Otis Redding & Friends – „Sittin‘ On The Dock Of The Bay – In Concert“

Künstler*in Otis Redding & Friends

Otis Redding Sittin' On The Dock Of The Bay - In Concert
Tolle Musik in Ramsch-Format – so lässt sich diese DVD zusammenfassen.
DVD Sittin‘ On The Dock Of The Bay – In Concert
Label All Stars
Erscheinungsjahr 2005
Bewertung

Um ein Haar wäre diese DVD eine Weltsensation. Schließlich steht auf der Vorderseite der Hülle Sittin‘ On The Dock Of The Bay, es war der größte Hit für Otis Redding, auch im Tracklisting der hier enthaltenen 17 Songs ist das Stück benannt. Und auf der Rückseite steht „In Concert“. Dabei hat Otis Redding das Lied, das mit zwei Grammys ausgezeichnet wurde, nie auf einer Bühne gespielt. Denn er hat es erst Ende November 1967 gemeinsam mit seinem Gitarristen Steve Cropper geschrieben. Am 7. Dezember 1967 ging Redding, damals 26 Jahre alt und trotz wachsenden Erfolgs in den R&B-Charts noch nicht richtig im amerikanischen Mainstream angekommen, noch einmal ins Studio, um weitere Spuren für das Lied einzuspielen. Drei Tage später kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

Es gibt also keine Live-Aufnahme seines größten Hits, weder im Ton noch im Bild. Bezeichnenderweise findet sich auf der DVD dann auch nur die Studioaufnahme, untermalt von einer Diashow mit Fotos des legendären Soul-Sängers. Diese Mogelpackung passt zu dieser Veröffentlichung: Im Bonusmaterial gibt es eine kurze Biographie von Otis Redding, sie erwähnt die zahlreichen posthumen Veröffentlichungen und gibt die Einschätzung, dass diese „not purely exploitative in nature“ waren. Hier ist man in puncto Leichenfledderei aber hart an der Grenze, womöglich auch im Hinblick auf das Urheberrecht. Denn woher die Live-Performances stammen, die es hier dann doch noch zu sehen gibt (elf davon in schwarz-weiß), wird nirgends erwähnt. Auch Credits zu Kameraleuten, Regie, Tontechnik oder dergleichen sucht man vergebens. Zwar werden manchmal Zusatzinfos zu Künstlern oder Songs per Laufband eingeblendet, aber der Kontext fehlt ebenso wie eine historische Einordnung. Nicht zuletzt gibt es leider oft sehr abrupte Schnitte, sodass Songs und Ansagen nicht ganz vollständig enthalten sind.

Wer mit dem Werdegang von Otis Redding vertraut ist, findet hier dennoch erstens sehr gute Musik und zweitens historisch wertvolle Konzertmomente in brauchbarer Ton- und Bildqualität. Denn der erste Block dieser DVD fängt Bilder der Stax-Volt-Revue aus dem Jahr 1967 ein. Die beiden Plattenfirmen brachten damit ihre großen Stars erstmals nach Europa, um auch den hiesigen Markt zu erschließen. Das war eine durchaus spannende Konstellation: Viele der Soul-Acts hatten zuhause in den USA noch mit Rassimus und Diskriminierung zu kämpfen. In Europa, insbesondere in England, wo gleich elf Konzerte im Rahmen dieser Tour stattfanden, waren sie hingegen die sagenumwobenen Gestalten, von denen Beat-Stars wie die Rollings Stones, die Small Faces oder die Animals so ausgiebig schwärmten. Nun gab es für ihre Fans in der Alten Welt erstmals die Gelegenheit, diese Künstler in Fleisch und Blut zu erleben.

