Wenger verbindet, der seit 1996 bei den „Gunners“ im Amt ist.
Erstaunlich an dieser lebenslangen Verbindung (Hornby hat noch heute eine Dauerkarte) ist vor allem, wie wenig Spaß der Autor beim Fußball hat. „Der natürliche Grundzustand eines Fußballfans ist bittere Enttäuschung, egal wie es steht“, schreibt er an einer Stelle sehr treffend. Das Spiel, in dem Arsenal 1989 gegen Liverpool die Meisterschaft sicherte, nennt er „den größten Augenblick aller Zeiten“, aber viel tiefer scheinen sich Niederlagen, Enttäuschungen und unzählige 0:0-Spiele bei Mistwetter in seine Erinnerung und seinen Charakter eingegraben zu haben. Ein wirklicher Fußballfan zu sein, bedeutet keinen Genuss, sondern vielmehr Tortur, selbst wenn man einen halbwegs erfolgreichen Verein anfeuert. „Über langweiligen Fußball zu klagen ist ein wenig so, wie über das traurige Ende von King Lear zu klagen: Man begreift irgendwie nicht das Wesentliche. (…) Fußball ist eine Ersatzwelt, so ernsthaft und anstrengend wie die Arbeit, mit den gleichen Sorgen, Hoffnungen, Enttäuschungen und gelegentlichen Hochgefühlen“, hat Hornby erkannt. An anderer Stelle macht er klar, dass seine Begeisterung ein Ausmaß erreicht hat, die auch als Sucht definiert werden könnte und deshalb dazu führt, dass die Anhänger jede noch so abscheuliche Entwicklung innerhalb des Profifußballs ertragen: „Leider gibt es viele Fans wie mich. Für uns ist der Konsum alles; die Qualität des Produkts ist unerheblich.“
Selbstironie ist angesichts dieser Tatsache sein bevorzugtes Stilmittel („Die Wahrheit ist: Während alarmierend großer Abschnitte eines durchschnittlichen Tages bin ich ein Schwachsinniger“, gesteht er gleich auf einer der ersten Seiten angesichts der Tatsache, dass er so oft an nichts als Fußball denkt), und das ist einer der Gründe, warum man „eines der originellsten, intensivsten und gescheitesten Fußballbüchern seit Jahren“ (Frankfurter Rundschau) gerne auch Nicht-Fußball-Fans ans Herz legen möchte. In der Tat bietet Fever Pitch viele Passagen, in denen sich die Unbedingtheit, Romantik und Irrationalität von Fußballfans auch für Außenstehende gut nachvollziehen lassen. Zugleich hat man als Fan bei diesem Gedanken fast ein wenig Sorge, weil man sich so häufig selbst erkennt: Sollte ich so ein Buch beispielsweise meiner Freundin schenken? Könnte sie dann besser verstehen, warum ich Fußball so liebe? Oder wäre sie irritiert ob der Erkenntnis, wie schockierend wichtig dieser Sport für mich ist? Würde sie das nicht an meinem gesunden Menschenverstand zweifeln lassen?
Genau diese Frage führt zum wahrscheinlich größten Wert von Fever Pitch: Nick Hornby zeichnet aus seiner eigenen Begeisterung die psychologischen und sozialen Mechanismen nach, die Fußball in unserer Gesellschaft zu solch einer prägenden Kraft gemacht haben. „Das Buch ist, zum Teil, auch eine Erforschung der Bedeutungen, die Fußball für viele von uns zu enthalten scheint. Es ist mir ziemlich deutlich geworden, dass meine Hingabe so manches über meinen Charakter und meine persönliche Geschichte aussagt, doch die Art, wie das Spiel aufgenommen wird, bietet wahrscheinlich auch allerlei Informationen über unsere Gesellschaft und Kultur“, schreibt er in seiner Einführung, und dieser Verdacht wird mehr als bestätigt. Das reicht von klugen Gedanken zur emotionalen Dynamik in Familien über Betrachtungen zu Rassismus und Antisemitismus sowie zum bigotten Umgang der Politik mit Gewalt in Stadien bis hin zur Frage, wie sich heute Männlichkeit definieren lässt, wenn Männer, die sonst völlig emotionslos erscheinen, immerhin (oder: leider nur) bei einem Fußballspiel zu plötzlichen Gefühlsausbrüchen in der Lage sind.
