Künstler | Peter Broderick | |
Album | http://www.itstartshear.com | |
Label | Bella Union | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
Er tut es wirklich. Diese Platte hat einen Titelsong namens It Starts Hear und darin singt Peter Broderick tatsächlich die Webadresse, die im Albumtitel enthalten ist mit “Column, Slash, Slash” und so weiter, zu einer Melodie, die so einnehmend ist, dass sie das sogar selbstverständlich erscheinen lässt.
Man kann http://www.itstartshear.com leicht auf die Liste der prätentiösesten Albumtitel aller Zeiten setzen, doch der Mann aus Carlton, Oregon hat gute Argumente für diese Wahl. Im Zeitalter der Downloads und Streams vermisst er den Paratext, der früher zur Musik etwa durch Cover oder Booklet mitgeliefert wurde. „Mir hat das immer große Freude bereitet, wenn ich auch ein Bild und ein paar Wörter des Künstlers hatte, um das akustische Erlebnis anzureichern“, sagt er. Genau diese Ergänzung will er nun durch die Möglichkeiten des Hypertextes bieten. Unter http://www.itstartshear.com gibt es alle Texte, Noten und zusätzlich begleitende Videos zu diesem Werk. Ein weiterer Vorteil: Sobald jemand online über die Platte berichtet, wird der Albumtitel automatisch zum Link und öffnet dem Leser die Tür zu diesen Hintergrundinformationen.
Dieser multimediale Ansatz überrascht nicht allzu sehr bei einem Musiker, der nach Home (2010) vor allem an vielen Soundtracks gearbeitet hat und in etlichen Kollaborationen aktiv war. Einfach nur alleine vor sich hin zu musizieren, war für Peter Broderick selten eine reizvolle Option. Diesmal hat er sich Produzent Nils Frahm an die Seite geholt, der für die Platte eine durchaus prominente Rolle einnimmt, denn sein ästhetischer Ansatz wurde prägend für http://www.itstartshear.com. „Es ist mein erstes Projekt, in dem die Klangfarbe der Lieder für mich genauso wichtig war wie die Komposition selbst“, betont Broderick.
Welche Ergebnisse das bringt, zeigt ein Stück wie With The Notes On Fire. Am Anfang steht ein schwungvolles Gitarrenpicking, jedes danach einsetzende Instrument bringt noch etwas mehr Energie hinein. Meisterhaft arrangiert ist auch Colin, ein Song über einen unbekannten Künstler, der Peter Broderick sehr beeindruckt hat. Auch hier stehen am Beginn fast nur Gesang und Gitarre, im Refrain kommen ein hingehauchter Chor und ein ganz sanfter Bass hinzu, später dann Klavier und Percussions, noch später eine Geige, die sich erstaunlich harmonisch integriert.
Die Aufmerksamkeit für Klangdetails ist offensichtlich, schon im Albumauftakt I Am Piano, in dem Künstler und Instrument nicht nur im Songtitel zu verschmelzen scheinen. Erst nach gut drei Minuten beginnt der Gesang, die Klavierfigur ist schon vorher so hypnotisch, dass man fast nicht merkt, wie schön und ausgefeilt das Streicherarrangement ist, das sich dabei im Hintergrund entwickelt hat. Asleep erweist sich als Erinnerung an einen Freund, der bei einem Kajakunfall ums Leben kam. Broderick singt darin ausnahmsweise nicht mit Kopfstimme und klingt deshalb wie verwandelt. Eine der schmerzhaften Erkenntnisse des Liedes ist: Der Tod kommt immer unzeitgemäß.
Blue wurde von seinem Vater geschrieben, als dieser 19 Jahre alt war. Broderick junior hat das Lied 2008 auf einer alten Kassette entdeckt. Er intoniert es jetzt mit viel Hall auf der Stimme, als versuche der Gesang, in diese weit zurückliegende Vergangenheit hineinzureichen. Trespassing ist einem Vogel gewidmet, den er versehentlich mit dem Auto überfahren hat. Nicht nur wegen dieses putzigen Themas wirkt es wie ein Lied, das Simon & Garfunkel bloß aus Versehen nie gemacht haben.
Sehr typisch für das Album ist das mehr als siebenminütige A Tribute To Our Letter Writing Days: Es gibt filigranes Gitarrenpicking, herbe Streicher, und einen Gesang, der beinahe Kanon-Charakter hat. Ein Überraschungsmoment ist Bad Words, das von einem Spaziergang in Köln inspiriert ist: Den Text (geschrieben von Nils Frahm) in der ersten Hälfte des Songs singt Peter Broderick auf Deutsch, der Sound dazu klingt mit einem baufälligen Klavier und einer verträumten Gitarre wie aus einer Kneipe in Berlin, in der am 18. November 1928 um 4 Uhr morgens die Zeit stehen geblieben ist. Auch Everything I Know fasst http://www.itstartshear.com gut zusammen: Es ist intensiv, innig – und man müsste das Wort „pittoresk“ dafür erschaffen, wäre es nicht längst schon erfunden.