Paula Irmschler – „Superbusen“

Autor Paula Irmschler

Paula Irmschler Superbusen Rezension Kritik
„Superbusen“ ist witzig, aber nicht dauer-ironisch.
Titel Superbusen
Verlag Claassen
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Ich liebe Gisela. Gemeint ist damit der angeblich in Leipzig erfundene Schnaps, der (wenn man Glück hat) zur Hälfte aus Wodka und zur Hälfte aus Limettensaft besteht. Vom sehr häufigen Genuss dieses Getränks hat Gisela ihren Spitznamen erhalten, die Ich-Erzählerin in Paula Irmschlers Debütroman Superbusen. Die Voraussetzungen stehen eigentlich gut, dass ich auch diese Gisela lieben sollte. Erstens ist sie ein riesiger Popmusikfan (schon auf der zweiten Seite des Buchs wird zum ersten Mal ein Song erwähnt, und zwar von Beyoncé), zweitens mag ich Paula Irmschler sehr gerne (beispielsweise ihre Kolumne im Musikexpress und noch mehr ihren Twitter-Account), drittens geht es im Roman um das Ankommen zum Studium in einer sächsischen Stadt und das Gründen einer Band, also Erlebnisse, die auch meine eigene Biografie sehr geprägt haben.

Die Frage, warum ich mit der Gisela aus diesem Buch nicht so richtig warm werde, soll später geklärt werden. Zuerst ein paar Eckdaten: Paula Irmschler wurde 1989 in Dresden geboren, ging 2010 zum Studium nach Chemnitz, danach war sie vor allem als Kolumnistin tätig, mittlerweile ist sie Titanic-Redakteurin. Superbusen ist ihr erster Roman, wurde von Linus Volkmann gelobt als „der Poproman, den man nicht mehr für möglich gehalten hatte“ und von MDR Kultur als „ein mitreißendes, ein stellenweise sehr komisches, ein zärtliches Debüt, das wahrhaftig vom Leben in gegenwärtigen Zeiten erzählt“.

Der Plot weist große Parallelen zum Leben der Autorin auf: Die Ich-Erzählerin kommt aus Dresden, geht zum Studium nach Chemnitz, landet dann in Berlin. Von dort kehrt sie in ihr altes WG-Zimmer zurück, das sie in Chemnitz immer noch hat, weil sie dort an einer Demo gegen Neonazis teilnehmen möchte, die alten Freundinnen wiedersehen will und weil es mit ihrem Freund in Berlin nicht so richtig rund läuft. Der Trip in die Vergangenheit dauert länger als gedacht, mit ihren Freundinnen Meryam, Jana und Fred gründet sie schließlich die Band „Superbusen“ und geht auf eine Mini-Tour quer durch die Republik.

Auch diese Zusammenfassung klingt eigentlich wie eine Steilvorlage für ein Lieblingsbuch. Superbusen ist Popliteratur, und zwar links, ostdeutsch, Working Class und weiblich. Eine Generation nach Benjamin von Stuckrad-Barres Soloalbum geht es auch hier wieder um Musik und Party, um Liebeskummer, Erwachsenwerden, Figurprobleme und Geldmangel. So verlockend diese Parallele (und dieses Etikett) ist, so irreführend könnte sie indes auch sein. Finanzielle Nöte entspringen hier nicht Verschwendung und Unvernunft wie beim Mittelschicht-Protagonisten in Soloalbum, sondern dem Aufwachsen in prekären Verhältnissen. Die Lieblingsmusik wird nicht als Vinyl-Rarität gesucht, sondern kommt im Zweifel von Radio RSA. Statt arrogant auf die Welt herabzublicken, erlebt die Erzählerin hier immer wieder Momente, in denen sie sich „zu dumm, zu arm, zu faul“ fühlt.

Popliteratur à la Paula Irmschler ist nicht versnobt, sondern solidarisch, arbeitet nicht mit Ironie als permanentem Rückzugsort, sondern setzt auf Bekenntnis, auch der eigenen Unzulänglichkeiten. Das kann das Wissen um die wahrscheinliche Vergeblichkeit sein, in Chemnitz gegen Rechte zu protestieren, deren Präsenz von den meisten anderen in der Stadt geduldet oder geleugnet wird. Das schließt den nicht zu gewinnenden Kampf gegen die eigene Körperlichkeit ein, von Menstruationsbeschwerden bis zur permanenten Bewertung der eigenen Figur durch einen männlich geprägten Blick. Auch im Umgang mit den eigenen Freundinnen lässt die Autorin hier Raum für Defizite, Ängste, Enttäuschungen und Grenzüberschreitungen. Ihre Popliteratur ist, wie es die hoch verehrte Stephanie Bremerich bei Kritisch lesen geschrieben hat, „nicht Dandy, sondern Antifa, nicht Schampus, sondern Sterni, nicht hochgezogene Augenbraue, sondern geballte Faust, nicht Berlin, sondern Chemnitz, nicht Pose, sondern Punk.“

