Per Gessle’s Roxette, Haus Auensee, Leipzig

Per Gessle's Roxette Haus Auensee Kritik
Viele Hits aus dem Roxette-Katalog und einige Solosongs bringt Per Gessle nach Leipzig.

Es gibt ein Foto von Per Gessle aus dem Jahr 1980, als er sich erstmals als Songwriter für andere Künstler versucht hatte. Der Sänger Lasse Lindblom sang beim schwedischen Vorentscheid zum Grand Prix d’Eurovision das Lied För dinna bruna ögons skull. Er landete mit der Komposition aus dem Hause Gessle auf dem letzten Platz, trotzdem lagen sich die beiden danach in den Armen. Erhellend dabei aus heutiger Sicht: Bei diesem Auftritt trug Lindblom ein T-Shirt von The Knack. Eine Vorliebe für diese US-Band hat Gessle, damals 21, heute 59 Jahre alt, offensichtlich beibehalten. Denn deren größter Hit, My Sharona, läuft als Pausenmusik in Leipzig, als der sympathische Anheizer Lee MacDougall sein Set beendet hat und für das erste Deutschlandkonzert von Per Gessle’s Roxette kurz umgebaut wird.

In dieser Pause sind auch Johnny And Mary von Robert Palmer, Headache von Frank Black oder Under My Thumb von den Rolling Stones zu hören. Diese Songs halten nicht nur das Publikum im Haus Auensee bei Laune. Sie zeigen auch, ebenso wie die Szene aus dem Jahr 1980, wie sich Per Gessle selbst versteht: Als ernsthafter Songwriter, zuständig für eingängige Rocksongs, auch mit dem Begriff „Powerpop“ könnte er sich wohl anfreunden. Dieses Metier hat er schon vor 40 Jahren mit seiner Band Gyllene Tider ausgelebt, zuletzt vor allem auf seinen Soloplatten, auf Schwedisch und Englisch. Das gerade erst veröffentlichte Album Small Town Talk zeigt ebenfalls dieses Streben nach Anerkennung: Aufgenommen hat es Per Gessle mit lokalen Musikern in Nashville, zu den Mitstreitern zählte auch Nick Lowe, einst ein wichtiger Kompagnon von Elvis Costello.

Bei Roxette schlüpfte Gessle schnell in eine andere Rolle. Die Band mit Marie Fredriksson, deren Songschreiber und Sänger er war, verstand er stets als ein Vehikel für Radiopop, gerne mit einer Bubblegum-Komponente, immer am Puls der Zeit und immer auf maximalen Verkaufserfolg orientiert. Das machte die Lieder des Duos oft noch eingängiger, ließ sie (und damit den Komponisten) aber gelegentlich auch infantil erscheinen. Auch die Tatsache, dass er den Sound der Band gerne dem aktuellen Trend anpasste, mal mit etwas Unplugged-Feeling, mal mit mehr Synthesizern, trug dazu bei, dass wohl kaum jemand die Begriffe „Roxette“ und „ernsthafter Songwriter“ in Verbindung bringen würde.

Per Gessle's Roxette Leipzig Konzertkritik
Sängerin Helena Josefsson übernimmt die weiblichen Gesangsparts.

Dennoch steckt natürlich in vielen Liedern der Band ein Element davon, schließlich wurden auch sie von Per Gessle komponiert. Bei der Show in Leipzig kommt dieses Element zum Vorschein. Mehr noch: Es darf in aller Pracht erstrahlen. Die achtköpfige Liveband lässt Geige, Mandoline, Blockflöte und Pedal-Steel-Guitar erklingen, gleich drei Gitarristen sind am Werk, Keyboards bleiben hingegen weitgehend im Hintergrund. Wer noch nie eines dieser Lieder gehört haben sollte (also die letzten 30 Jahre niemals in Hörweite eines Radios kam), wird keine andere Einschätzung treffen können als: Dies ist kein Bubblegum, sondern echte Musik, klassische Songwriterkunst.

The Look eröffnet das Konzert gewohnt kraftvoll, dann gibt es schon die erste Überraschung: Milk And Toast And Honey rückt deutlich in Richtung Country, auch danach vermag es die Band, den Liedern unerwartete Facetten zu entlocken, Frische und Würde zu verleihen. Zu vielen Klassikern aus dem Roxette-Katalog gesellen sich ein paar der Solosongs von Per Gessle, „for good measure“, wie er sagt. The Big L. erweist sich als unerwartete Euphoriespritze, Queen Of Rain wird zauberhaft, I’m Glad You Called klingt plötzlich wie eine Murder Ballad von Nick Cave und Kylie Minogue, How Do You Do wird mit Dangerous zu einem sehr energischen Medley verbunden. Als vierte Zugabe schließt The Sweet Hello, The Sad Goodbye, eine B-Seite, die sich in einen Südstaaten-Shuffle verwandelt hat, einen wundervollen Abend ab.

Per Gessle's Roxette Leipzig Konzert
Mit neuen Arrangements verleiht die achtköpfige Band den Songs neue Frische.

