Künstler | Oehl | |
EP | Im Spiegel | |
Label | Grönland | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Wohl kaum jemand ist mit den Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie so kreativ umgegangen wie Oehl. Im Januar hatte das isländisch-österreichische Duo sein Debütalbum Über Nacht veröffentlicht, eigentlich wollten Ariel Oehl und Hjörtur Hjörleifsson damit natürlich auf Konzertreise gehen. Als der Lockdown diese Pläne durchkreuzte, hatten sie eine besondere Idee: Sie luden den Rest der Welt, der schließlich mutmaßlich auch im eigenen Zuhause festsaß, via Instagram, Facebook und YouTube dazu ein, die Lieder ihres Albums selbst neu zu interpretieren. Auf ihrer Website stellten sie ein Songbook bereit, für Instagram entwickelten sie sogar einen Audiofilter, der die Neubearbeitungen auf Wunsch Oehl-isiert.
„Man brütet monatelang über den Songs, und wenn das Album da ist, geht man normalerweise damit auf Tour, lässt sie aus dem Nest, schaut, wie sie vor Publikum ankommen. Da wir momentan aber nicht auf Tour gehen können, möchten wir zumindest unsere Songs in die Welt schicken und sehen, was Freunde und Fans daraus machen“, begründet Ariel Oehl diese Idee, die auch der gerade veröffentlichten EP Im Spiegel zugrunde liegt. Dafür hat das Duo befreundete Künstlerinnen aus Deutschland, Island und Österreich eingeladen, entstanden sind sechs sehr reizvolle Coverversionen.
Culk macht den Auftakt, ihre Stimme in Tausend Formen passt perfekt zu diesem Song voller Spannung und Emotionalität und klingt auch prominenter als der Gesang in der Vorlage. Anlegen bekommt in der Version von Children mehr Leichtigkeit und Tanzbarkeit, das Ergebnis rückt beinahe in die Nähe von Milky Chance. Brynja lässt Auðn (Neue Wildnis) herrlich exotisch klingen, in dieser Form wäre der Song fast von Lykke Li vorstellbar. Lylits Bisher wird ähnlich experimentell, auch im Gesang.
Ein Ausreißer ist Über Nacht, nicht nur wegen der nach Oper klingenden Stimme von Berglind, die Oehl dafür als Unterstützung gewonnen haben, sondern auch wegen des hier vergleichsweise üppigen Sounds: Das elektronische Backing, das noch mehr nach Eighties klingt als in der Originalversion, würde gut zu Austra passen. Den Abschluss macht Keramik, neu umgesetzt von Mira Lu Kovacs, und es zeigt prototypisch, wie gut das Konzept von Im Spiegel funktioniert: Es gibt hier nur die tolle Stimme und eine akustische Gitarre, und dieses schlichte Arrangement unterstreicht sowohl die Stärke der Melodie als auch des Songs insgesamt.
Letztlich ist das nicht nur ein gutes Substitut für das Live-Erlebnis, sondern auch eine musikalische Bestätigung einer Erkenntnis, die Friedrich Hebbel einmal formuliert hat: „Es gibt auch Spiegel, in denen man erkennen kann, was einem fehlt.“