Oasis – „Knebworth 1996 – The Film“

Film Oasis Knebworth 1996 – The Film

„Knebworth 1996“ zeigt Oasis in ihrer Blüte.
Produktionsland Großbritannien
Jahr 2021
Spielzeit 110 Minuten
Regie Jake Scott
Hauptdarsteller*innen Noel Gallagher, Liam Gallagher, Paul Arthurs, Paul McGuigan, Alan White
Bewertung

Oasis Knebworth 1996. Man könnte den Titel dieser Dokumentation, die unter Regie von Jake Scott zum 25. Jubiläum dieser legendären Konzerte entstanden ist, etwas lieblos finden. Aber er ist perfekt. Denn er bringt alles auf den Punkt, was die beiden Shows der Band aus Manchester damals so besonders machte: den Ort, die Zeit und natürlich die Musik.

Fangen wir mit der Zeit an. 1996 kann man aus guten Gründen als Höhepunkt von Cool Britannia betrachten, einem nationalen Taumel, den sich der damalige Premierminister Tony Blair gerne als Verdienst zuschreiben wollte, und der nicht zuletzt von Popmusik getragen wurde. Die Fußball-Europameisterschaft fand in England statt, was selbst in Deutschland als „Football’s coming home“ gefeiert wurde. Danny Boyle setzte mit Trainspotting neue Maßstäbe für innovatives, mutiges Kino. Damien Hirst versetzte die Kunstwelt in Aufruhr. Und Oasis durften sich zumindest in diesem Sommer als größte Band der Welt fühlen: Zu den beiden Konzerten am 10. und 11. August 1996 kamen insgesamt mehr als eine Viertelmillion Fans. Es waren zu diesem Zeitpunkt die größten Rockshows, die Großbritannien je gesehen hatte, und es sollte in den Neunzigern auch nichts mehr folgen, was diese Marken überbieten konnte.

Gerade, weil die Ereignisse hier in erster Linie aus der Perspektive der Fans erzählt werden, fängt die Dokumentation dieses Hochgefühl wunderbar ein, das längst nicht auf Oasis und Knebworth beschränkt war, aber an diesem Ort und mit der Musik dieser Band kulminierte. Der Literaturwissenschaftler Peter Bennett betrachtet Britpop in Britpop And National Identity (In: Journal For The Study Of British Cultures, Vol. 5/1 1998, Seite 13-25) als Push für das britische Selbstbewusstsein, weit über die Konzertbühnen und Charts hinaus, gespeist vom Glauben, „that something new and full of promise had been born in the cradle of British pop music“.

Er zeigt in seinem Aufsatz einerseits, was am Britpop tatsächlich britisch war und zur britischen Selbstbestätigung beitragen konnte (auch Oasis berufen sich auf die Ahnenreihe britischer Gitarrenmusik und singen über ihr Leben auf dieser Insel, das Millionen Menschen in Großbritannien ebenfalls kennen). Andererseits macht er sehr gut deutlich, wie sehr die dabei wirkenden Effekte letztlich aus einer Position der Defensive kamen: Britpop im Allgemeinen und Oasis im Speziellen waren natürlich auch eine Abwehrreaktion: Es sollte gezeigt werden, dass man mit Gitarren auch andere Musik als Grunge machen konnte (was damals keineswegs selbstverständlich war). Es ging darum, die Übermacht der USA auf dem weltweiten Musikmarkt zu brechen (wo Oasis dann als eine der wenigen Britpop-Bands tatsächlich veritable Erfolge erzielen konnten). Nicht zuletzt sollte eine Tradition fortgeschrieben (und somit gerettet) werden, die man damals nicht nur durch Grunge, sondern auch durch die Erfolge von elektronischer Musik und Rap durchaus als bedroht ansehen konnte: den positiven Popsong, den man mitsingen kann. Oasis Knebworth 1996 zeigt die erstaunliche Verwandlung dieser abwehrenden, gekränkten, teils auch rückwärtsgewandten Position in eine neue, lebendige, wirkungsmächtige Gegenwart, sogar in ein Überlegenheitsgefühl und Eroberungslust. Die Songs von Oasis sind der Zaubertrank, der dies möglich macht.

Wie sehr dieses Event vor einem Vierteljahrhundert tatsächlich aus einer anderen Zeit stammt, macht die filmische Umsetzung von Jake Scott auch ganz unmittelbar in ihren Bildern deutlich. Es gab keine Handys, Manchester City spielte noch in der zweiten Liga und Infos zu den Konzerten mussten sich die Fans aus dem Videotext holen, um dann um 3 Uhr aufzustehen und sich an Telefonen mit Tasten oder gar Scheiben die Finger wund zu wählen. Wer eines der begehrten Tickets für (schon damals sehr günstige) 22,50 Pfund ergattern konnte, kam dann gerne im Adidas-Shirt, bauchfreiem Top, Jeansjacke und/oder einem dieser beknackten Anglerhüte nach Knebworth.