Das Beste an diesem oft sensiblen und klugen Roman ist deshalb sein Plädoyer für Zusammenhalt. Die stärksten Passagen betrachten Liebeskummer, Mechanismen des Selbstzweifels oder Giselas kurzes Glück im Kreise anderer Frauen. Als die Idee entsteht, gemeinsam Musik zu machen und aufzutreten, ist ihr „egal, ob es eine Band würde, ich wollte ganz einfach, dass wir uns nie wieder trennen“. Als sie versucht, sich nach der Rückkehr nach Chemnitz mit Fred wieder auf den neusten Stand zu bringen, lautet das Gefühl: „Ich will eigentlich nicht auf diese Weise mit meiner Freundin reden, ich hasse diesen Updateaustausch, wo es nur um das ganz große Ding geht, man alles auf einer Metaebene betrachten und einordnen muss. Wo man liefern muss. Wo man ein Fazit ziehen muss. Ich will ganz normal reden, wie wir früher geredet haben.“ So wird auch deutlich, wie wenig es in Superbusen um Frauenfreundschaften à la Carrie Bradshaw (ebenfalls Kolumnistin!) geht.Die Freundinnen sind nicht Publikum oder Messlatte. Statt Wettbewerb, Gefallsucht und Oberfläche ist hier eine tiefe Verbindung zu spüren, die ebenso auf sehr individuellen, geteilten Erlebnissen beruht wie auf dem Wissen der kollektiven Diskriminierung, die alle Frauen erfahren.

In diesem Kern liegt wohl auch meine kleine Enttäuschung begründet. Manches in diesem Roman ist ein bisschen zu viel Nabelschau, die Figuren jenseits der Ich-Erzählerin bleiben blass. Auch der Plot gibt letztlich nicht viel her. Superbusen bietet viele interessante Gedanken, aber das Leben, aus dem hier erzählt wird, ist nicht sonderlich spektakulär. Vor allem aber musste mein Versuch scheitern, mich mit Gisela zu identifizieren. Ich hatte gerne während der Lektüre mit ihr gelitten und gebangt, gelacht und gelärmt. Doch dafür ist der Blick der Autorin ein zu spezifisch weiblicher. Hat man das einmal erkannt, ist das natürlich kein Nachteil, auch nicht für Männer. „Paula Irmschler lesen ist wie Saufen mit der besten Freundin, aber ohne Kater. Magisch“, hat etwa Margarete Stokowski geschrieben, und es fällt leicht, diese Begeisterung nachzuvollziehen.

Auch ein weiterer Kritikpunkt hat nur kurz Bestand: So unterhaltsam Superbusen ist und so viel Spaß auch die popkulturellen Referenzen machen, so wenige Passagen bietet der Roman, die literarisch reizvoll sind. In einer der wenigen Ausnahmen schildert Paula Irmschler die Phase, wenn man nach einer langen Partynacht (oder einer aufreibenden Nachtschicht) nach Hause kommt, aber nicht direkt ins Bett geht, „diese letzte Stunde, das letzte Aufbegehren des Gehirns, bevor man dann doch in die Kissen stürzt. (…) Es ist das Hören von alten Lieblingssongs. Das Lesen sehr alter Nachrichten. Es ist Größenwahn. Es ist Bodenhaftung. Es ist die Rückkehr ins Kinderzimmer (…) Diese Stunde zählt nicht, es ist die Stunde der Anarchie, alles ist erlaubt und alles wird gefühlt. Es ist die egale Stunde. (…) Man kann alles behaupten, weil niemand hinsieht. Autos fahren nur der Geräusche wegen am Haus vorbei, es sitzt niemand in ihnen. Man selbst ist auch nur ein Flackern.“

So viel Esprit und Poesie findet man sonst kaum in diesem Buch, schon gar nicht ist Superbusen brillant und gewitzt wie die Texte von Benjamin von Stuckrad-Barre. Womöglich ist aber auch dies Absicht und trägt letztlich die Botschaft: Wer aus der Perspektive von Paula Irmschler schreibt, kann (und will) sich Brillanz und geistreiches Schwadronieren ebenso wenig leisten wie Ironie. Trotz meiner Annäherungsprobleme an ihre Protagonistin ist es dieser Fokus, der das Besondere von Superbusen ausmacht. Es ist am Ende nicht der Stil, nicht der Kontext und nicht der Plot, der diesen Roman trägt. Sondern Gisela.

Bestes Zitat: „Man kann ewig verliebt bleiben, wenn es kein Schlussmachszenario gibt und keinen Tusch, wenn es sich immer wieder ein- und ausfadet. Wenn man nicht in einer jahrelangen Beziehung ‚alles versucht hat‘. Es kann aber auch sehr schmerzhaft sein, der Liebeskummer kann ewig dauern, weil man um alles trauert, was vielleicht hätte sein können, um jeden Traum, jede Fantasie, und für immer besteht ein bisschen Hoffnung und Sehnsucht nach etwas, was man nicht bis zum Ende durchgespielt hat.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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