Parov Stelar – „The Burning Spider“

Künstler Parov Stelar

The Burning Spider Parov Stelar Kritik Rezension
Blues statt Swing dominiert „The Burning Spider“.
Album The Burning Spider
Label Etage Noire Recordings
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Es muss am Selbstvertrauen liegen, oder am Respekt. Wo Parov Stelar früher schon reichlich Stimmen sampelte, um sie dann stark bearbeitet in seinen Sound zu integrieren und lediglich im Booklet auf die ursprüngliche Quelle zu verweisen, gibt es auf seinem aktuellen Werk The Burning Spider bei neun von zwölf Tracks ein „feat.“, nach dem der jeweilige Sänger gleich im Titel benannt ist. So entstehen ulkige Konstellationen wie Parov Stelar (geboren 1974) feat. Lightnin Hopkins (gestorben 1982).

Für die Variante mit dem Respekt spricht nicht nur das hohe Alter der hier zu hörenden Künstler, sondern auch die Tatsache, dass etliche von ihnen das Fundament für fast alles gelegt haben, was wir heute in der Popmusik kennen: Viele Blues-Veteranen sind auf The Burning Spider zu hören, oft wird ihr Gesang kaum bearbeitet, sondern bloß um neue Musik ergänzt. Im Sound von Parov Stelar, der bisher vor allem auf Versatzstücke aus Swing und Jazz gesetzt hatte, sind die Stimmen der uralten Männer und Frauen neue und erfrischende Elemente.

Für die Variante mit dem Selbstvertrauen hätte der Mann, der eigentlich Marcus Füreder heißt und als Erfinder des Genres „Electro Swing“ gilt, ebenfalls brauchbare Argumente: Im internationalen Maßstab ist er momentan Österreichs erfolgreichster Musiker. Auch in der Heimat macht ihm keiner was vor: The Burning Spider erreichte dort, ebenso wie der Vorgänger The Demon Diaries (2015), Platz 1 der Charts.

Der Titelsong gleich zu Beginn des Albums bietet eine von zwei „Kollaborationen“ mit Lightnin Hopkins, der hier nicht nur mit seiner Stimme, sondern auch mit seiner Mundharmonika vertreten ist. Für den Clash der Kulturen (und Genres) sorgen Klavierakkorde wie aus dem Zeitalter des Proto-House und Quasi-Disco-Streicher. Auch in My Man bedient sich Parov Stelar beim Blues-Großmeister. Während der zusätzliche Bass für eine Funk-Prägung sorgt, will der Gesang nichts von Tanzen wissen und bleibt ganz in sich versunken.

Im Soul Fever Blues gibt es nicht nur den Gesang von Muddy Waters, sondern auch ein markantes Klaviersample, dazu einen zielgerichteten Beat und einen Sound, der noch für das Abspielen auf einem Grammophon gemacht worden zu sein scheint: Dieses Rezept kennt man auch von Moby. Stuff Smith bekommt das „featuring“ in Mama Talking ab, den Song kann man während der ersten paar Takte für Shantels Disko Partizani halten, dann fallen die gesamten Roaring Twenties darüber her.

Gleich dreimal ist Anduze als Sänger zu hören, ein alter Wegbegleiter von Parov Stelar. Die Größe des Sounds von All Grown Up entspricht der Größe des Versprechens von ewiger Liebe, mit nur kleinen Änderungen würde dieser Track auch zu jemandem wie R. Kelly passen. Beauty Mark wird eine schöne und sanfte Liebeskummer-Ballade. State Of The Union äußert tatsächlich so etwas wie Gesellschaftskritik (unter anderem mit der Zeile „Radio don’t play music anymore“), wenn auch zu einem Sound, den Village People problemlos ins Herz schließen könnten.

Ganz allein agiert Parov Stelar in Everything Of My Heart, das Ergebnis ist vergleichsweise schwermütig mit verträumter E-Gitarre und gedämpfter Trompete. In Step Two hat seine Ehefrau Lilja Bloom einen Gastauftritt, der Song fällt ebenfalls etwas aus der Reihe, den er ist im Prinzip ganz normaler, lebendiger und einnehmender Elektropop, der zu einer Girlgroup passen würde oder zu Kylie oder Sophie Ellis-Bextor.

Cuba Libre (ft. Mildred Bailey) leitet dann eine als „Swing Special“ zusammengefasste Trilogie am Ende von The Burning Spider ein. Der Song ist zwar schmissig, aber vollkommen erwartbar, bis hin zum Trompetensolo. Wenn man jemandem erklären müsste, was Electro Swing ist, könnte man ihm auch guten Gewissens Black Coffee vorspielen – und ziemlich sicher sein, dass er dabei zu tanzen anfängt. Ganz am Ende gibt es in The Ride zwischendurch ein wenig „Ladada“ und im Refrain ein „Bang“, sonst aber keinen Gesang – der Song zeigt, dass dieses Konzept auch instrumental funktioniert.

Rundum glücklich macht Parov Stelar hier dennoch nicht. Trotz der neuen Komponenten sind die Beats zu einfach, Überraschungen gibt es schon gar nicht. Dass seine Musik auf reichlich Compilations vertreten ist, ebenso wie sie gerne in TV-Shows, Serien, Spielfilmen und Werbespots eingesetzt wird, zeigt: Es ist Gebrauchsmusik, die das Bild einer längst vergangenen Epoche hervorrufen und zum Tanzen anregen soll – aber damit ist sie eher fürs Single-Format geeignet denn für Albumlänge.

Ein paar Hintergründe zum Album als Video.

Website von Parov Stelar.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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