Die Größenordnung und Logistik ist auch im Rückblick beeindruckend. „That was a typical Oasis gig. Times ten“, sagt Gitarrist Bonehead, der zugleich bekennt, er habe erst fünf Jahre später registriert, „was wir da eigentlich getan haben“. Zweieinhalb Millionen Menschen wollten Tickets für die Konzerte, die als „Gig of the decade“ vermarktet und live von der BBC sowie 500 Radiosendern übertragen wurden, darunter auch vom eigens gegründeten Radio Supernova, das auf 106.6 FM auf Sendung ging.

Für Oasis, die aus der Gosse kamen und seit Gründung ihrer Band stets behauptet hatten, sie würden eines Tages die Größten sein, war das natürlich eine enorme Genugtuung. „They went from nothing to massive in a couple of years. Nuts“, merkt ein Fan hier treffend an. Die Band genießt diesen Status und sieht gar keinen Grund, deshalb in Demut auszubrechen. „We flipped that thing of not being worthy on its head. We are worthy. Enjoy it“, sagt Noel Gallagher in einem Kommentar auf der DVD. Zum kometenhaften Aufstieg gehört natürlich auch der Glaube, dass der Triumph ewig währen werde, was – wie wir heute wissen – ein Trugschluss war. Noel Gallagher verspricht an einer Stelle „We’ll do it again sometimes, yeah“ und dichtet im Konzert sogar eine entscheidende Zeile von Don’t Look Back In Anger um: „You can put your life in the hands of this rock’n’roll band / we’ll never throw it away.“

Womit wir bei der Musik wären. Auch da liefert Knebworth 1996 interessante Erkenntnisse. Bevor Oasis auf die Bühne gehen, kann man ihnen tatsächlich so etwas wie Nervosität anmerken. Dann kicken sie übergroße Fußbälle ins Publikum, um schließlich mit Columbia loszulegen. Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass die Songs und erst recht die Show von Oasis eigentlich kaum für Stadionrock à la Queen, U2 oder Guns’N’Roses geeignet sind. Zur Feier des Tages gibt es natürlich eindrucksvolle Visuals und am Ende auch ein Feuerwerk, aber Pomp und Theatralik sind dieser Band fremd. Das eigentliche Spektakel ist bloß 1,78 Meter groß und heißt Liam Gallagher, der grandios singt, in seiner eigenen Welt schwebt und sich hinsichtlich der Ansagen am zweiten Abend deutlich mehr in Plauderlaune zeigt. Im Rückblick lobt Noel Gallagher sogar den ungeliebten kleinen Bruder: „If this is Oasis at its peak, which it is, it’s because Liam is at it’s peak.“

Den Ort des Geschehens setzt Knebworth 1996 ebenfalls wundervoll in Szene. Es gibt Bilder von den Proben der Band, von Patsy Kensit am Bühnenrand oder Kate Moss und Jarvis Cocker backstage, vom spektakulären Vorprogramm, aus dem The Prodigy offensichtlich herausragten. Auch hier liegt der Fokus aber auf den Fans und ihrem Erlebnis, ein paar Szenen wurden dafür auch nachgestellt, etwa die beiden Teenager-Jungs, die in ihrem Kinderzimmer am Radio zuhören, mit einem heimlich von den Eltern geklauten Bier. Dazu kommen Privataufnahmen von Menschen, die tatsächlich vor Ort waren: Die Fans singen während der Anreise im Bus oder Zug, es wirkt wie eine Klassenfahrt, auf der man allerdings Dosenbier trinken und kiffen darf. Man spürt auch 25 Jahre später noch Aufregung, Euphorie, Stolz, Energie – und auch einen Hauch von Fassungslosigkeit, dass all dies wirklich passiert.

Dass hier nicht in erster Linie die Bandmitglieder, die Roadies, der Manager oder Musikjournalist*innen erzählen, sondern die Menschen, die als Fans dabei waren und jede Sekunde davon eingesogen haben, sorgt dafür, dass Knebworth 1996 besser als jedes Album, jedes Buch oder jeder Konzertmitschnitt das magische Funktionieren und die anhaltende Wirkung von Oasis erklärt: Sie haben sich ein Volk erschaffen, einen Stamm, ein Team, eine Gemeinschaft. Die Basis dafür ist eine Musik, die von Inklusion und Ermächtigung erzählt: Jeder ist Rockstar, jeder ist mit auf dieser Bühne. Ein Fan erkennt das in dieser Dokumentation besonders klarsichtig: „Oasis were us. They were literally us. We were them. Only difference is that they were on stage and we were the guys listening to it.“ Niemand, der dieses Event erlebt hat, wird diese Band jemals aus seinem Herzen verbannen können. Und wenige Menschen haben das Glück, einen so prägenden Popmusik-Moment zu erleben.

Das beste Zitat kommt von einem Fan: „It’s that moment in history where you had to be there. You could taste it.“

Der Trailer zum Film:

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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