Keine Frage: OMD hätten mit ihrem Comeback eine Menge kaputt machen können. Gerade jetzt, wo sie dank Hurts, The XX oder den Killers wieder cool sind, hätten sich Andy McCluskey und Paul Humphreys eigentlich gemütlich zurücklehnen können, den Nachgeborenen wohlwollend zunicken und die Anerkennung und Nostalgie genießen, die sich um das Werk von OMD seit einiger Zeit neu entspinnt.
Doch das tun sie nicht. Stattdessen raufen sich OMD 21 Jahre nach ihrer Trennung wieder zusammen, nehmen ein neues Album auf und spielen sogar wieder Konzerte – und setzen damit alles aufs Spiel.
Doch der gestrige Abend war der beste Beweis, dass sie genau wissen, was sie tun. Und trotzdem keine Angst davor haben, mit Anfang 50 noch einmal auf Tour zu gehen, pro Abend drei weiße Hemden durchzuschwitzen (Andy) und mit freundlichem Lächeln auch die OMD-Hits mitzuspielen (Paul), mit denen man eigentlich gar nichts zu tun hatte, weil OMD Anfang der 1990er praktisch nur noch aus Andy bestanden.
Doch die Sorge, den eigenen Ruf zu ruinieren, ist unbegründet. Schließlich sind OMD eine Band, die genug Hits geschrieben hat, um eine komplette Chart-Show von Olli Geissen ganz alleine zu füllen. OMD können 14 Jahre nach dem letzten Album mühelos dafür sorgen, dass das Haus Auensee krachend voll ist – mit Fans der ersten Stunde, die ausflippen, wenn Electricity auch nur angesagt wird, mit solchen, die fast 15 Jahre später die Radiohits Pandora’s Box und Sailing On The Seven Seas, an diesem Abend im Doppelpack direkt hintereinander gespielt, lieben gelernt haben, und mit einem Oranje-Block direkt vor der Bühne, der sich gerade erst mit T-Shirts des neuen Albums History Of Modern eingedeckt hat.
Es ist von Anfang an ganz klar, was die Fans wollen: Alles soll so klingen, wie sie es aus dem Radio kennen, wie früher. Und Andy McCluskey beweist an diesem Abend in Leipzig, dass er die Stimme der 1980er ist. Niemand, auch nicht Madonna, die Pet Shop Boys oder Michael Jackson, verkörpern den Sound (bei So In Love With You gibt es sogar ein Saxofon-Solo), die Ästhetik und den Geist dieser Ära so sehr wie er. Mit weißem Bass und weißem Hemd dominiert er die Bühne, lacht über seine eigenen deutschen Ansagen – und macht nebenbei deutlich, dass er auch den schrägen Tanzstil erfunden hat, der 20 Jahre später zum Markenzeichen von Alan Donahue (The Rakes) geworden ist.
Tesla Girls wird das erste Highlight, Paul darf dann beim bezaubernden Forever Live And Die singen. Nach einer fantastischen Version von Maid Of Orleans jubeln die Fans minutenlang – und so etwas wie ehrliche Fassungslosigkeit zeichnet sich in Andys Gesicht ab. Das Beeindruckendste: Direkt danach spielen OMD New Holy Ground, einer der Höhepunkte auf dem aktuellen Album – und es ist in keiner Weise ein Abfall in punkto Qualität, Spannung oder Intensität. „Als wir mit History Of Modern angefangen haben, wollten wir den definitiven OMD-Sound hinbekommen, und den haben wir auf unseren ersten vier Alben geschaffen. Das war der Bezugspunkt, aber zugleich sollte es modern bleiben. Wir wollten keine nostalgische Retro-Platte machen“, hatte mir Andy vor ein paar Wochen im Interview erklärt – und live zeigt sich erst in vollem Maße, wie gleichrangig und gelungen History Of Modern sich tatsächlich ins Werk von OMD einfügt.
OMD wissen das, sie liefern grandioses Entertainment mit perfektem Sound und sind sichtbar stolz darauf. Nach dem frenetisch gefeierten Locomotion kündigt Andy ganz selbstbewusst an: „This is a new song. But it’s fantastic.“ Es folgt Sister Mary Says – in der Tat noch besser als auf Platte. Enola Gay macht den Schluss, und sorgt für Nuklearenergie der angenehmen Art im Haus Auensee. Noch bevor der Backing-Track ganz ausgeblendet ist, verlangen die Fans in Leipzig schon nach einer Zugabe.
Die bekommen sie dann auch: Die Comeback-Single If You Want It ist der erste Nachschlag – noch ein Beweis für das Vertrauen, das OMD in ihr aktuelles Material haben. Es folgt Electricity, Andy schaut während des Songs wie zum Spaß auf die Uhr – und dann machen OMD tatsächlich nach fast genau 90 Minuten Schluss. Sie versprechen aber: „We’ll be back.“ Wir auch.
Party like it’s 1983: OMD spielen Maid Of Orleans live im Haus Auensee in Leipzig:
httpv://www.youtube.com/watch?v=7bvB122DtMo