Künstler | Pet Shop Boys | |
EP | Agenda | |
Label | Rough Trade | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Das ist wohl der Friedrich-Merz-Effekt. Der Möchtegern-CDU-Vorsitzende hatte sich ja, als er sich ins Rennen um die Nachfrage von Angela Merkel begab, bekanntlich in einem Interview der Mittelschicht zugeordnet. Trotz eines Jahreseinkommens von mehr als einer Million Euro. So ähnlich scheinen auch die Pet Shop Boys zu ticken. Man darf davon ausgehen, dass Neil Tennant und Chris Lowe nach 100 Millionen verkauften Tonträgern im Laufe ihrer schon fast 40-jährigen Karriere längst Multimillionäre sind. Jetzt singen sie auf dieser neuen EP ein Lied namens What Are We Going To Do About The Rich? – und erstaunlicherweise zählen sie sich darin zum „We“, nicht zum „The Rich“.
Sie haben allerdings eine gute Erklärung dafür. „Wir reden da von den sehr Reichen“, sagt Chris Lowe. „Von den extrem Reichen, Oligarchen und so. Den Superreichen“, präzisiert Neil Tennant. In diese Liga werden auch die Pet Shop Boys nicht mehr vordringen, und sie haben auch gar kein Interesse daran, wie das Lied zeigt. Im Gegenteil: Sie rechnen hier mit diesen Superreichen ab, gekleidet in einen klasse Refrain, Fanfarenklänge und einen höchst eingängigen Sound. Verantwortungslosigkeit, Steuervermeidung, Charity-Alibi – all das kommt an den Pranger.
Mancher wird sich wundern über diese explizit politische Botschaft, die auch die anderen drei Lieder auf Agenda prägt. Wer die Pet Shop Boys nur von Go West oder Always On My Mind kennt, wäre wohl nie auf die Idee gekommen, sie als Protestsänger zu betrachten. Ein etwas genauerer Blick auf ihre Karriere zeigt allerdings: Sie hatten schon immer gesellschaftliche Entwicklungen im Blick und haben sich durchaus auch kritisch dazu geäußert, selbst in ihren größten Hits. Erinnert sei nur an die soziale Kluft zwischen den „East End boys“ und den West End Girls, den Pragmatismus von „I love you, you pay my rent“ oder Being Boring, das man als Reflexion über eine Generation betrachten kann. Selbst ihre Version von Go West nahm, auch wenn das in Fußballstadien und Schwulenbars heute meist vergessen wird, die Ästhetik sowjetischer Propaganda ins Visier und entlarvte sie zugleich.
„Es sind drei satirische Songs und ein eher trauriges Lied, aber sie alle haben im weitesten Sinne politische Themen“, sagt Neil Tennant über Agenda. „Das hat wohl mit den Zeiten zu tun, in denen wir leben.“ Erfreulicherweise zeigen sich die Pet Shop Boys dabei ebenso clever wie aufrecht. Anders als die Super-Reichen haben sie durchaus erkannt, wie ungesund und gefährlich einige aktuelle politische Entwicklungen sind, sie haben mehr im Blick als den eigenen Vorteil. Der Charakter als Statement wird verstärkt durch das Format: Die vier Songs, produziert mit Tim Powell, werden nicht auf dem anstehenden Album sein, sondern liegen der diesjährigen Ausgabe der Pet-Shop-Boys-Annalen Annually bei. Am 12. April werden die Lieder auch als 12-Inch-Vinyl-EP erscheinen.
Der beste dieser vier sehr gelungenen Tracks steht gleich am Anfang und heißt Give Stupidity A Chance. „Es ist eine Satire über die erschütternd geringe Qualität an politischer Führung in der modernen Welt“, sagt Neil Tennant. Die Klugen haben jetzt lange genug das Sagen gehabt, lasst doch mal die Dummen ran – so lautet die ironische Botschaft, zu einer Melodie, die auch für eine Weihnachtssingle angemessen wäre. Wie in What Are We Going To Do About The Rich? werden die Pet Shop Boys auch hier äußert explizit bei ihrem Blick auf Egoismus, Korruption und Rücksichtslosigkeit.
On Social Media „behandelt all die Bedenken, die man gegenüber Social Media nur haben kann”, sagt Neil Tennant. Das Lied könnte im Sound aus den frühen 1990ern stammen (als es freilich noch keine Social Media gab) und zeigt damit, wie zeitlos ihre Ästhetik mittlerweile ist. „While democracy is losing its way / and greed is getting greedier / console yourself with a selfie or two / and post them on social media“, heißt eine der Zeilen über die Netzwerke, in denen genauso viel Banalität wie Macht steckt. The Forgotten Child schließt die EP ab und weicht nicht nur klanglich, sondern auch inhaltlich leicht vom Rest der Agenda ab. Begleitet von Streichern und einem behutsamen Beat erzählt der Song von einem Kind, das auf der Flucht aus seiner Heimat in eine vermeintlich bessere Zukunft verloren gegangen ist. „Es geht auf einer zweiten Ebene auch darum, dass wir dazu neigen, unsere menschlichen Werte zu vergessen. Sie sind genauso abhandengekommen wie dieses Kind, dessen Unschuld dafür ein Symbol sein sollte”, erklärt Tennant.
Als Vorgeschmack auf das für den Herbst geplante neue Album der Pet Shop Boys, an dem die Band derzeit mit Produzent Stuart Price arbeitet, ist Agenda höchst willkommen. Als Erinnerung daran, wie intelligent und vielseitig diese Band ist, natürlich auch. Und als politische Botschaft allemal.