Fußball ist für ihn, so schreibt Nick Hornby an einer Stelle, „eine andere Version des Lebens“. Er ist nicht der erste Experte, der zu dieser Einschätzung kommt, aus seiner eigenen Erfahrung heraus führt er das aber vor allem auf den Umstand zurück, dass Fußball in Zeiten größter Dynamik und Rastlosigkeit der Welt so etwas wie eine Konstante ist und somit einen Orientierungsrahmen bildet. Das Spiel auf dem Rasen steht für Regeln, Grenzen und Überschaubarkeit. Es steht in Hornbys Leben und Persönlichkeitsentwicklung auch für die Erkenntnis: Nach jeder Niederlage kommt ein neuer Spieltag, an dem man sie wieder wettmachen kann. Nach jedem Triumph beginnt eine neue Saison, in der man womöglich schon wieder der Depp ist. Jeder Rückstand ist vielleicht noch aufzuholen und jede Führung, so souverän sie erscheinen mag, kann durch eine tragische Verkettung der Umstände binnen Minuten dahin sein. Fußball wird in Fever Pitch zu einer Schule in Demut. An einer Stelle heißt es: „Jede erniedrigende Schlappe (…) muss mit Geduld, Fassung und Nachsicht ertragen werden, denn es gibt ganz einfach nichts, was dagegen unternommen werden kann, und das ist eine Erkenntnis, die dich dazu bringen kann, frustriert die Wand hochzugehen“. Noch deutlicher wird das in der Phase, als der Autor während seiner Studentenzeit regelmäßig die Spiele eines Amateurclubs in Cambridge besuchte, was für ihn beinahe einem Nirwana gleichkam: „Ich wollte immer einen Ort finden, an dem ich mich in den Gesetzmäßigkeiten und Rhythmen des Fußballs verlieren konnte, ohne mich um das Ergebnis zu kümmern.“
Gerade wegen der Betonung der Unberechenbarkeit inmitten der Kontinuität ist Fever Pitch auch kein Buch über Arsenal London. So sehr Nick Hornby auch den besonderen (und nicht sonderlich glamourösen) Charakter dieses Vereins und die außergewöhnliche Intensität seiner eigenen Hingabe herausstellen will, so deutlich wird doch, wie leicht seine Erfahrungen auf andere Fans und andere Vereine übertragbar sind, wie sehr das Buch die Fußballerfahrung an sich auf den Punkt bringt. In gewisser Weise ist Fever Pitch sogar noch universeller, nämlich (wie Hornbys folgende Bestseller High Fidelity und About A Boy) eine Liebesgeschichte. Der Protagonist ist auch hier obsessiv und unreif (Arsenal füllt in seinem Leben „die Lücken aus, die von etwas anderem hätten besetzt werden müssen“, gesteht er gleich mehrfach), und er weiß genau um die Übertriebenheit seiner Zuneigung und den Wankelmut des Objekts seiner Bewunderung. Aber er kann nicht anders, so groß ist die Faszination, die er spürt, das Versprechen auf Glück, an das er glaubt.
Die Liebesgeschichte geht übrigens gut aus: 1988/89 und 1990/91 holte Arsenal die Meisterschaft, wenig später dann auch den FA Cup und seine erste europäische Trophäe. Und die Sache mit der Sterilisation hat Nick Hornby dann doch nicht durchgezogen: Er hat drei Söhne, geboren 1993, 2003 und 2005.
Bestes Zitat: „Die Freude, die wir bei derartigen Anlässen empfinden, ist nicht ein Feiern des Glücks anderer, sondern ein Feiern unseres eigenen; und bei einer katastrophalen Niederlage ist das uns verschlingende Leid in Wirklichkeit Selbstmitleid, und jeder, der verstehen will, wie Fußball konsumiert wird, muss sich das als erstes klarmachen. Die Spieler sind bloß unsere Vertreter, mehr vom Trainer ausgesucht als von uns gewählt, aber dennoch unsere Vertreter, und manchmal kann man, wenn man genau hinsieht, die kleinen Stangen sehen, die sie zusammenhalten, und die Griffe an den Seiten, die es uns ermöglichen, sie zu bewegen.“