Künstler | Oehl | |
Album | Über Nacht | |
Label | Grönland | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Das Cover von Über Nacht sagt sehr viel aus über diese Platte. Zum einen kann man hier ein paar Fakten zu Oehl erkennen: Es ist ein Duo, bestehend aus zwei Männern. Es handelt sich um Ariel Oehl, einen Liedermacher aus Wien, und Hjörtur Hjörleifsson, einen Multiinstrumentalisten aus Island, der schon eine Weile in Österreich lebt und dort unter anderem Chili And The Whalekillers gegründet hat. Zum anderen lässt sich von der Plattenhülle auch ein Hinweis auf die Ästhetik dieser Band ableiten: Die linke Gesichtshälfte von Hjörleifsson ist in grelles Licht getaucht, Oehl bleibt hingegen im Dunklen.
Als „Schattenspiel“ hat der Rolling Stone, vielleicht auch in Anlehnung an das Plattencover, die Melodieführung auf Über Nacht bezeichnet, in der Tat sind Kontraste, Dichotomie und Widersprüche wichtige Elemente dieser Musik. Das wird in Tausend Formen deutlich, das die Rolle des Poeten (Oehl) ebenso betont wie die des Soundtüftlers (Hjörleifsson), auch im spielerischen Miteinander von Bass und Beat auf dieser Platte, wobei Ersteres hier eher für Leichtigkeit, Letzteres eher für Schwere sorgt. Der Titelsong Über Nacht zeigt, wie leicht hier Trauer, reizvolle Rhythmen und sehr gute Melodien aufeinander treffen können. Wolken lässt im Titel an Betrübnis denken, erweist sich aber als überraschend zugänglich und romantisch.
„Eigenständig, klug und künstlerisch besonders“, nennt Herbert Grönemeyer diese Band, die er wohl aus genau diesen Gründen für seine Plattenfirma unter Vertrag genommen hat. Die größte Stärke dieser Musik ist indes, wie mysteriös sie ist. Dieser Effekt wird unter anderem durch Versatzstücke von großen deutschen Dichtern erreicht, auf die man in den Texten stoßen kann. „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr“, wird Rilke in Neue Wildnis zitiert, dem Naturidyll wird dabei denkbar unromantische Technik gegenübergestellt: „Der höchste Baum im Wald / ein Handymast.“ In Keramik heißt es frei nach Hermann Hesse: „Jedem Anfang geht ein Ende voraus“, und rund um diese Zeile entwickelt sich ein Lied um die Freuden und Tücken der Vaterschaft. Instrument wird ein sehr typischer Moment des Albums, auch wegen des Verses „Seit ich des Suchens müde war / erlernte ich schnell des Finden“ (Friedrich Nietzsche).
In Bisher, dass die Platte eröffnet, geht die Geheimniskrämerei so weit, dass man die Instrumente kaum identifizieren kann, im schicken und zurückhaltenden Fluchtpunkte ist jenseits der Zeile „wenn du fortgehst“ kaum auszumachen, in welcher Sprache da gesungen wird. Himmel bleibt eher ein Interlude als ein fertiges Lied, Anlegen wird funky und rückt in die Nähe von Roosevelt. Trabant beschließt Über Nacht und noch etwas mehr als für die anderen zehn Lieder gelten hier die wichtigsten Attribute für das Debüt von Oehl: geheimnisvoll, verschwörerisch, einnehmend.