Wie spektakulär dieses Zusammentreffen war, zeigen die vier Songs von Otis Redding, die es hier gibt: Shake macht den Auftakt, ist irre energisch und am Ende nichts weniger als ekstatisch. Seine Coverversion von (I Can’t Get No) Satisfaction bekommt zwischendurch einen Part verpasst, der beinahe ein Scat ist. Try A Little Tenderness wird trotz seines Titels vollkommen wild, am Ende stehen die zuvor beim Konzert noch sitzenden Fans auf und stürmen in Richtung der Bühne. Es ist beinahe unfassbar, dass sie sich überhaupt so lange auf ihren Stühlen halten konnten, denn was hier musikalisch geboten wird, ist atemberaubend. Die Begleitband von Otis Redding besteht nämlich aus Booker T. & The MG’s, also Booker T. Jones (Keyboards), Steve Cropper (Gitarre), Donald Dunn (Bass) und Al Jackson Jr. (Drums). Dazu kommen drei Bläser, von denen zwei (Wayne Jackson und Andrew Love) später die legendären „Memphis Horns“ bilden sollten. So viel Soul-Extraklasse dürfte selten auf so wenigen Quadratmetern zusammen gekommen sein.

Redding nutzt seinen Platz auf der Bühne für ein paar Tänzchen (man sieht, dass er bei einem Show-Talent wie Little Richard in die Lehre gegangen ist), das wichtigste optische Element seiner Performance ist aber sein strahlendes Lächeln. Und natürlich glänzt seine Wahnsinnsstimme, die kraftvoll und fordernd sein kann, ebenso sanft und einschmeichelnd wie in My Girl. Wenn die Kamera gelegentlich das Publikum zeigt, sieht man sehr schicke junge Leute, es wird Luftgitarre und -Schlagzeug gespielt und viel geklatscht – aber bezeichnenderweise nur selten mitgesungen. Das könnte an der Sprachbarriere liegen (angeblich wurden während der Tour damals TV-Aufnahmen von einem Auftritt in Oslo gemacht, womöglich stammt das hier zu sehende Material daher) oder einfach an der Tatsache, dass es kaum jemand wagt, bei diesem Gesang mitzuhalten.

Nach dem schon erwähnten Sittin‘ On The Dock Of The Bay aus der Konserve sind die „Friends“ von Otis Redding an der Reihe, ihre Auftritte sind ebenfalls der Stax-Volt-Revue entnommen. Arthur Conley singt das gemeinsam mit Redding komponierte Sweet Soul Music und konnte damals noch nicht ahnen, dass es sein einziger Hit bleiben würde. Booker T. & The MG’s spielen ihr instrumentales Green Onions. Sam & Dave sind mit drei sagenhaften Songs vertreten, insbesondere Hold On I’m Coming wird eine umwerfende Performance. Dass danach auch ein TV-Auftritt von Sam Cooke mit You Send Me hereingeschummelt wird, passt zum Ramsch-Charakter dieser DVD: Der Song hat keinerlei Bezug zu Otis Redding, Sam Cooke war nicht einmal ein Stax/Volt-Künstler. Genauso ärgerlich ist die Tatsache, dass ganz am Ende der Righteous-Brothers-Song Soul And Inspiration von einer obskuren Gruppe namens Soul Brothers im Billig-Sound dargeboten wird, erneut begleitet von einer Slideshow mit Fotos von Otis Redding.

Davor gibt es indes noch weitere lohnende Momente, nämlich fünf Songs seines legendären Auftritts beim Monterey Pop Festival 1967 (was man auch nur verorten kann, weil der Schriftzug „Monterey“ einmal kurz am Bühnenrand zu sehen ist). Redding sprüht hier vor Charme (Try A Little Tenderness widmet er „all den Miniröcken da draußen“, die Kamera zeigt entsprechend viele junge Mädchen und knutschende Pärchen in der Menge) und Energie, die Band ist glänzend aufgelegt, das Publikum begeistert. Viele waren sich damals einig, dass Otis Redding mit diesem Auftritt den Durchbruch beim (vornehmlich weißen) Pop-Publikum geschafft und ein neues Level seiner Karriere erreicht hätte. Auch diese Prognose machte der Flugzeugabsturz zunichte.

Ausschnitte der Stax-Volt-Tour 1967 mit Otis Redding.

Der NDR zeigt die Story hinter Sittin‘ On The Dock Of The Bay.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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