Künstler*in | Noel Gallagher’s High Flying Birds | |
Album | Who Built The Moon? | |
Label | Sour Mash | |
Erscheinungsjahr | 2017 | |
Bewertung |
Natürlich ist auch Shitesite ein Freund des bequemen Musikkonsums über Streaming und digitale Audiodateien. Bei Spotify neue Acts entdecken oder fürs Joggen eine iTunes-Playlist bauen – all das ist ein großes Vergnügen. Manchmal hat es aber doch seine Vorteile, wenn man einen guten, alten Tonträger erwirbt. So wie bei Who Built The Moon?, dem dritten Album von Noel Gallagher’s High Flying Birds. Denn dem Booklet lassen sich ein paar sehr spannende Eckdaten entnehmen, sogar die Information, die vielleicht entscheidend ist für das Verständnis dieser Platte.
In den Credits findet sich beispielsweise der Hinweis, dass David Holmes dieses Album produziert hat. Der nordirische Musiker arbeitet erstmals mit Noel Gallagher zusammen und hat sich sonst vor allem mit Filmmusik oder als Produzent für Primal Scream einen Namen gemacht. Das lässt sich gleich im ersten Song gut nachvollziehen, denn Fort Knox bietet einige Elemente, die auch perfekt zu dieser Band gepasst hätten: Das Stück beginnt mit einem Alarm, dann gibt es viel Elektronik, Rhythmus und eine fast chaotische Grundstimmung, später klingelt minutenlang ein Wecker.
Man erfährt dort auch, dass Johnny Marr die Gitarre und Mundharmonika in If Love Is The Law spielt, das einen schönen Kontrast zwischen Einfachheit der Strophe und Grandezza des Refrains entwickelt. Mit Paul Weller ist eine weitere britische Musiklegende mit dabei, er steuert die Orgel zu Holy Mountain bei, das sich als Höhepunkt von Who Built The Moon? erweist, sogar als ein Highlight innerhalb des gesamten Werks von Noel Gallagher: Auf einem Fundament aus Glam und Boogie erwächst hier höchst raffiniert etwas, das in manchen Passagen fast wie Orchestermusik oder eine Marching Band klingt. Die Krönung ist dabei die himmlische Flötenmelodie (die dem vergessenen Sixties-Fundstück Chewin‘ Gum Kid von The Ice Cream entnommen ist, wie man ebenfalls im Booklet nachschlagen kann). Der Song ist so gut, dass einer der Effekte greift, den man auch in den größten Momenten von Oasis beobachten konnte: Selbst vollkommen blödsinnige Textzeilen wie „She smelled like 1969“ wirken hier plötzlich plausibel, sogar bedeutend.
Der erwähnte Schlüssel zur Wirkung dieses Albums hat indes zunächst gar nichts mit der Musik zu tun. Er findet sich auf der letzten Seite im Begleitheft. „Artwork cover model: Sara Macdonald“ steht da. Sie ist in einem roten Kleid zu sehen, den Rücken zur Kamera gewandt, die Hände am Hinterkopf, auf eine Wüstenlandschaft blickend. Und sie ist die Ehefrau von Noel Gallagher. Der beim Erscheinen dieser Platte 50-Jährige wirkt hier in vielerlei Hinsicht wie frisch verliebt: In seine Herzensdame, in die Möglichkeiten der Musik und in seinen Status als einer der Größten in der englischen Pop-Historie, der auch hier untermauert wird: Who Built The Moon? ist sein zehntes Nummer-1-Album im UK in Folge (wenn man die von Oasis mitrechnet), eine solche Serie hat zuvor niemand geschafft. Dass es inzwischen zu seinen schwächeren Momenten gehört, wenn er bei den Beatles klaut (wie im Falle des nur in einigen Passagen überzeugenden Be Careful What You Wish For, das sich deutlich an Come Together orientiert), darf er wohl als ultimativen Pluspunkt für sich verbuchen.
She Taught Me How To Fly wird ein tolles Liebeslied mit Anleihen bei Disco und New Order, das mit dem „Put your money where your mouth is“-Teil noch etwas besser wird. It’s A Beautiful World verweist ebenfalls schon im Songtitel auf die hier regierende Seligkeit, Stimme und Melodie im Refrain sind darin unverkennbar Noel Gallagher, trotzdem hätte man (nicht nur wegen des Parts auf Französisch) so ein Lied nicht von ihm erwartet. Es scheint tatsächlich dem Einfluss von David Holmes zu verdanken zu sein, dass die schon längst bekannten Vorlieben für Psychedelik und Elektronik diesmal so schlüssig in den Sound von Noel Gallagher integriert werden und dass er hier völlig mit sich im Reinen ist, ohne selbstgefällig oder gar langweilig zu werden.
Keep On Reaching beginnt als Blues und überrascht dann mit Momenten, die so groß sind wie ein Bond-Theme. Insbesondere durch den Bass (Jason Falkner) bewahrt es durchweg seine Ungeduld und Unberechenbarkeit. Auch beim Quasi-Titelsong kann man es nur schändlich finden, dass Noel Gallagher bisher kein Lied für den berühmtesten Geheimagenten im Dienste ihrer Majestät schreiben durfte: The Man Who Built The Moon ist groß wie The Masterplan oder Live And Let Die.
Black & White Sunshine entwickelt einen sehr reizvollen Groove durch den Shuffle-Beat von Schlagzeuger Jeremy Stacey. Der kleine Verweis auf die Pet Shop Boys („You got the nerve / I got the brain“) und die ungewöhnlichen Streicher sind das Beste daran, insgesamt wird der Song seinem pompösen Gestus allerdings nicht ganz gerecht. Dafür überzeugt Dead In The Water als Bonus Track zum Abschluss des Albums. Der deutlichste Bezugspunkt für dieses Stück ist die Oasis-B-Seite Talk Tonight, auch hier braucht es nur Gitarre und Klavier, um die ganze Klasse dieses Songwriters zu demonstrieren in einem Track mit viel Kreativität, Spontaneität, Verletzlichkeit und – was am wichtigsten ist – Glaubwürdigkeit. Auch hier gilt: Noel Gallagher genießt es auf Who Built The Moon? sehr, Noel Gallagher zu sein. Und das hört man.