Schnell erkennt man: So hätten Roxette eigentlich immer klingen sollen, statt vermehrt ihr Fähnchen in den Charts-Wind zu hängen, als der Mega-Erfolg zuerst in den USA, dann auch anderswo nachließ. Vor allem im Kontrast zum enttäuschenden letzten Album Good Karma (2016) wird das Konzert in Leipzig so etwas wie die Wiederherstellung der Reputation. Auch wenn etliche der Besucher im Haus Auensee ihre alten Tour-T-Shirts noch einmal rausgekramt haben, sogar eine Joyride-Fahne zu sehen ist, und mit dem Lichterfest in Leipzig am selben Abend eine prominente Konkurrenzveranstaltung mit sehr ähnlicher Zielgruppe stattfindet, lässt der nur zu gut einem Drittel gefüllte Saal erahnen, wie viele Fans ihren Glauben an die Band oder zumindest die Lust auf Live-Nostalgie zuletzt verloren haben. Die Show im Haus Auensee ist stark genug, um diesen Glauben zu erneuern, sie könnte vielleicht sogar den einen oder anderen notorischen Per-Gessle-Hater überzeugen.

Vergleichsweise elegant wird auch das Problem gelöst, dass dies eben nicht Roxette ist (also Per Gessle und Marie Fredriksson). Die Sängerin ist in Folge ihres 2002 festgestellten Hirntumors gesundheitlich nicht mehr in der Lage, auf Tour zu gehen. Es gibt motorische Einschränkungen, auch das Einprägen neuer Texte fällt ihr schwer, hatte Per Gessle mir danach erzählt. Nicht zuletzt hat man nach einer Diagnose, bei der die Überlebensrate nur 5 Prozent beträgt, wahrscheinlich keine allzu große Lust auf eine Konzertreise quer durch Europa. Von Roxette wird es nie mehr eine Tour und wohl auch keine neue Musik mehr geben. Deshalb heißt das Programm nun Per Gessle’s Roxette, die Gesangsparts von Marie Fredriksson übernimmt Helena Josefsson, die schon bei den letzten Tourneen als Backgroundsängerin zur festen Crew gehörte und auch auf den letzten Soloplatten von Per Gessle eine prominente Rolle einnahm.

Per Gessle's Roxette Leipzig Konzert
Christoffer Lundquist ist einer von vier Gitarristen.

Was sie gesanglich bietet, ist nichts weniger als atemberaubend. Zugleich entsteht nie der Eindruck, sie wolle die Person in den Hintergrund drängen, die viele Fans dann wohl doch lieber auf der Bühne sehen würden. Sie trägt ein lila Kleid, ebenso wie die zweite Backgroundsängerin Malin My-Wall. Wenn Per Gessle singt, steht sie artig an der Seite, wenn sie selbst im Fokus steht, blüht sie dafür umso mehr auf. Zur Abgrenzung gegenüber Marie Fredriksson (die am ganzen Abend kein einziges Mal erwähnt wird) erlaubt sie sich immer wieder auch eine eigene Melodieführung, etwa bei Spending My Time, was vielen Songs ebenfalls neues Leben einhaucht. Das ist einerseits ein sehr passender Ersatz für das Original, andererseits gegenüber der abwesenden Marie Fredriksson eine sehr respektvolle Lösung. Für Kontinuität im Verhältnis zur Geschichte dieser Band sorgen auch weitere Beteiligte auf der Bühne: Clarence Öfwermann ist an den Tasteninstrumenten im Einsatz, er war der Produzent der größten Erfolge von Roxette. Als Gitarrist (und größte Rampensau des Abends) fungiert Christoffer Lundquist, seit rund 20 Jahren eng mit der Band verbandelt.

Entsprechend gelöst ist die Stimmung. Per Gessle erzählt ein paar Anekdoten (etwa, dass er Joyride und Spending My Time am selben Tag geschrieben hat), scherzt über einen Abend mit „music for old people“ oder lässt sich von Bassist Magnus Borjeson (ehemals Frontmann der schwedischen Band Beagle) an Details aus den Neunzigern erinnern, bevor (angeblich nur dem Bassisten zuliebe) It Must Have Been Love erklingt.Im Vorwort zum Fotoband En Vacker Bok, das seine 2017er Sommertournee durch Schweden dokumentiert, die er mit der gleichen Besetzung und teils ähnlicher Setlist bestritten hatte, schreibt Gessle, diese Konzerte seien „sowohl notwendig als auch euphorisierend“ für ihn gewesen. Seine Lust auf diese Lieder merkt man auch in Leipzig, sie trägt ebenso wie die kameradschaftliche Atmosphäre auf der Bühne zu einem sehr gelungenen Konzert bei, dessen Fazit lautet: Statt sich in ihre eigene Coverband verwandelt zu haben, entdecken Roxette hier die Schönheit ihrer eigenen Lieder wieder und übersetzen sie für ein neues Zeitalter und ein erwachsenes Publikum.

Die komplette Setlist von Per Gessle’s Roxette in Leipzig:

The Look

Milk And Toast And Honey

Crash Boom Bang

Dressed For Success

She’s Got Nothing On But The Radio

Spending My Time

I’m Glad You Called

Small Town Talk

There’s A Party In My Head (I Hope It Never Ends)

It Must Have Been Love

Opportunity Nox

The Big L

Fading Like A Flower

It Doesn’t Make Sense To Me

How Do You Do/Dangerous

Zugabe 1: Queen Of Rain

Zugabe 2: Joyride

Zugabe 3: Listen To Your Heart

Zugabe 4: The Sweet Hello, The Sad Goodbye

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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