Künstler | OK Kid | |
Album | Sensation | |
Label | Four Music | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Manchmal reicht es, wenn man die richtigen Fragen stellt. Auf Sensation, dem dritten Album von OK Kid, finden sich einige davon. „War das wirklich schon alles?“ „Wer ist schuld an deiner Existenz?“ „Wo ist Helene, wenn du sie gerade brauchst?“ „Hast du Lust? Ja/Nein/Vielleicht?“ „Ich wollt‘ nie, dass du hier schläfst, wieso küsst du mich jetzt wach?“ Nicht zuletzt „Warum nicht nach Jamaica?“
All diese Fragen findet man in den elf Liedern von Sensation, und auch im Entstehungsprozess haben Fragen eine entscheidende Rolle gespielt. Die 2006 in Gießen gegründete Band hat vieles auf den Prüfstand gestellt. Ausgangspunkt für diese Veränderung war ein gemeinsamer Kurzurlaub von Jonas Schubert (Gesang), Raffael Kühle (Schlagzeug und Gitarre) und Moritz Rech (Keyboard) kurz vor Weihnachten 2017. An dessen Ende stand die Erkenntnis: Unsere Band droht langweilig zu werden. OK Kid haben nun ein neues Management und mit Tim Tautorat auch einen anderen Produzenten als auf dem Debütalbum 2013 und dem drei Jahre später veröffentlichten Nachfolger Zwei, „weil wir unsere Komfortzone verlassen wollten“, erklärt Raffael Kühle.
Wie gut das funktioniert hat, zeigt eine weitere Frage, die am Anfang von Hinterher steht und lautet: „Was hat mich bloß so uriniert?“ Das ist natürlich ein extrem cleverer Verweis auf Die Sterne (mit deren Sänger OK Kid mal ein Lied aufgenommen haben) – erst recht, wenn der dazugehörige Song einen mitreißenden Rhythmus, eine ansteckende Melodie und eine Botschaft hat, die besagt: Reue bringt nichts.
Es ist einer der Höhepunkte von Sensation, aber bei weitem nicht der einzige. Ich und die Planierraupe erweist sich als absurde Geschichte mit Sozialkritik-Moral wie man das von Käptn Peng kennt. Schlau an diesem Lied ist nicht zuletzt, dass es alle zu Schuldigen macht, nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Finanzinvestoren oder Coldplayfans. Der Titelsong ist vor allem im Refrain sehr stylish und wir zu einer Huldigung an eine Traumfrau mit doppeltem Boden. 1996 erweist sich als Coming-of-Age-Drama, dessen Romantik vor allem daraus erwächst, dass der Erzähler so offen mit seiner Unvollkommenheit umgeht – das ist ein Rezept, das auch bei Bosse stets bestens funktioniert.
Wut lass nach klingt als Abschluss der Platte zuerst nach zärtlicher Klavierballade, entpuppt sich dann aber als Lied über mangelnde Frustrationstoleranz, Kontrollverlust und womöglich gar häusliche Gewalt. Pattaya ist ebenfalls extrem originell und bietet viele Überraschungen, ohne dass darunter die Eingängigkeit leidet. Das Thema heißt Sextourismus, das Gefühl heißt: enttäuscht sein, einsam sein, es aber nicht eingestehen. Der Album-Auftakt Lügenhits reiht höchst gekonnt Songtitel aus Pop und Schlager aneinander, die Musik dazu changiert zwischen Frittenbude und NDW.
„Wir stehen schon immer zwischen allen Stühlen. Es fällt den Leuten schwer, uns stilistisch einzuordnen“, sagt Moritz Rech, und das gilt auch auf Sensation weiterhin. „Wir sind die ganze Zeit über nur der Dynamik dieser Musik gefolgt“, betont Rech, und man ahnt schnell, wie er das meint: Man wird nicht viele Alben finden, schon gar nicht von deutschen Künstlern, auf denen sich Lieder wie Heimatschänke und Wolke finden. Ersteres setzt im (gewöhnungsbedürftigen) Sound auf Achtziger-Pop-Rap, etwa im Stile von Paula Abdul, und behandelt die vielfachen Tücken, die eine Stammkneipe mit sich bringt. Letzteres ist erst elektronisch, dann fast orchestral und wählt Radioaktivität als Metapher für ein Bedrohungsszenario bis hin zur Apokalypse.
Offener als bisher treten auf Sensation die unterschiedlichen Einflüsse zutage, die das Trio mit in das gemeinsame Dasein bei OK Kid bringt. „Wir waren immer eine Band und haben das gelebt, aber so sehr als Band haben wir noch nie zusammen an einem Album gearbeitet“, sagt Jonas Schubert. Seine klugen Texte, die mit viel Detailversessenheit verraten, dass er im Rap geschult ist, bleiben dennoch das wichtigste Charakteristikum der Band. Ein Lied wie Reparieren zeigt das: Da hat sich offensichtlich ein Ausflug in den Baumarkt kurz nach dem Ende einer Beziehung als lyrisch sehr inspirierend erwiesen.
Neu ist, dass OK Kid bei aller Leichtigkeit der Musik und trotz des erheblichen Spaßfaktors, der in Sensation steckt, nun auch eine politische Botschaft haben. Viele Passagen des Albums deuten das an, in Warten auf den starken Mann wird es explizit. „Meine weichen Knie brauchen eine starke Hand“, meint der Wutbürger, den sie darin zum Protagonisten gemacht haben. Auch hier beeindruckt die Sensibilität, mit der sie sich dem Thema genähert haben, unter anderem auch mit einem persönlichen Besuch in Freital. Die Band bezieht in diesem Song eine klare Position, lässt die Position der Pegida-Verblendeten kein bisschen akzeptabel erscheinen, macht sich aber niemals über sie lustig. „Wir müssen die Dinge aussprechen, die uns beschäftigen und wollen eine Haltung transportieren“, beschreiben OK Kid ihr neues Sendungsbewusstsein. Das ist eine gute Entscheidung – keine Frage.