Künstler*in | Pabst | |
Album | 1, 2, 3, Go! (Live in Berlin) | |
Label | Ketchup Tracks | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung | Bandfoto oben: (C) Fleet Union / Emilia Spitale |
Man kann sich fragen, warum man in diesen Zeiten noch Konzerte besuchen soll, auch wenn die Bühnen-Qualitäten einer Band so sehr gepriesen werden wie bei Pabst. Schließlich gibt es all das doch auch bequem bei Insta und YouTube (das gilt auch für die hier versammelten Songs), bei wirklich herausragenden Livebands darf man davon ausgehen, dass sie irgendwann ein Livealbum machen (so auch hier), und womöglich kann man bald schon bei den ersten Acts mit Virtual-Reality-Brille ins Moshpit eintauchen.
Die Antwort ist allerdings ganz einfach: Es ist einfach nicht dasselbe. Eine Konserve kann niemals ein Live-Erlebnis ersetzen, auch nicht sonderlich nah herankommen. Denn nur, wenn man bei so einer Show vor Ort ist, kann man das erleben, was die amerikanische Autorin Barbara Ehrenreich in ihrem Buch Dancing In The Streets – A History Of Collective Joy „das Wunder unserer gleichzeitigen Existenz“ nennt. Man weiß, dass jeder Moment in einem Konzert einmalig ist, egal wie oft die Band einen Song schon gespielt hat oder wie sehr sich die Setlist von Abend zu Abend gleicht. Es ist eine hoch exklusive Angelegenheit, genau diese eine Performance erleben zu dürfen. Zugleich teilt man diesen Moment mit vielen Gleichgesinnten, und er wird dadurch seltsamerweise nicht weniger exklusiv, sondern noch wertvoller.
Pabst können diesen Effekt sicher bestens nachvollziehen, schließlich hat das Trio aus Berlin bereits mehr als 200 Konzerte zusammen gespielt, obwohl die Covid-19-Pandemie ihnen immer wieder in die Quere kam. Zuletzt kamen auch Auftritte bei internationalen Festivals und Shows im Vorprogramm von Billy Talent dazu, womit sich Pabst als der wohl derzeit heißeste deutsche Rock-Export fühlen dürfen. Dass sie das gestern veröffentlichte 1, 2, 3, Go! (Live in Berlin) auch als erste internationale Visitenkarte ihres Katalogs gewählt haben (Alcopop! Records wird die Platte auch in Großbritannien auf den Markt bringen), unterstreicht ihr eigenes Vertrauen in ihre Live-Qualitäten.
Aufgenommen wurden die Songs im September 2022 beim Heimspiel im Berliner Lido, und natürlich vermittelt 1, 2, 3, Go! dann doch einen sehr guten Eindruck davon, wie sich ein Pabst-Konzert anfühlt. Die Band verbindet Highlights der beiden Alben Deuce Ex Machina (2020) und Crushed By The Weight Of The World (2022) mit einigen Frühwerken und Überraschungen, sie erlaubt sich im Zweifel lieber Fehler und Lücken, Aussetzer und Ausraster als nach Perfektion zu streben, und sie lässt sich und den Fans kaum einen Moment zum Luftholen.
Forever OK eröffnet das Livealbum mit der für Pabst typischen Fuzz-Gitarre von Erik Heise, dessen Gesangsstimme hier irgendwo zwischen Liam Gallagher und Brian Molko anzusiedeln ist. Alles in diesem Song will nach vorne, nach oben, auf jeden Fall in den roten Bereich – das Ergebnis würde auch zu den Charlatans passen, wenn die mal völlig ausflippen würden. Das Riff von Ibuprofen ist großartig, aber ebenso irre wird, was Tore Knipping am Schlagzeug macht: Die Felle seiner Trommeln werden so malträtiert, dass sie danach sicher selbst Schmerzmittel brauchen werden. Kiss Me (im Original von Sixpence Non The Richer) ist weiterhin eine höchst überraschende Coverversion, der Bass von Tilman Kettner trägt darin ebenso viel zum Charme bei wie das am Ende schön schief mitsingende Publikum.
Skinwalker (von der gleichnamigen EP aus dem Gründungsjahr von Pabst, also 2016) vereint den Dreck von Kings Of The Leon mit der Wucht der White Stripes – und hat die Sexyness von beiden. Never Again beweist das Talent für Melodie und sogar Finesse, das man hier immer wieder entdecken kann – so würden die Strokes vielleicht klingen, wenn ihre Energie nicht aus Drogen und Ehrgeiz käme, sondern tatsächlich aus der Garage. Mercy Stroke klingt, als wären Leoniden in ein Fass voller Testosteron gefallen, bei Crushed steuert Oyèmi Noize (Sängerin von Jaguwar) die zweite Stimme bei, wodurch unterstrichen wird, dass Pabst unbedingt konstruktiv sein wollen und für Hoffnung, Miteinander und den Glauben an die Veränderung zum Guten stehen, und zwar durch Gemeinschaft.
Shake The Disease, so etwas wie der Hit dieser Band, hat ebenfalls diese Botschaft, bleibt auch auf 1, 2, 3, Go! (Live in Berlin) ein sehr starker Song, man hört dieser Version aber ein wenig an, wie oft Pabst ihn in der jüngeren Vergangenheit schon gespielt haben. Die Interpretation ist natürlich nicht lustlos, hätte aber ein bisschen mehr Präzision vertragen können. Dafür zeigt Accelerate (eine Single vom 2018er Album Chlorine) prototyisch die Stärken der drei Berliner: Das Lied ist eine Urgewalt, aber kein bisschen plump. Ein bisschen Feedback, ein kurzer Schlag aufs Ride-Becken oder das komplette Herunterfahren und wieder Hochfahren im Stoner-Rock-Modus – solche Details, die zudem auch noch durchweg im genau richtigen Moment eingesetzt werden, machen das möglich.
Die Vinyl-Edition des Livealbums enthält mit Daddy’s Boy noch einen Bonustrack, der ebenfalls zeigt: Die Energie von Pabst ist oft bejubelt worden, aber sie können auch komplex, sensibel und sogar gewagt klingen. Dass die analogen Hörer*innen mit einem zusätzlichen Stück belohnt werden, ist übrigens ein doppelter Mehrwert. Denn neben dem zusätzlichen Song gibt es auch angenehmere Rezeption, wie Untersuchungen an der TU Berlin nachgewiesen haben: Das Hören digitaler Musik bedeutet für uns Stress, durch den negative Emotionen ausgelöst werden. Denn beispielsweise fürs Streaming werden Musikdateien komprimiert, indem Klangbereiche entfernt werden, die keinen Einfluss auf die bewusste Wahrnehmung der Musik haben. Das menschliche Hirn versucht aber offensichtlich, diese weggeschnittenen Bestandteile beim Hören wieder zu rekonstruieren. Es arbeitet ständig, um diese Lücken zu füllen. „Das führt zu einer verringerten Aufmerksamkeit, lässt den Rezipienten schneller ermüden und kann auch zu Stress führen“, sagt Jan-Niklas Antons, der an einer Studie dazu beteiligt war, im Gespräch mit der Zeit. „Wer sich lange Zeit digitaler, stark komprimierter Musik zum Beispiel im MP3-Format mit niedriger Bitrate aussetzt, dürfte (…) ermüden und emotional negativ reagieren.“ Dann also lieber rosa Vinyl, Pabst und volle Lautstärke. Oder eben das echte Erlebnis, das es bald auf vielen Festivals und ab Herbst auch im Rahmen einer eigenen Tour geben wird, die am 16. Dezember in Leipzig im UT Connewitz endet.